nde 1972 wollten die USA die DRV zur Aufgabe ihrer Unterstützung des Befreiungskampfes in Südvietnam zwingen

B-52 über Hanoi

Von Gerhard Feldbauer

Um die Demokratische Republik Vietnam (DRV) zur Annahme ihrer Bedingungen bei den seit Mai 1969 in Paris geführten Gesprächen über die Beendigung des Krieges zu zwingen, dehnten die USA ab 18. Dezember 1972 ihre mit B-52-Bombern gegen Nordvietnam wieder aufgenommenen mörderischen Terrorangriffe auf Hanoi aus. Zu den Hauptforderungen gehörte die Einstellung der Unterstützung der DRV für den Befreiungskampf in Südvietnam. Am 1. November 1968 hatte Washington angesichts der schweren Verluste (die Luftabwehr der DRV hatte 3 240 Flugzeuge, darunter eine Anzahl Hubschrauber, abgeschossen) und der internationalen Proteste die Einstellung ihres im August 1964 begonnenen Luftkrieges erklären müssen. Der Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN der DDR, Hellmut Kapfenberger, berichtete aus Hanoi, dass nun über Nordvietnam insgesamt 140 B-52 und bis zu 700 Jagdbomber Angriffe flogen, dabei über 100 000 Tonnen Bomben und Raketen gewaltige Schäden anrichteten und Tausende Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten. Bis Ende Dezember 1972 flog die Air Force 500 Einsätze allein gegen die Hauptstadt. Während ihrer berüchtigten Flächenbombardements klinkten die strategischen Festungen über Hanoi und der Hafenstadt Haiphong 50 000 Tonnen Bomben aus. An die 4 000 Tote und Verletzte zählte allein Hanoi.

Die Vorgeschichte

Nach der Niederlage im Luftkrieg gegen die DRV und dem sich abzeichnenden Scheitern auch in Südvietnam hatten die USA 1971 begonnen, einen Teil ihrer Bodentruppen von zu dieser Zeit über einer halben Million schrittweise aus Südvietnam abzuziehen und waren zur sogenannten „Vietnamisierung“ des Krieges übergegangen. Strategisches Konzept blieb jedoch die Aufrechterhaltung der US-amerikanischen Herrschaft mit ihrem Marionettenregime in Südvietnam. Mit US-Waffen und Militärberatern sollten südvietnamesische Söldner den Krieg gegen die Befreiungsbewegung weiter führen. Bis Mitte 1971 wurden rund 300000 Mann USA-Truppen abgezogen, dafür in dieser Zeit die Stärke der Saigoner Armee um 600 000 auf insgesamt 1,2 Millionen Mann erhöht. US-Präsident Richard Nixon weigerte sich, für den Abzug der restlichen über 200000 US-Soldaten einen endgültigen Termin zu nennen. Um ein den USA genehmes Regime an der Macht zu halten, stellte Washington außerdem zur Bedingung, im Rahmen einer „friedlichen Lösung“ mindestens zwei bis drei amerikanische Kampfdivisionen – wenn notwendig, noch zehn Jahre oder länger – in Südvietnam zu belassen. 12000 Saigoner Offiziere begaben sich zu Fortbildungslehrgängen in die USA.

Um die Unterstützung der DRV für die Befreiung des Südens zu verhindern, nahmen die USA ihre im November 1968 eingestellten Luftangriffe gegen Nordvietnam wieder auf. Außerdem verminten sie alle nordvietnamesischen Häfen, um den Nachschub aus der UdSSR auf dem Seewege zu blockieren. Im Golf von Tongking zogen sie eine Armada von 60 Kriegsschiffen zusammen, darunter fünf Flugzeugträger.

Nachdem die Saigoner Armee mit Unterstützung der USA den Krieg in Südvietnam fortsetzte, eröffneten die Befreiungsstreitkräfte in Südvietnam in der Nacht zum 1. April 1972 eine neue, über ganz Südvietnam bis hinunter nach Saigon reichende Offensive, bei der sie erstmals ganze Regimenter von Panzern, Artillerie und Flak einsetzten. „Die Zeit“ in Hamburg berichtete am 5. Mai 1972 aus Saigon: „Die logistische Vorbereitung der Offensive war hervorragend. Trotz eines unaufhörlichen Flächenbombardements auf die Nachschubwege, trotz ausgedehnter Säuberungsaktionen, trotz eines ausgeklügelten elektronischen Überwachungssystems, ist es dem Generalstab möglich gewesen, über Hunderte von Kilometern schwere Panzer und schwere Geschütze bis tief in den Süden zu schaffen.“ Die Nachrichtenagentur der DRV Vietnam News Agency (VNA) berichtete, dass ganze Truppenteile der Saigoner Armee sich ergaben und fünf ihrer Divisionen zerschlagen wurden.

Bei den wieder aufgenommenen Luftangriffen gegen die DRV wurden erstmals B-52-Bomber eingesetzt. Am 16. April 1972 belegten sie die Hafenstadt Haiphong mit Flächenbombardements, bei denen ganze Wohnviertel ausgelöscht, 886 Einwohner getötet und 1 108 verletzt wurden. Im Hafen erhielt auch der DDR-Frachter „Halberstadt“ einen Raketenvolltreffer. Es folgten Angriffe auf das Deichsystem im Gebiet des Roten Flusses.

Ein demagogisches Manöver des US-Präsidenten

In dieser Situation trat US-Präsident Richard Nixon am 7. November 1972 zur Wiederwahl an. Er konnte diese nur gewinnen, wenn er der Mehrheit der kriegsmüden Wähler seine Bemühungen um Frieden demonstrierte. Deshalb stimmte er in Paris den von den Vertretern der USA und der Saigoner Regierung mit denen der DRV und der von den Befreiungskämpfern Südvietnams im Juni 1969 gebildeten Republik Südvietnam (RSV) ausgehandelten Abkommen zur Beendigung des Krieges zu. Es umfasste ein Waffenstillstandsabkommen, die Bildung einer souveränen Regierung in Südvietnam und die friedliche Wiedervereinigung des Nordens mit dem Süden.

Nachdem Nixon wiedergewählt worden war, widerrief er mit der Begründung, der Saigoner Präsident Nguyen Van Thieu lehne die Verträge ab, seine Zustimmung und legte 126 Änderungsvorschläge vor. Der Kern seiner Forderungen war, die DRV müsse auf die Unterstützung des Befreiungskampfes in Südvietnam verzichten, das Thieu-Regime anerkennen und einer Festschreibung der Interventionsrechte der USA in Saigon zustimmen. Nixon bezichtigte Nordvietnam einer „Aggression in Südvietnam“. Die DRV bekräftigte ihre bekannte Haltung, dass „alle Vietnamesen das Recht und die Pflicht (haben), gegen die Aggressoren zu kämpfen, um die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes zu verteidigen“. Die RSV ging in ihrer Kompromissbereitschaft noch einen Schritt weiter und akzeptierte, dass einer Regierung in Südvietnam auch Thieu angehören könne.

Die DRV war durch die B-52-Angriffe jedoch nicht in die Knie zu zwingen. Die Londoner „Daily Mail“ schrieb am 28. Dezember 1972, Nixon habe offenbar „nicht mit dem Erfolg der Raketen sowjetischer Bauart und ihrer nordvietnamesischen Bedienungsmannschaften gerechnet, die täglich zwei der riesigen Bomber mit acht Triebwerken abgeschossen haben“. Insgesamt verlor die US-Air Force in der letzten Luftschlacht über Hanoi 33 B-52. Insgesamt hatte die nordvietnamesische Luftabwehr 1972 von 200 dieser im pazifischen Raum stationierten Maschinen 54 abgeschossen. Am 15. Januar 1973 musste Nixon die Luftangriffe einstellen.

Dazu trugen auch Antikriegsproteste in der US-Army – Befehlsverweigerungen, Desertionen und sogar Sabotageakte auf Kriegsschiffen – bei. Nach der Wiederaufnahme des Luftkrieges gegen Nordvietnam 1972 kam es auf allen beteiligten Flugzeugträgern zu Unruhen. Von der „Oriskany“ desertierten 25 Matrosen. Auf der „Kitty Hawk“ protestierten in Subic Bay auf den Philippinen Hundert schwarze Matrosen gegen einen neuen Vietnameinsatz. Gegen die vorgehenden Marines setzten die Verweigerer sich mit Ketten, Schraubenschlüsseln und Rohren stundenlang zur Wehr. Als der Zerstörer „Coral Sea“ nach Vietnam auslaufen sollte, protestierte ein Viertel der Mannschaft gegen den Einsatz, 35 Matrosen blieben in Kalifornien zurück. Laut einer Kongress-Untersuchung gab es auf Kriegsschiffen 488 Beschädigungen oder Versuche dazu, 191 Sabotageakte und 135 Brandstiftungen. Der Flugzeugträger „Ranger“ war durch zwei ins Getriebe einer Maschine geworfene 30-Zentimeter-Schrauben über drei Monate nicht einsatzfähig. Nach einer Brandlegung im Radarraum fiel der Flugzeugträger „Forrestal“ zwei Monate aus, Besonders schockierend für die US-Militärführung war, dass es während der Bombardements auf Hanoi im Dezember 1972 unter der Elite der Streitkräfte, den Piloten der Air Force, zu Befehlsverweigerungen kam. Am 18. Dezember lehnte der „Phantom“-Pilot Hauptmann Dwight Evans es ab, weitere Einsätze gegen Nordvietnam zu fliegen. Hauptmann Michael Heck weigerte sich am 26. Dezember, mit seiner B-52 gegen Hanoi zu starten. Er hatte bis dahin 200 Kampfeinsätze geflogen.

DRV setzte sich durch

Am 22. Januar 1973 musste der US-Chefunterhändler Henry Kissinger mit Politbüro-Mitglied Le Duc Tho von der DRV der Paraphierung der Pariser Abkommen zustimmen, die am 27. Januar von den vier beteiligten Seiten unterzeichnet wurden. Es handelte sich mit geringfügigen Änderungen um die Verträge, denen Nixon vor seiner Wahl zugestimmt hatte. Am 2. März wurde das Abkommen durch eine Internationale Vietnamkonferenz gebilligt, an der neben den drei vietnamesischen Seiten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sowie Ungarn, Polen, Kanada und Indonesien teilnahmen.

In Artikel 1 mussten die USA, was sie bis dahin verweigert hatten, „Die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Integrität Vietnams“ gemäß den Genfer Abkommen über Vietnam von 1954“ anerkennen.

In Artikel 2 mussten sie, was sie bis dahin ebenfalls abgelehnt hatten, nicht nur einen am 27. Januar 1972 um 24 Uhr GMT (Greenwich-Zeit) beginnenden Waffenstillstand mit den kämpfenden Parteien im Süden vereinbaren, sondern in Artikel 3 auch das Verbleiben der Streitkräfte beider Seiten dort, wo sie sich befanden, akzeptieren. Das bedeutete die Anerkennung der befreiten Gebiete Südvietnams als von den Befreiungsstreitkräften kontrolliertes Territorium. Das schloss de facto die Anerkennung ein, dass an der Seite der Befreiungsstreitkräfte auch Nordvietnamesen kämpften.

Artikel 5 verpflichtete die USA, innerhalb von sechzig Tagen „alle Truppen, Militärberater und das militärische Personal einschließlich des technischen Militärpersonals und des im Zusammenhang mit dem Befriedungsprogramm tätigen Militärpersonals sowie Waffen, Munition und Kriegsmaterial“ abzuziehen. Diesem Personenkreis untersagte Artikel 4 bereits, sich in die inneren Angelegenheiten Südvietnams einzumischen. In Artikel 6 wurden die USA verpflichtet, ebenfalls binnen sechzig Tagen alle ihre Militärstützpunkte aufzulösen. Das betraf auch alle in Südvietnam stehenden Streitkräfte der Verbündeten der USA aus SEATO-Staaten sowie aus Südkorea.

Die Artikel 9 bis 14 verpflichteten die RSV und die Saigoner Regierung unmittelbar nach dem Waffenstillstand „Konsultationen im Geist der nationalen Versöhnung und Eintracht, der gegenseitigen Achtung und der gegenseitigen Nichteliminierung durchzuführen, und einen nationalen Rat der nationalen Versöhnung und Eintracht“ zu bilden, der „freie und demokratische allgemeine Wahlen“ vorbereiten sollte.

Mit Inkrafttreten des Waffenstillstands in Südvietnam wurden die USA verpflichtet, die gesamten militärischen Aktivitäten ihrer Boden-, Luft- und Seestreitkräfte gegen das Territorium der Demokratischen Republik Vietnam einzustellen.

Artikel 15 sanktionierte die Wiedervereinigung Vietnams und legte fest: Sie „soll Schritt für Schritt mit friedlichen Mitteln auf der Basis von Diskussionen und Abkommen zwischen Nord- und Südvietnam ohne Zwang oder Annexion durch eine der beiden Parteien und ohne ausländische Einmischung herbeigeführt werden“.

Die Pariser Abkommen stellten eine katastrophale Niederlage der USA in ihrem Vietnamkrieg dar. Mit ihrer Einhaltung hätte Washington noch halbwegs das Gesicht wahren und sich vertragsmäßig aus Vietnam zurückziehen können. So war Frankreich 1954 verfahren. Anders die USA. Um neuen militärischen Niederlagen zu entgehen, zogen sie nach zahlreichen Verzögerungsmanövern zwar ihre noch verbliebenen Truppen ab, kamen aber ihren weiteren Verpflichtungen nicht nach. Sie ließen ihre Militärberater und andere Militärexperten in Stärke von 25 000 Mann in Südvietnam, die ihre Tätigkeit als „Zivilisten“ fortsetzten. Die USA verletzten die Bedingungen über den Ersatz militärischen Materials, der beiden Seiten gestattet war. Bereits vom 28. Januar bis zum 10. Juli 1972 lieferte das Pentagon der Saigoner Armee zusätzlich 696 Flugzeuge, 1 100 Panzer, 800 Geschütze, 204 Kriegsschiffe und weitere militärische Ausrüstungen, darunter chemische Kampfstoffe und Unmengen Munition.

Der südvietnamesische Präsident Thieu sabotierte in aller Öffentlichkeit die Pariser Abkommen. Am 9. März 1973 erklärte er seine Regierung und seine Armee „zur einzigen in Südvietnam“. Am 12. Oktober drohte er, wer sich als „Neutralist oder Pro-Kommunist bezeichnet, überlebt keine fünf Minuten“. Am 28. Dezember 1973 kündigte er an: Es werde „keine Wahlen und keinen Frieden“ geben.

Die Quittung für den Bruch der Pariser Verträge erhielten die USA mit der letzten Offensive der Befreiungskräfte im Frühjahr 1975, die mit der Einnahme Saigons am 30. April und damit der Befreiung Südvietnams endete.

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"B-52 über Hanoi", UZ vom 5. Januar 2018



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