Konzern will unbequemes Betriebsratsmitglied loswerden

AWO geht gegen ­Altenpfleger vor

Ein Altenpfleger und Mitglied des Betriebsrats wird kurz vor den Neuwahlen damit konfrontiert, dass sechs Beschwerden von Bewohnern gegen ihn vorliegen. Beschäftigt ist er bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die will ihm fristlos kündigen. Ein klassischer Fall von Union Busting? Wir haben Detlev Beyer-Peters dazu befragt. Er ist Sprecher der Initiative „Solidarisches Recklinghausen“.

UZ: Eure „Initiative Solidarisches Recklinghausen“ macht öffentlich auf den Fall des 54-jährigen Altenpflegers R. M. aufmerksam, der von der AWO fristlos gekündigt werden soll. Um wen handelt es sich dabei?

290301 Portraet Detlev - AWO geht gegen ­Altenpfleger vor - Arbeitskämpfe, Kranken- und Altenpflege - Wirtschaft & Soziales

Detlev Beyer-Peters: R. M. ist 54 Jahre alt. Er arbeitet seit fast 30 Jahren als Altenpfleger im Konzern AWO-Bezirk Westliches Westfalen e. V., zunächst als Auszubildender und danach als Altenpfleger in einer Sozialstation und im Julie-Kolb-Seniorenzentrum in Marl. Dort war er die überwiegende Zeit als Nachtwache eingesetzt. Seit 1998 kandidierte er für den Betriebsrat und ist derzeit stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrates.

UZ: Worum geht es bei dem Fall und mit welchen Mitteln ist die AWO gegen R. M. vorgegangen?

Detlev Beyer-Peters: Völlig unerwartet wurde der Altenpfleger im März 2022 mit sechs Beschwerden von Bewohnerinnen und Bewohnern konfrontiert, die er nicht für gerechtfertigt hält. Dadurch wurde von heute auf morgen das Leben von R. M. auf den Kopf und die weitere Ausübung seines Berufes in Frage gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Altenpfleger wegen Körperverletzung, Beleidigung und versuchter Nötigung, die Bezirksregierung Münster prüfte ein Berufsverbot. Die Heimaufsicht des Kreises Recklinghausen erließ ein Beschäftigungsverbot gegen ihn im Julie-Kolb-Seniorenzentrum, dessen Leiterin gegen den Altenpfleger ein Kontakt- und Hausverbot aussprach. Dazu kommt, dass der AWO-Bezirk Westliches Westfalen ihm seit April 2022 die Lohnzahlung verweigert und außerdem weiterhin die Absicht verfolgt, vom Arbeitsgericht die Zustimmung für seine fristlose Kündigung zu erhalten.

UZ: Was spricht deiner Meinung nach dafür, dass die Beschwerden gegen R. M. ungerechtfertigt sind und es vielmehr der AWO darum geht, einen engagierten Kollegen und stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden?

Detlev Beyer-Peters: Bis März letzten Jahres war R. M. fast 25 Jahre ohne Beanstandungen im Julie-Kolb-Seniorenzentrum tätig. Und plötzlich – im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der regulären Neuwahl des Betriebsrates durch die 248 Beschäftigten – nahm die zuständige Wohnbereichsleiterin allein am 9. März 2022 die Beschwerden von zwei Bewohnern und einer Bewohnerin auf. Auffällig war, dass diese Leiterin erstmals mit zwei weiteren Beschäftigten ihres Wohnbereiches ebenfalls für den neuen Betriebsrat kandidierte. Der Betriebsrat des Julie-Kolb-Zentrums konnte sich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass hier der Versuch unternommen worden sein könnte, „ein zweifellos unbequemes Betriebsratsmitglied freizusetzen“.

Auch die bisherigen Verfahrensergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Am 15. September 2022 stellte die Staatsanwaltschaft Essen das Ermittlungsverfahren gegen R. M. ein. Am 27. September 2022 teilte die Bezirksregierung Münster dem Altenpfleger R. M. mit, dass sie ihm seine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung nicht widerrufen werde. Und am 14. November 2022 teilte die WTG-Behörde (Heimaufsicht) des Kreises Recklinghausen dem Altenpfleger R. M. mit, dass sie ihre Ordnungsverfügung vom 11. April 2022 über sein Beschäftigungsverbot rückwirkend wieder zurücknimmt, weil diese aufgrund von falschen Tatsachen erlassen worden und damit rechtswidrig sei.

UZ: Gibt es weitere Fälle bei der AWO, bei denen Betriebsratsmitglieder unter Druck gesetzt wurden oder versucht wurde, sie loszuwerden?

Detlev Beyer-Peters: Die AWO verhält sich als gemeinnütziger Wohlfahrtsverband oftmals nicht anders als private Träger, für die engagierte oder nervige Betriebsräte ein rotes Tuch darstellen. Ich selbst war jahrelang mit „Bossing“-Maßnahmen konfrontiert. Oftmals reichen solche Schikanemaßnahmen aus, um Mitglieder von Betriebsräten dazu zu kriegen, irgendwann von selbst aufzugeben. Wenn nicht, dann bleibt als einzige Maßnahme nur noch die fristlose Kündigung, weil Mitglieder von Betriebsräten nicht ordentlich gekündigt werden können.

Aber fristlose Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern sind für den Unternehmer immer ein enormes Wagnis. Denn ohne die Zustimmung des Betriebsrates oder des Arbeitsgerichts kann die fristlose Kündigung nicht umgesetzt werden. Im Laufe meiner langjährigen Betriebsratsarbeit beim AWO-Bezirk Westliches Westfalen e. V. habe ich mich für mehrere Betriebsratsmitglieder eingesetzt, die von einer fristlosen Kündigung bedroht waren. Durch Solidarität und Öffentlichkeit konnte eine Kündigung verhindert werden. Auch die UZ hat darüber übrigens immer berichtet.

UZ: Am 18. Juli und am 20. Oktober wird der Fall von R. M. vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm verhandelt. Was erwartest du von diesen beiden Gerichtsterminen?

Detlev Beyer-Peters: Bei dem ersten Termin hat das Gericht in Hamm darüber zu entscheiden, ob der Altenpfleger R. M. einen rückwirkenden Anspruch auf Bezahlung seit April 2022 hat. Das Arbeitsgericht Dortmund hatte sich zu einer solchen Entscheidung aus rein formal-prozessualen Gründen nicht durchringen können. Ich gehe davon aus, dass diese Entscheidung in Hamm zugunsten von R. M. korrigiert wird.

Beim zweiten Termin muss das Landesarbeitsgericht entscheiden, ob es die fehlende Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen Kündigung ersetzt. Dies war vom Arbeitsgericht Dortmund schon allein aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt worden, so dass ich für die zweite Instanz sehr optimistisch bin.

Interessant wird allerdings noch ein weiteres Verfahren, das die AWO vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen angestrengt hat. Am 1. Dezember 2022 hat nämlich der AWO-Bezirk Westliches Westfalen e. V. Anfechtungsklage gegen den Rücknahmebescheid der Heimaufsicht des Kreises Recklinghausen erhoben. Ein Termin steht hier allerdings noch nicht fest.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"AWO geht gegen ­Altenpfleger vor", UZ vom 21. Juli 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit