In der DDR gab auch Widerstand gegen den schnellen Anschluss an die Bundesrepublik

Ausverkauft und verkohlt

Im sogenannten Wendeherbst 1989 ging es bei Protesten auf der Straße, aber auch bei Debatten, nicht wenigen der Beteiligten anfangs noch um eine „bessere, erneuerte DDR“. Neben massiv überzogenen Anwürfen gab es auch viel berechtigte Kritik. Veränderungen, Reformen schienen möglich. Nach der Grenz­öffnung durch die DDR am 9. November wurden jedoch sowohl auf den Leipziger Montagsdemonstrationen wie in anderen Städten zunehmend Forderungen nach einer Wiedervereinigung laut. „Deutschland – einig Vaterland“, „Keine Experimente mehr, Wiedervereinigung jetzt“ stand auf Transparenten, später übertönte der Ruf „Wir sind ein Volk“ die ursprüngliche Losung „Wir sind das Volk“. Noch gab es aber auch Transparente mit Slogans wie „Kein Ausverkauf der DDR“ und „Wir lassen uns nicht BRDigen“. Wer weiterdachte, sah die Zukunft mit Sorge.

In dieser Situation entstand Ende November 1989 der Aufruf „Für unser Land“. Die Endfassung wurde am 26. November in der Wohnung der Schriftstellerin Christa Wolf erstellt, Prominente unterschrieben. Darin wurde vor einer Einverleibung der DDR durch die Bundesrepublik und dem Ausverkauf gewarnt und betont: „Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind.“ Als Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 anlässlich eines Treffens mit Ministerpräsident Hans Modrow sich in Dresden auf einer Kundgebung für die deutsche Einheit aussprach, fand in Berlin auf dem Alexanderplatz eine Demonstration gegen die deutsche Einheit statt. 50.000 sprachen sich „für eine souveräne DDR, gegen Wiedervereinigung und einen Ausverkauf des Landes“ aus.

Doch obgleich bis zum 23. Januar 1990 über 1,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger den Aufruf „Für unser Land“ unterzeichnet hatten: Weitere Aktionen auf der Straße oder in Betrieben blieben fast völlig aus. Bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 erhielten die Einheitsbefürworter die Mehrheit der Stimmen.

Als dann am 3. Oktober 1990 in Berlin die Einheits-Jubelfeier stattfand, feierten Hunderttausende auf der Straße. Nach der Wirtschafts- und Währungsunion vom Juli war nunmehr auch die politische Union, der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland, vollzogen. Dass es an diesem Tag in der Stadt auch eine Demonstration gegen die deutsche Einheit gab, ging im Trubel fast völlig unter. 15.000 Menschen protestierten mit Losungen wie „Nie wieder Deutschland“ und „Halt’s Maul, Deutschland. Es reicht“. Sie warnten aber auch vor Nazis und Ausländerhass. Wie viele Berlinerinnen und Berliner aus dem Ostteil der Stadt unter den meist jüngeren Leuten, unter ihnen viele Autonome, waren, ist nicht bekannt.

Nicht wenige jener, die Illusionen hatten, an diesem 3. Oktober auf der Straße oder zu Hause feierten, erlebten in den Monaten und Jahren danach herbe Enttäuschungen: Vor allem als ihre Betriebe privatisiert oder geschlossen wurden, als sie die Arbeit verloren. Kohl hatte „blühende Landschaften“ versprochen. Wenige kämpften: So besetzten im November 1991 zum Beispiel die Henningsdorfer Stahlarbeiter ihr Werk und zogen protestierend vor die Treuhand in Berlin. Am 1. Juli 1993 begannen zwölf Kalikumpel in Bischofferode einen Hungerstreik. Sie kämpften für den Erhalt des Kalibergwerks „Thomas Müntzer“. Aus zwölf wurden bald 40. 81 Tage dauerte ihr Streik, der zum Symbol für den Kampf gegen die Privatisierungspolitik der Treuhand wurde.

400802 fahne - Ausverkauft und verkohlt - DDR, Proteste, Widerstand - Im Bild
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"Ausverkauft und verkohlt", UZ vom 2. Oktober 2020



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