Verzögerungstaktik
Das Oberste Gericht hat den zweiten Versuch, den EU-Austritt zu kippen,
verworfen.
Zwei Richter des obersten britischen Gerichts entschieden am Freitag letzter Woche nach nur 50 Minuten Verhandlungsdauer gegen den Antrag Gruppe von Pro-EU-Politikern, die Regierung zu einer weiteren Parlamentsabstimmung zu zwingen.
Der konservative „Vordenker“ Adrian Yalland und Peter Wilding, Chef der
Pro-EU-Kampagne „British Influence“, hatten im Namen anonym gebliebener „Aktivisten“ versucht, den EU-Austritt zu verzögern, indem sie argumentierten, Paragraph 127 des EU-Vertrages mache eine zweite Debatte im Parlament notwendig.
Die Richter nannten das „kindisch“, das regierungsseitig neu gegründete „Ministerium zum Verlassen der EU“ begrüßte die Entscheidung.
Die britische Premierministerin Theresa May bekam in der vergangenen Woche vom Parlament die – per Gerichtsbeschluss geforderte – Zustimmung für ihren Zeit- und Maßnahmenplan zum Verlassen der EU. Damit steht der EU-Austritt Großbritanniens endgültig fest – die Zustimmung der 2. Kammer dürfte schon wegen der erzkonservativen Zusammensetzung des „House of Lords“ nicht mehr als Formsache sein.
Der Erfolg der neuen „eisernen Lady“ kommt direkt nach ihrem prestigeträchtigen USA-Besuch, Trump hatte sie als erste Staatschefin nach seinem Amtsantritt zu sich geladen. May und ihre Mannschaft straften die große Mehrzahl der Demoskopen Lüge, das Abstimmungsergebnis war deutlich, die „Times“ sprach von einer „historischen Abstimmung“.
Möglich wurde das klare Votum des Parlaments, weil der Labour–Vorsitzende Jeremy Corbyn seiner Fraktion Zustimmung verordnete. Seine Aussage „Wir stimmen mit der Regierung“ machte bereits vor der Debatte im „House of Parliament“ klar, dass die Pro-EU-Abgeordneten aus Mays Tory-Partei, die Liberalen und die „Labour-Rebellen“, die sich gegen Corbyn stellten, nicht mal annähernd in der Lage sein würden, die Vorschläge der Regierung zu kippen.
Mit der Positionierung Pro-Regierung und Anti-EU durch die Labour-Linken rissen zwar die alten Widersprüche innerhalb der – nach wie vor wachsenden – mitgliederstärksten Partei Europas wieder auf, der von den Medien prognostizierte „Tumult bei Labour“ blieb aber aus. Die „Moderaten“ innerhalb der Partei sahen in Corbyns Abstimmungsverhalten einen weiteren Beleg für seine Anti-EU-Einstellung. Bei dem Versuch, ihn als Parteichef zu kippen, war im vergangenen Jahr einer der Hauptvorwürfe, Jeremy Corbyn habe sich nicht konsequent genug für Labours „Remain“ („Verbleiben“)-Kampagne eingesetzt und damit „Lexit“ und der Bewegung „Gewerkschafter gegen die EU“ zugearbeitet, die letztendlich das Abstimmungsergebnis entscheidend beeinflussten.
Diese Vorwürfe locken bei der Mehrheit der Labour-Mitglieder allerdings keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor. Tony Mulhearn, bis vor Kurzem Vorsitzender des mitgliederstarken Bezirks Liverpool und Stadtrat, fasste in einer Presseerklärung, die übrigens sogar vom Pro-EU-Blatt „Financial Times“ in voller Länge gedruckt wurde, die Stimmung gut zusammen: „Corbyn hatte die Wahl gegen Brexit zu stimmen, damit den Willen der Wählermehrheit zu ignorieren, oder dafür und gleichzeitig zu fordern, dass die Interessen der Arbeiterklasse berücksichtigt werden. Vollkommen richtig tat er Letzteres (…). Einige unserer Abgeordneten rechtfertigen ihre Kritik an ihm, indem sie auf die ‚Verbleiben‘-Mehrheit in ihren Wahlkreisen hinweisen. Schade, dass sie sich beim Mehrheitswunsch nach Verbleiben der Bahn, der Energiewirtschaft und des Gesundheitswesens in öffentlicher Hand in der Vergangenheit nicht so konsequent zeigten.“
Die Situation innerhalb der Labour-Partei trat in den Medien sehr schnell wieder in den Hintergrund, die „Erfolgsmeldungen“ aus dem Regierungslager dominieren die Debatte. Mehrere in der vergangenen Woche veröffentlichte Studien deuten auf einen unerwartet starken Zuwachs der produzierenden Industrie hin, die „Financial Times“ spricht sogar von einem „Trend hin zur Produktionszunahme, weg von der Dienstleistungsgesellschaft“.
Diese Meldungen nutzt die Regierung ebenso wie den nicht eingetretenen Verfall der Währung gegenüber dem Euro, um ihren Austritt aus der EU publizistisch zu rechtfertigen. Dass die prognostizierte Produktionszunahme aus solchen Deals wie der Lieferung von Kampfflugzeugen an die Regierung der Türkei und einer weiteren Erhöhung der Produktion von Autos bei gleichzeitigem Verkommen der Eisenbahnen basiert, wird dabei dezent verschwiegen.