„Der intensivste Wachstumszyklus und die außergewöhnlichsten gesellschaftlichen Fortschritte, die die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer erfahren haben, die politische Demokratisierung, die das Land gebraucht hat, und dazu die Errungenschaften unter anderem bei Bildung und Kultur haben Ecuador radikal verändert und es zu einem unvergleichlich besseren Land gemacht, womit sich die Vorhersage Coreas, dass man einen Übergang zu einer neuen Epoche angehe, bewahrheitet hat.“
Man muss den Enthusiasmus des brasilianischen Sozialwissenschaftlers Emir Sader, der gern die positiven Seiten der fortschrittlichen Regierungen des Kontinents überbetont, nicht eins zu eins übernehmen. Aber Ecuador ist in den gut zehn Jahren der Regierungszeit der „Alianza PAIS“ des bei den auf der Sozialleiter unten stehenden Schichten immer noch verhältnismäßig populären Präsidenten Rafael Correa in mehrerer Hinsicht tatsächlich ein anderes Land geworden. Da ist zum einen die Kostenfreiheit des Gesundheitssystems zu nennen, was in einem arm gehaltenen Land den Schwachen zugute kommt. Auch im Bildungssektor ist der Zugang für viele Arme erleichtert worden.
Was aber neben materiellen Aspekten mindestens ebenso wichtig ist – und langfristig sogar bedeutender –, ist die Frage der rechtlichen Gleichstellung. Es bekommt vor Gericht nicht mehr automatisch derjenige Recht, der mehr Geld hat; es wird in der Gesellschaft die Stimme des Bauern, der Arbeiterin, des Indigenen zunehmend lauter und ist auf dem Weg dahin, sich von den Medien der Oberschicht nicht länger für dumm verkaufen zu lassen. Mehr als Bildung und Gesundheit könnte ein gestiegenes Selbstbewusstsein identitätsstiftend sein, wenn in der nächsten Krise um mehr gestritten werden muss.
Denn in Richtung sozialer Gleichheit ist es in zehn Jahren Rafael Correa nur bedingt gegangen. Das hatte die „Revolución Ciudadana“, die Bürgerrevolution, die sich – ihrem Namen Ehre machend – mehr an den Werten der Französischen Revolution orientieren wollte, in der Tat nicht versprochen, obwohl die Worte „Revolution“ und „Sozialismus“ gerne in den Mund genommen werden. Konsequenterweise ist noch in keinem Fall das entscheidende Thema angegangen worden, wenn man doch eigentlich den so genannten „Sozialismus des guten Lebens“ anstrebt: die Eigentumsfrage.
Nun wird am Sonntag neben den Abgeordneten der Nationalversammlung ein neuer Präsident gewählt, und er wird nicht mehr Rafael Correa heißen. Correa, der drei Wahlen gewann, kann nicht noch einmal kandidieren. Daher bewirbt sich ein Gespann aus zwei seiner bisherigen Vizepräsidenten um die höchsten Staatsämter: Lenin Moreno, Vizepräsident in den ersten sechs Jahren Linksregierung, für die Präsidentschaft und als Stellvertreter Jorge Glas, der dieses Amt zurzeit bereits ausübt. Ihr Vorsprung auf die Kandidaten der Rechten ist nach Ansicht der Meinungsmacher nicht groß genug, um in der ersten Runde zu gewinnen. Daher wird sich Lenin Moreno, ein 63-jähriger Rollstuhlfahrer, in einer Stichwahl entweder mit Cynthia Viteri von der konservativen Sozialchristlichen Partei (PSC) oder mit dem Banker Guillermo Lasso von der rechten Bündnisorganisation CREO-SUMA messen müssen. Chancen auf einen Achtungserfolg werden dem linken Paco Moncayo gegeben.
Die Kommunistische Partei Ecuadors, die mit mehreren Mitgliedern teils bei Alianza PAIS, teils bei der Sozialistischen Partei für das Parlament kandidiert, unterstützt das Gespann Moreno-Glas. Winston Alarcón, Generalsekretär der PCE, sprach sich für den Erhalt der Errungenschaften aus, forderte aber auch die Korrektur von Fehlern, damit der Prozess der Bürgerrevolution perfektioniert werden könne. Letztlich gehe es „um eine historische Konfrontation zwischen Kapital und Arbeit, Gesellschaft und Markt, ausgrenzender Macht und Bürgerbeteiligung“, so Winston Alarcón.
Damit steht dem Land bei der weltweit ersten Präsidentschaftswahl nach Amtseinführung des US-Präsidenten Trump eine Richtungsentscheidung bevor. Mit Moreno bliebe es in ALBA und auf rechtsstaatlichem Aufbaukurs, mit Viteri oder Lasso, würde sich die traditionelle Unterordnung unter die USA wieder verstärken; dann wohl mit allen negativen Folgen wie einer Rückkehr zu einem neoliberalen Modell. Das umweltschädliche Wirtschaftsprinzip der Andenstaaten, wonach seit Jahrzehnten ein großer Anteil am Bruttoinlandsprodukt durch Rohstoffausbeutung mit anschließendem Export ohne wesentliche Wertschöpfungskette geschaffen wird, würde jedoch bei jedem der Favoriten bestehen bleiben.