Alles begann mit Slobodan Milosevic, der in den 1990ern an der Strategie der letzten jugoslawischen Eliten festhielt. Die Idee war, Stärken der Planwirtschaft mit jenen der Marktwirtschaft zu kombinieren. Es folgten erste zaghafte Privatisierungen. Während der Zerfallskriege setzte gerade in Serbien die Hyperinflation ein, der Durchschnittslohn sank auf 5 bis 10 DM im Monat. Hinzu kamen Embargos, eine Million Flüchtlinge und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Seit 2008 liegt diese bei etwa 22 Prozent, der Durchschnittslohn hat sich bei gut 500 Euro eingependelt.
Nach dem Kosovokrieg brach die Industrie ein; die NATO hatte gezielt Fabriken und Infrastruktur bombardiert, die später von westlichen Investoren wahlweise wiederaufgebaut oder verscherbelt wurden. Das ermöglichte Reformen, die mit dem Regimewechsel 2000 einsetzten. Nicht nur der IMF, die Weltbank und die EU traten auf den Plan, eine treuhänderische Privatisierungsagentur wurde gegründet. Nach der Zerschlagung von Schlüsselindustrien bietet sie nun Telekom- und Medienbetriebe zu Spottpreisen an. Die Agentur arbeitet so schlampig, die Investoren verfehlen so oft die Anforderungen, dass in manchem Jahr bis zu 26 Prozent aller Verkäufe rückgängig gemacht werden.
Privatisierungen werden durch unklare Eigentumsverhältnisse erleichtert. Offiziell verblieben viele Firmen bis ins 21. Jahrhundert in Gemeineigentum und damit der Arbeiterselbstverwaltung. Diese bestand aber nur auf dem Papier: Beschlüsse der Belegschaften wurden immer wieder vom Staat ausgehebelt, viele Kollegen seit Jahren nicht mehr bezahlt. Serbiens Verfassung von 2006 besiegelte schließlich die Überführung des Gemeineigentums in Privathand.
Besonders krass sind die Verwerfungen im Gesundheitswesen. Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem ist im Durcheinander der Wendezeiten auch ein privates entstanden. Das wirkt sich schon in der Prävention aus: Die werktätige Bevölkerung Serbiens ist oft unzumutbaren Zuständen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Verwaltung und Firmen wirken dem kaum entgegen. Die Qualität medizinischer Versorgung variiert erheblich zwischen Stadt und Land. Chronisch Kranke (Alkoholiker wie AIDS-Patienten und andere) stehen zermürbenden bürokratischen Apparaten gegenüber. Zu allem Überfluss leiden Medizinberufe unter einem schlechten Ruf, denn die erste Privatisierungswelle machte einzelne Mediziner stinkreich. Diese Wendegewinnler errichteten hochspezialisierte, schicke Kliniken.
Solche Klinken stehen etwa in Neu-Belgrad. Ab 1948 als Plattenbauviertel aus dem Sumpf gestampft, stiegen seit 1990 die Grundstückspreise hier um das 30–80fache. Unklare Preise machen es Immobilienhaien einfach, gerade in Belgrad Boden zu erwerben und widerrechtliche Neubauten zu errichten. Die Preise stiegen hier auch, da ausländische und die verbliebenen serbischen Konzerne ihre Unternehmenssitze in diesem Viertel ansiedeln.
Die Republik Serbien hat all diese Schritte unternommen, um sich möglichst rasch an den Westen anzunähern. Die vermeintlichen Erfolgsstories anderer ex-sozialistischer Staaten – insbesondere Slowenien und Polen – weckten Begehrlichkeiten in den lokalen Eliten. Als Gegenleistungen für immer neue Reformen und die Auslieferung immer weiterer Ex-Militärs versprachen Berlin und Brüssel Belgrad die EU-Mitgliedschaft. In Serbien glauben immer weniger Menschen, dass diese Versprechen je erfüllt werden.