Zur Gedenkstunde des Bundestags

Auschwitzlügen

Man braucht keine Glaskugel, um zu wissen, was in der am 29. Januar stattfindenden Gedenkstunde des Bundestags zur Befreiung des KZ Auschwitz gesagt werden wird. Neben Bundestagspräsidentin Bärbel Bas werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman aus Odessa sprechen.

Zum 80. Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee werden Krokodilstränen wegen der Ermordung von sechs Millionen Juden aus den Augenwinkeln gedrückt. Warnungen vor neuem Antisemitismus und Extremismus werden ertönen. Und natürlich wird die westliche Demokratieinterpretation gefeiert werden. Deutschland habe schließlich aus seiner Geschichte gelernt und führt deshalb seit 1999 Kriege, um neue Auschwitze zu verhindern.

Steinmeier scheint davon überzeugt, dass die NATO in der Ukraine die Welt vor Russland rettet. Vermutlich wird er sich allzu direkte Hitler-Vergleiche verkneifen. Dass er allerdings 2014 einen Vertrag mit Hitler-Freunden in Kiew unterzeichnet hat, die Putsch und Krieg mitverursacht haben, integriert er mühelos in sein geschichtsvergessenes Weltbild.

Aus ähnlichem Grund dürfte Schwarzman eingeladen worden sein. Er verdankt sein Leben der Roten Armee, die ihn aus dem Ghetto in der ukrainischen Stadt Berschad befreite. Er unterstellt der So­wjet­union Antisemitismus und behauptet, dass man dort nicht über Juden und den Holocaust habe sprechen können. Das sei erst mit der Unabhängigkeit der Ukraine möglich geworden. Den seit 1991 offen grassierenden Banderismus scheint er zu ignorieren. Erst recht, dass der Hitler-Kollaborateur, Terrorist und Judenmörder Stepan Bandera seit 2014 zum Säulenheiligen einer Ukraine auf Westkurs aufgebaut wurde.

So stehen diejenigen, die am lautesten nach Fakten schreien, ziemlich nackt vor den historischen Tatsachen. Sie haben allerdings derart viele Geschichtsweber und Begriffsverbieger, dass sie in ihrer Blase aus Lohnschreibern nichts von alldem merken. Schließlich passt es zu gut zum „besten Deutschland aller Zeiten“. Dass die feinste ideologische Kleidung die Interessen des Wertewestens nicht mehr verdeckt, merken selbst die kleinen Kinder im Rest der Welt.

Antikommunismus, Militarismus und Rassismus gehören von Anfang an zur ideologischen Tünche der Herrenvolkdemokratie des Bürgertums. Besonders in den USA wurde versucht, nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Äußeres mit Freiheits-, Menschenrechts- und Demokratiegerede etwas aufzuhellen. Besonders erhellend ist der Umgang mit dem Antisemitismusbegriff. Bürgerliche Ideologen unterschieden nicht mehr zwischen dem religiös motivierten Antisemitismus des Mittelalters und dem rassistisch begründeten der Faschisten. Damit setzen sie, die sich so gern von den Nazis abgrenzen, an deren Denktradition an. Im bürgerlichen Antisemitismusbegriff wird eine Verbindung zwischen Religion und Rasse gezogen. Damit gelingt es, der antireligiösen So­wjet­union zu unterstellen, sie sei antisemitisch gewesen. Ebenso die bedingungslose Unterstützung Israels – da stört dann die Verquickung von Religion, Staat und Unterdrückung nicht mehr. Gleichzeitig kann man allen Gegnern der Politik Israels unterschiedslos Antisemitismus vorwerfen.

Die Marktschreier der deutschen Staatsräson werden die letzten sein, die merken, welch gemeinsame ideologische Sache sie doch mit den Nazis machen. Wer das „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ reduziert auf ein leeres „Nie wieder ist jetzt“, sollte sich eines Besseren besinnen. Denn zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz gehört auch die Erinnerung an Brechts Mahnung: „Das große Karthago führte drei Kriege …“

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"Auschwitzlügen", UZ vom 24. Januar 2025



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