Pflegende, Gepflegte und Kommunen werden gegeneinander ausgespielt

Ausbeutung optimiert

Kommunalpolitische Kolumne

Mehr als 40 Prozent der stationären Pflegeheime in Deutschland werden von gewinnorientierten Privatunternehmen betrieben. Wie das Recherchenetzwerk „Investigate Europe“ herausarbeitete, stecken hinter vielen Betreibern internationale Pflegekonzerne und Private-Equity-Gesellschaften, deren Geschäftsmodell da­rin besteht, Unternehmen aufzukaufen, „Kostenoptimierung“ zu betreiben, um sie dann mit Gewinn wieder abzustoßen. Der größte Kostenfaktor ist das Personal. Nach Angaben von „Investigate Europe“ wenden die privaten Pflegeunternehmen nur 50 bis 60 Prozent ihrer Umsätze für Personalausgaben auf, während nach Expertenmeinung mindestens 70 Prozent notwendig wären. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich von Verkauf zu Verkauf, von „Optimierungszyklus“ zu „Optimierungszyklus“. Die Folgen sind extreme Arbeitsverdichtung und krankmachende Belastungen für die Beschäftigten.

010503 vincent - Ausbeutung optimiert - Gesundheitspolitik, Pflegenotstand - Politik
Vincent Cziesla

Für die Pflegebedürftigen gehen diese Verhältnisse mit einem höheren Gesundheitsrisiko sowie mangelnder Pflege und Betreuung einher. Hinzu kommen die finanziellen Belastungen. 2.125 Euro im Monat betrug die durchschnittliche Zuzahlung für einen Platz in einem deutschen Pflegeheim im Jahr 2021. Viele Rentnerinnen und Rentner können sich das nicht leisten. Knapp 35 Prozent der Heimbewohner beziehen „Hilfe zur Pflege“ nach dem SGB XII. In diesen Fällen springt das Sozialamt ein, um die Heimkosten zu decken. Im Gegenzug wird auf das Einkommen und Vermögen der Pflegebedürftigen zugegriffen. Den Leistungsbeziehern bleibt nur noch ein „Barbetrag“ von durchschnittlich 120,42 Euro im Monat, um für den eigenen Bedarf einzukaufen, zum Friseur zu gehen oder am kulturellen und sozialen Leben teilzuhaben.

Für die „Hilfe zur Pflege“ sind die Sozialämter in den Kreisen und Kommunen zuständig. Im vergangenen Jahr stiegen die Ausgaben hierfür um 19 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro an, wie kürzlich eine Anfrage der Partei „Die Linke“ ergab. Hintergrund dieser Steigerung ist, dass die Kinder von Pflegebedürftigen nur noch ab einem Einkommen von 100.000 Euro zur Mitfinanzierung des Pflegeplatzes herangezogen werden. Eine positive Entwicklung, die allerdings ohne jede Gegenfinanzierung verabschiedet wurde. „Die desolate Pflegepolitik des Bundes nimmt die Kommunen finanziell aus wie eine Weihnachtsgans“, erklärte der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND).

Der Wahnsinn hat System: Steigende Pflegekosten werden direkt an die Pflegebedürftigen weitergegeben, während die Profite der „Pflegeindustrie“ unangetastet bleiben. Damit erhöht sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger, die wiederum von den Kommunen aufgefangen werden müssen. Am Ende wird jeder politische Fortschritt im Keim erstickt, während Pflegende, Gepflegte und Kommunen ausgenommen und gegeneinander ausgespielt werden. Diese Finanzierungssystematik macht Pflegeheime zu Gelddruckmaschinen für die großen Fonds. Im Rahmen der letzten „Pflegereform“ sollten wenigstens die Heimbewohner entlastet werden. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte versprochen, den Eigenanteil auf 700 Euro zu begrenzen. Übrig blieb eine gestaffelte Bezuschussung zu den reinen Pflegekosten, die wiederum nur einen Bruchteil der privaten Zuzahlung ausmachen. Im ersten Jahr beträgt dieser Zuschuss 5 Prozent. Ab dem zweiten Jahr setzt dann eine Steigerung ein. „Blanker Hohn“, kritisierte die „Deutsche Stiftung Patientenschutz“ gegenüber dem „RND“. Schließlich würde die Hälfte der Pflegeheimbewohner schon im ersten Jahr versterben. Und die Ampel? Laut Koalitionsvertrag will die neue Regierung hauptsächlich „beobachten“ und „prüfen“. Eine echte Reform, die diesen Namen auch verdient hätte, ist weiterhin nicht zu erwarten.

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"Ausbeutung optimiert", UZ vom 7. Januar 2022



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