Eine Graphic Novel über die Arbeit in der kanadischen Ölindustrie

Ausbeutung extrem

2005 hat Kate Beaton im beschaulichen Cape Breton im kanadischen Nova Scotia keinerlei Chance, ihr Studiendarlehen abzubezahlen. Es gibt keine Arbeit, für eine studierte Historikerin schon gleich gar nicht. Also trifft Kate eine Entscheidung, die sie für immer verändern wird, und macht sich auf nach Alberta, denn dort – so sagt man – gibt es Jobs in Hülle und Fülle, solche, die gutes Geld bringen, noch dazu. Denn es ist die Zeit des kanadischen Ölrausches.

17 Jahre später hat sie über ihre zwei Jahre auf den kanadischen Ölsanden einen Comic veröffentlicht, der in vielschichtigen Bildern und Geschichten davon erzählt, was mit Menschen passiert, die unter Extrembedingungen leben und arbeiten.

Auf den Ölsanden wohnen nur wenige der Arbeiter in richtigen Wohnungen in richtigen Städten. Die meisten leben in Camps, über Monate von ihren Familien getrennt. Kate, die in der Werkzeugausgabe anfängt, ist eine der wenigen Frauen auf dem Gelände.

Die Männer gehen schwerer, gefährlicher, giftiger Arbeit nach. Erst spät wird Kate darauf aufmerksam, was die Umweltzerstörung durch den Ölabbau in Alberta für die Lebensgrundlage der Stämme der First Nation bedeutet, dass die Krebsraten dort exorbitant sind. Im Nachwort erwähnt die Autorin, dass sie nie vergessen wird, dass die ehemaligen Kollegen aus den Ölsanden diejenigen waren, die als erste Geld sammelten und schickten, als ihre Schwester (vermutlich durch die Arbeit bei den Ölfirmen) an Krebs erkrankte und schließlich starb.

Da ihr für das Ausmaß des Schadens, das die Profitgier der Ölunternehmen Mensch und Natur in Alberta antun, erst noch die Augen geöffnet werden mussten (einen Moment, den sie im Comic schön festhält: die junge Kate sieht ein YouTube-Video von Celone Harper, einer Ältesten der Cree-Gemeinschaft), beschäftigt sie sich zuerst mit den sie unmittelbar betreffenden Auswirkungen.

Sexismus ist in den Ölsanden allgegenwärtig. Sprüche über und Übergriffe auf die wenigen anwesenden Frauen an der Tagesordnung. Auch Kate wird Vergewaltigungen erleben, ist sich aber sicher, dass diese von den Tätern nicht als solche angesehen werden. Für die ist es eher ein kurzer Ausbruch aus der allgegenwärtigen Langeweile.

Schnell kommt Kate auf die Frage, ob es das Sein ist, das diese Männer bestimmt, ob ihr Vater, wäre er auf die Ölsande gegangen, auch zu einem geworden wäre, der jungen Frauen anzüglich nachstellt. Mehrmals kommt in den Bildern und Dialogen das Erstaunen Kates zum Ausdruck, wenn sie erfährt, dass die Männer, mit denen sie zusammenarbeitet, Kinder haben – oft erfährt sie es nur durch einen zufälligen Blick auf Portemonnaies mit Familienbildern drin.

Kate Beaton schafft es, ihre eigene Erfahrung nicht zu verharmlosen und doch die Täter nicht zu Monstern abzustempeln. Sie sucht nach den Ursachen und findet sie in den unmenschlichen Arbeitsbedingungen, in die die Ölkonzerne die Arbeiter zwingen, den unzureichenden Lebensbedingungen, in dem Annehmlichkeiten wie ein eigenes Bad (oder wenigstens eigene Duschen für Frauen) der Profitmaximierung zum Opfer fallen, und in der unzureichenden Arbeitssicherheit.

Wenn man unter solchen Bedingungen leben und arbeiten muss, ist es kein Wunder, dass man sich in Drogen und Alkohol flüchtet, aber es ist auch kein Wunder, wenn einem die Menschlichkeit gleich ganz abhanden kommt. Und so zeichnet Kate Beaton ein vermutlich realistisches Bild ihrer Erlebnisse in den Camps in Alberta, eliminiert aber auch nicht die anständigen Kollegen aus der Geschichte, um ihr Argument zu stärken.

Was bleibt, ist eine Geschichte von einer jungen Frau, die sich weigert, vor den Umständen zu kapitulieren (obwohl sie oft sehr kurz davor ist), und an ihrem Ziel, den Studienkredit abzuzahlen, festhält. Vor allem aber erzählt sie die Geschichte absoluter Ausbeutung von Mensch und Natur, in der auf nichts mehr Rücksicht genommen wird.

Kate Beaton
Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden
Reprodukt Verlag, 438 Seiten, 39 Euro

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"Ausbeutung extrem", UZ vom 23. Juni 2023



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