Gesetz gegen EU-Bürger geplant

Ausbeuten ja, soziale Rechte nein

Von Philipp Kissel

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will das Recht von EU-Bürgern auf Sozialleistungen per Gesetz abschaffen. Dies ist eine Reaktion auf ein Urteil des Bundessozialgerichts, das arbeitslosen EU-Bürgern wenigstens Sozialhilfe zugestand. Das Sozialgericht Berlin hatte daraufhin ein Urteil gefällt, das dem obersten Sozialgericht entgegenläuft, Sozialhilfe verweigert und ein Recht auf das Existenzminimum insgesamt abstreitet. EU-Bürger sollten doch einfach in ihr Heimatland zurückgehen, wenn sie Sozialleistungen haben wollten, argumentierten die Richter. Bereits seit vier Jahren, seit der Krise und dem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit in Europa will die Bundesregierung die Verpflichtung zu Sozialleistungen für EU-Bürger loswerden.

Wen betrifft das Gesetz? Zunächst alle EU-Bürger. Das waren Ende 2014 3,6 Millionen Menschen und damit 45 Prozent der gesamten ausländischen Bevölkerung. Die größte Gruppe unter den EU-Bürgern waren mit 1,1 Millionen Bürger aus Griechenland, Italien und Spanien. Dahinter folgten eine Million Menschen aus Polen und Ungarn und ca. 800 000 aus Rumänien, Bulgarien und Kroatien.

Die CSU hetzt gegen diese Kollegen mit den Schlagworten „Sozialtourismus“, die SPD macht mit und will schärfere Gesetze. Der erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz (SPD) machte den Vorschlag, erst nach einem Jahr Arbeit soziale Rechte zu gewähren und sagte: „Wanderungsbewegungen, die durch höhere Sozialleistungen motiviert werden, will aber keiner.“

Wie ist die Beschäftigung unter den EU-Bürgern? Im vergangenen Jahr kamen laut Zuwanderungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Vergleich zum November 2014 340 000 mehr Menschen aus den 28 EU-Staaten nach Deutschland. Der Zuwachs war damit etwas stärker als der von Menschen aus Kriegs- und Krisenländern, aus denen 334 000 mehr als im November 2014 kamen. Auch die Beschäftigung der ausländischen Bevölkerung ist gewachsen, die offizielle Arbeitslosenquote um 0,2-Prozent-Punkte auf 14,4 Prozent gesunken. Zugleich ist die absolute Zahl der ausländischen SGB II-Leistungsbezieher im Vergleich zum September 2014 um 130 000 gestiegen. Aus Bulgarien und Rumänien kamen 141 000 mehr Menschen, davon waren 85 000 mehr beschäftigt als im Jahr zuvor. Die Beschäftigungsquote lag bei allen bei 60 Prozent.

Im September 2015 bezogen 112000 Bulgaren und Rumänen Leistungen nach dem SGB II, die Leistungsbezieherquote stieg damit auf 17,2 Prozent. Hintergrund ist, dass der Anteil der „Aufstocker“ bei Bulgaren und Rumänen besonders hoch ist – mit 42 Prozent im Vergleich zu 30 Prozent der ausländischen Bevölkerung insgesamt.

Die meisten der EU-Einwanderer arbeiten – und zwar sehr hart – in schlecht bezahlten Jobs. Ihr Ziel ist nicht das Sozialamt, sondern Arbeit und Ernährung der Familie. Sie sind also keine Touristen, sondern mussten ihre Heimat verlassen weil sie dort keine Perspektive haben.

Der Durchschnittslohn eines Vollzeitbeschäftigten in Bulgarien beträgt 415 Euro im Monat – brutto. Sozialleistungen gibt es kaum, die Armut ist die höchste in Europa. Ohne die Löhne, die Verwandte aus dem Ausland schicken, würden viele Bulgaren und Rumänen nicht überleben. Ihre Länder sind weitgehend deindustrialisiert, nachdem die heimische Produktion der Konkurrenz der Monopolkonzerne der EU, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, unterlegen waren. Die Einbindung in den Binnenmarkt brachte Profite für die „Champion-Konzerne“ aus der EU und Armut für die Menschen.

Spätestens seit der Krise 2008 sind auch die südeuropäischen Länder von sehr hoher Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut betroffen. Der Niedergang ist die Ursache für die Auswanderung vieler Arbeitskräfte.

Da die Lage sich weiter verschlechtert, verschärft sich auch der Druck. 2015 gab es 422 000 Hartz IV-Empfänger aus EU-Ländern, 17 Prozent mehr als im Vorjahr, darunter 62 000 Bulgaren. Die Städte und Gemeinden gehen von 130 000 Sozialhilfeberechtigten aus, die nach dem Urteil des BSG Anspruch auf Sozialhilfe hätten. Das wären Mehrkosten von 800 000 Euro.

Die Antwort der Bundesregierung ist: Entrechten und ausweisen – kein Recht auf Leistungen. Wer nach sechs Monaten keinen Job gefunden hat, soll ausgewiesen werden.

Die Antwort der Arbeiterbewegung muss sein: Gegen den Sozialabbau, der nur zu schärferer Konkurrenz der Arbeiter untereinander führt. In allen EU-Staaten muss gemeinsam für höhere Löhne gekämpft werden. Wir brauchen ein Bewusstsein darüber, dass die EU dazu geschaffen wurde, die Kosten der Arbeitskraft zu senken und die Arbeiterrechte zu beschneiden; deshalb muss sie bekämpft werden.

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"Ausbeuten ja, soziale Rechte nein", UZ vom 15. Januar 2016



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