Berliner Schulbauoffensive: Steuergeld verschwindet im Gewinn

Aus Mangel reich

Von Uli Scholz

Das private Geldkapital zu erhalten und zu vermehren ist nicht einfach, wenn die Zinsraten am Geldmarkt sinken. Damit Reiche trotzdem reicher werden, verschafft der bürgerliche Staat diesem Klientel neuartige Anlagemöglichkeiten. So untersagt die „Schuldenbremse“ den Bundesländern ab 2020, ihre Schulden zu erhöhen, um sie zur Übergabe der staatlichen Daseinsvorsorge an private Investoren zu zwingen.

In Berlin hat das neue Anlagevehikel die finanzielle Dimension eines weiteren Berliner Großflughafens. Es geht um die Finanzierung des Neubaus oder der Gesamtsanierung von mehr als 50 Berliner Oberschulen durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE GmbH mit anschließender Vermietung an die bisher für den Schulbau zuständigen Stadtbezirke. Der Inhalt der dafür nötigen Verträge unterliegt dem Geschäftsgeheimnis der formell privatrechtlichen HOWOGE, der Senat schreibt aber vor, dass die Mietzahlungen etwa 30 Jahre lang nicht gekündigt oder verringert werden dürfen – auch bei schlechter Erfüllung der vereinbarten Leistungen. Da die tatsächlichen Kosten Jahre, bevor sie überhaupt entstehen, natürlich unbekannt sind, sollen die Mietverträge die Investoren gegen jedes nur denkbare Risiko absichern. Dementsprechend kalkuliert der Berliner Senat die Kosten der Neubauten um 92 Prozent und die der Großsanierungen um 109 Prozent über dem Marktpreis, wie die Initiative „Gemeingut in Bürgerinnenhand“ vor Kurzem aufdeckte. Im Vergleich zum öffentlichen Schulbau im Bundesgebiet werde Berlin etwa 800 Millionen Euro zusätzlich zahlen. „Falls die Reserven nicht nötig werden, verschwinden sie eben im Gewinn“, erläuterte Michael Mackenroth von der Berliner Architektenkammer in der Berliner Zeitung.

Die GEW Berlin lehnt die Privatisierung des Schulbaus ab, während der DGB keine einheitliche Position dazu finden konnte. Die momentane Schwäche der Linken zeigt sich auch darin, dass die Kreditverlagerung in eine landeseigene GmbH von Politikern der Partei „Die Linke“ selbst schon 2016 in Positionspapieren gefordert worden ist. Sie setzten sie gemeinsam mit den Grünen und der SPD im November 2018 durch, als sie die Volksinitiative „Unsere Schulen“ im Berliner Abgeordnetenhaus zum Scheitern brachten. Vor wenigen Monaten sorgte die Linkspartei auch in Bremen dafür, dass die formelle Privatisierung nach dem Berliner Modell dort Schule macht. Das Kalkül ist vermutlich, die im Landeshaushalt erst Jahre später anfallenden, erst einmal aber „gesparten“ Gelder in Wahlgeschenke und Wählerstimmen umzumünzen, in Berlin bei der Wahl 2021.

Das Kalkül könnte falsch sein, weil „Konsolidierungshilfen“ und -auflagen des Bundes dazu geführt haben, dass einige Berliner Schulen infolge steigender Schülerzahlen seit Jahren immer mehr neue Klassen aufnehmen, Räume doppelt nutzen und Teilungsräume sowie Lehrerzimmer als Klassenräume verwenden. Zwar gibt es für die Überbelegung keine physikalische Grenze, der Mängel- und Leidensdruck wächst aber, zumal die HOWOGE noch nicht einmal angefangen hat, auch nur eine einzige Schule zu errichten.

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"Aus Mangel reich", UZ vom 27. September 2019



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