Umweltverbände warnen vor Streckbetrieb der Atomkraftwerke

Aus für Ausstieg?

Rolf Jüngermann

Der Zeitpunkt rückt näher, wo den Bürgern der BRD die Rechnung präsentiert wird für die Kriegstreiberei ihrer Regierung. Der NATO-Krieg wird mit bisher nicht vorstellbarem Wohlstandsverlust und anderem Ungemach auch in Deutschland ankommen. Die Preissprünge beim Erdgas werden Millionen Haushalte, Kleinbetriebe und Industriekunden mit voller Wucht treffen. Beim Kaltduschen und Frieren wird es absehbar nicht bleiben. Die Träume von einer rechtzeitigen Überwindung der Gaskrise sind – gerade auch nach der kürzlich erfolgten endgültigen Absage aus Katar – ausgeträumt. Da mag Wirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber der Öffentlichkeit noch so oft hoffnungsvollen Optimismus simulieren. Und im Gefolge der Gaskrise zeichnet sich die Stromkrise ab. Die Nervosität angesichts dessen, was da auf „uns“ zukommt, steigt unaufhaltsam. Außenministerin Baerbock (ebenfalls Bündnis 90/Die Grünen) macht bereits öffentlich Vorschläge, wie mit dem zu erwartenden massenhaften Widerstand umzugehen sei.

Auf der Suche nach Auswegen aus dem selbstverschuldeten Energiedilemma geraten nun auch die Atomkraftwerke (AKW) wieder in den Blickpunkt. Auf EU-Ebene werden Investitionen in Atomkraft mittlerweile als „nachhaltig“ eingestuft. Einige EU-Länder, darunter Ungarn, Rumänien, die Slowakei und auch Frankreich, drängen die BRD, die verbliebenen drei AKW als einen Solidarbeitrag zur Gaseinsparung in Europa nicht abzuschalten. Hierzulande werden die Stimmen immer lauter, die letzten drei noch laufenden AKW (Emsland, Isar 2, Neckarwestheim 2) über den rechtlich zwingend vorgeschriebenen Schluss des Leistungsbetriebs zum Jahresende 2022 hinaus weiter zu betreiben. Sogar die rasche Wiederinbetriebnahme der drei AKW, die Ende vergangenen Jahres stillgelegt wurden (Brokdorf, Grohn­de, Gundremmingen C), wird gefordert. In dieser Richtung tun sich vor allem Vertreter von FDP und CDU/CSU hervor. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken lehnt zur Zeit Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke ab. Bundeskanzler Olaf Scholz (ebenfalls SPD) jedoch hat sich vor Kurzem offen für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke gezeigt. Selbst der grüne AKW-Widerstand bröckelt. Zwar hat sich die Stellvertretende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang gegen eine Verlängerung ausgesprochen, jedoch schließt Grünen-Politiker Robert Habeck einen Weiterbetrieb der verbliebenen AKW in Deutschland über das Jahresende hinaus unter bestimmten Voraussetzungen nicht aus. Und der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, spricht sich sogar offen für den Bau neuer AKW in Deutschland aus. „Wir müssen eine Debatte über den Bau von neuen Atomkraftwerken führen. Weltweit werden derzeit 50 neue Atomkraftwerke gebaut, die Technik hat sich weiterentwickelt“, so Wolf.

Sollte allerdings wirklich ein längerfristiger Betrieb der noch arbeitenden AKW angepeilt werden oder sollten gar stillgelegte AKW reaktiviert werden, bedarf es neuer Brennstäbe, die kurzfristig nicht zu haben sind. Die Bundesregierung hat inzwischen bei dem Atomkraftwerksbauer Westinghouse angefragt, wie schnell neue Brennstäbe verfügbar wären, nachdem EONs Atomtochter Preussenelektra schon im März darauf hingewiesen hatte, dass man mit Lieferzeiten von circa 1,5 Jahren rechnen müsse und der Großteil des dafür benötigten Urans in der Vergangenheit aus Russland und aus Kasachstan bezogen wurde.

Als technischen Gutachter zur AKW-Laufzeit hatte man im Auftrag des Bayerischen Umweltministeriums ausgerechnet den TÜV Süd erkoren, der gerade in München wegen des Verdachts auf ein für hunderte Brasilianerinnen und Brasilianer tödliches Gefälligkeitsgutachten seines brasilianischen Ablegers über die Sicherheit eines Staudamms vor Gericht steht. In seinem inzwischen von einschlägiger Seite vielzitierten Gutachten hält der TÜV Süd sowohl den Weiterbetrieb des AKW Isar 2 als auch die Wiederinbetriebnahme des bereits abgeschalteten Blocks C in Gundremmingen sicherheitstechnisch für möglich. In einem im Auftrag von Greenpeace erstellten Rechtsgutachten heißt es dazu unter anderem, die Bewertung sei „offenbar für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt“ gewesen. Der TÜV Süd bescheinige, was der Auftraggeber wünsche. Auch die offenkundig kurze Bearbeitungsdauer des TÜV nähre den Verdacht, „dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist“. Und die Umweltorganisation BUND kommt in einem qualifizierten Gegengutachten zu dem Urteil, dass der Beitrag einer AKW-Laufzeitverlängerung zur Energieversorgung sehr begrenzt wäre und dass ein Weiterbetrieb, wenn überhaupt, nur erfolgen könne, wenn Abstriche bei der Sicherheit in Kauf genommen würden, dass daher eine Laufzeitverlängerung nicht empfohlen werden kann.

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"Aus für Ausstieg?", UZ vom 12. August 2022



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