Einige Neuerscheinungen, keine Empfehlungen

Aus der Bücherkiste

Von H. B.

Einem politischen Thema, das nicht in Vergessenheit geraten darf, widmet sich Uwe Timm in seinem neuen Roman „Ikarien“. Es geht um Rassentheorie, um Rassenpolitik und besonders um die Verbrechen unter dem beschönigenden Namen Euthanasie. Timm erzählt uns die Lebensgeschichte eines führenden Vertreters des deutschen Rassismus, Alfred Ploetz, der bereits in den 1880er Jahren für die „Reinheit des deutschen Blutes“, nicht nur Stimmung machte, sondern in weiten Teilen der Bourgeoise und im aufkommenden deutschen Faschismus Beachtung und Zustimmung fand. Er starb, hochgeachtet 1940 und konnte die „Früchte“ seiner Bemühungen nicht mehr ausreichend erleben.

Pikant an seinem Leben ist, dass er sich als junger Wissenschaftler für das Projekt „Ikarien“ begeisterte, einer nach Étienne Cabets gleichnamigem utopischen Roman sich in Nordamerika ansiedelnden Gruppe, die wirren urkommunistischen Idealen folgend eine neue Gesellschaft aufbauen wollten. Ploetz besuchte die Gruppe, drehte dann aber ab mit der Vorstellung, dass es für eine „Neue Gesellschaft“ der Erbgesundheit und der Abwehr fremder Völker bedürfe.

Wie Uwe Timm dies erzählt, ist dann leider etwas bemüht, denn er baut eine Rahmenhandlung ein, die für diese eigentlich wichtige politisch-ideologische Herausbildung des Rassismus völlig überflüssig ist: Ein US-Soldat wird nach Ende des II.Weltkriegs damit beauftragt, den Spuren Ploetz‘ zu folgen, dabei trifft er einen alten Antiquar, der sich in einem Keller zwischen und unter Buchregalen sich versteckt hatte, deutsche „Fräuleins“, die sich anbieten, wenig begeisterte Vorgesetzte und ein gesellschaftliches Klima in Bayern, wo man sich Ruhe wünscht und kein Interesse daran hat, die „alten Zeiten“ gründlich zu begreifen.

Uwe Timm, der uns mit vielen Romanen und Erzählungen über viele Jahre begeistert hat, hat hier leider kein neues Meisterwerk vorgelegt, es ist zu geschwätzig, hat zu viele Wiederholungen und bekanntlich sind erotische Szenen, die von alten Männern geschrieben werden, selten amüsant.

Horst Eckert hat schon einige gute Krimis geschrieben, seine Figur Vincent Veith ermittelte bereits in einigen spannenden Fällen, auch mit aktuellem politischen Hintergrund. In diesen Tagen erscheint nun sein neuer Band „Der Preis des Todes“ und ist ärgerlich. Eine Anein­anderreihung von Klischees, schon zigmal gelesener Abläufe und einer Personenführung, die absehbar ist, verdirbt den Lesespaß schon nach 50 bis 60 Seiten. Ein ermordeter MdB, smart und auf dem Karrieretrip, eine TV-Moderatorin, die was wittert, ein undurchsichtiger Pharmakonzern, Geschäfte mit Organhandel in Flüchtlingslagern und ein schwerkranker Kommissar, der allen Widrigkeiten zum Trotz aufklären will. Poetisch soll wohl sein „der Montagmorgen begann mit blauem Himmel“; realistisch soll sein, dass Hotels und Ministerien in Berlin präzise beschrieben werden; spannend soll sein, wenn Politiker sich rausreden und Staatsanwälte ihre Arbeit machen oder ein Feature der TV-Tante geschnitten wird. Eckert kennt sich damit aus, schon mehrere seiner Bücher waren Drehbuch-Vorlagen. Über 400 Seiten, die die Zeit nicht lohnen, selbst wenn man irgendwann nur noch quer liest.

2010 machte das Büchlein von Stéphane Hessel „Empört Euch“ viel Wirbel und Auflage. Nun gibt es ein umfangreicheres Buch mit dem Titel „Empörung reicht nicht“, verfasst von Mehmet Daimagüler, einem Nebenklägervertreter im noch immer laufenden Münchener NSU-Verfahren. Engagiert und wortgewaltig können wir sein Plädoyer auf über 250 Seiten nachlesen, zusätzlich liefert Daimagüler einen Überblick über den Stand der Erkenntnisse, die im Prozess gewonnen wurden. Aber seine Vorstellungen davon, was Ursache, was Wirkung, was behördliches Versagen und was gewolltes Handeln war, krankt an der Beschränktheit, den bürgerlichen Staat als das auszumachen, für was er steht, die Interessen, die er selbst hat und die, denen er dient. Sein Plädoyer, mehr zu tun, als sich zu empören, kommt über die Beschwörung, dass dies „unser“ Staat sei, „unsere“ Demokratie, „unser“ Rechtsstaat, nicht hinaus. Eigentlich belässt er es bei Empörung   und Betroffenheit.

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"Aus der Bücherkiste", UZ vom 16. März 2018



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