Patrik Köbele zu den Lehren aus den Märzkämpfen 1920

Aus der Abwehr in die Offensive

Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, war als einer der Redner zu einer Veranstaltung eingeladen, die die Partei „Die Linke“ mit Unterstützung der örtlichen DKP und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dinslaken durchführte. Im Folgenden dokumentieren wir seine Rede, in der er sich auch auf eine zuvor gehaltene Rede von Bernd Riexinger, dem Vorsitzenden der „Linken“ bezieht. Die Veranstaltung fand am 8. März, also noch vor der massiven Verschärfung der Coronapandemie in Deutschland, statt.

Eine ganz wichtige gemeinsme Errungenschaft des Lernens aus der Geschichte ist, glaube ich, dass es für Linke, dass es für die Arbeiterbewegung, für die Arbeiterklasse, keineswegs egal ist, in welcher Herrschaftsform der Kapitalismus auftritt. Er kann im autoritären, ja faschistischen Gewand auftreten, er kann im bürgerlich-parlamentarischen Gewand auftreten, und natürlich ist es so, dass die Kampfbedingungen in seiner bürgerlich-parlamentarischen Erscheinungsform wesentlich besser für die Arbeiterbewegung, für die Arbeiterklasse sind, und deswegen dieser Unterschied nicht unterschätzt werden darf. Ihr merkt dem Satz an, da kommt ein Aber: Es darf aber nicht vergessen werden, dass es sich trotzdem noch um Kapitalismus handelt. Und insofern würde ich den von Bernd Riexinger zitierten Satz der KPD, „Wir führen diesen Kampf gegen den Kapp-Putsch nicht nur, um die alte bürgerliche Regierung wieder einzusetzen, sondern wir führen ihn auch, um hinzukommen zu einer proletarischen Regierung“, nicht als Sektierertum deuten. Weil ich tatsächlich glaube, dass eine wichtige Lehre für heute darin liegt, dass aus Abwehrkämpfen die Dynamik zur Offensive folgen kann. Das ist eine These, die ich aus den Märzkämpfen folgere. Es war ja tatsächlich so, dass die Märzkämpfe das Hinausgehen über den Abwehrkampf darstellen und insofern eine Lehre sind, was aus Abwehrkämpfen entstehen kann. Ich halte das heute für wichtig, das müssen wir doch auch ganz klar sagen, dass wir, die Arbeiterklasse, die Arbeiterbewegung, die Linken, durchgängig und weltweit in der Defensive sind. Das Monopolkapital ist weltweit in einer Offensive, die ungeheuer gefährlich ist. Wenn wir daran denken, dass im Moment tausende US-Soldaten, tausende NATO-Soldaten durch unser Land an die russische Grenze transportiert werden, dann ist das ein Teil dieser Offensive des Monopolkapitals, und die kalkuliert ja durchaus die Gefahr eines Krieges ein, indem sie eine NATO-Strategie verfolgt, die aus unserer Sicht die Umzingelung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China als Kernmoment hat und brandgefährlich ist. Und deswegen heißt es tatsächlich, den Abwehrkampf zu führen. Das heißt jetzt, auf die Straße zu gehen und zu sagen: Defender 2020 muss gestoppt werden. Wo Kriegstreiber marschieren, ist Widerstand Pflicht. Das heißt aber auch, zu analysieren, dass dahinter eine Strategie der deutschen herrschenden Klasse steckt: eine Strategie der Integration in die NATO, der Integration in die EU, und dass diese Integrationen etwas mit dieser Kriegssituation zu tun haben.

Gegen Militarisierung
Die zweite These, die ich, ausgehend von den Märzkämpfen, von der Niederschlagung des Kapp-Putsches, aufstellen möchte, ist: Es hat sich damals gezeigt, dass die Kraft der Arbeiterklasse tatsächlich in der Lage ist, reaktionäre Anschläge zurückzuweisen, eine reaktionäre Regierung zu stürzen, dass diese Kraft dann vorhanden ist, wenn die Arbeiterklasse einig handelt. Das stimmt auch heute noch, glaube ich. Ich glaube, dass diese Kraft objektiv da ist, auch gesellschaftliche Angriffe, die es in diesem Land genügend gibt – wir haben schon einige genannt, die Agenda-Gesetze, den Militarismus – zurückzuweisen. Es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass es jetzt Freifahrten für Uniformträger gibt. Das hat doch etwas damit zu tun, dass man uns daran gewöhnen will, dass in diesem aggressiven deutschen Imperialismus die Uniform wieder zum Straßenbild gehört. Und wenn ich mir die Bundeswehrwerbungen heute angucke, dann muss ich sagen. vor zwanzig bis dreißig Jahren hätte doch solch eine Werbung nicht einen Tag überlebt. Das ist auch richtig so. Wir müssen gegen diesen Militarismus angehen, und ich ärgere mich immer, dass wir dieses Zeug hängen lassen. Das muss man auch mal abnehmen.

Die scharfe Waffe Streik
Und das wäre die dritte These, die ich hätte, angesichts der Märzunruhen. Franz-Josef Degenhardt hat in einem sehr schönen Lied – „Lied für die ich es sing“ heißt es – ein paar Zeilen drin, wo er über Menschen singt, die für ihn Vorbilder sind. Er sagt: „Die machen vieles so ohne Netz, und, wenn es nottut, auch ohne Gesetz.“ Und da müssen wir doch sagen, der Kapp-Putsch wäre doch nicht verhindert worden, wenn die Arbeiterbewegung gesagt hätte: Wir halten uns jetzt an Recht und Gesetz. Man muss doch auch sagen, dass es ein großes Problem der bundesdeutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ist, dass man in Permanenz zulässt, dass wir eigentlich ein kastriertes Streikrecht haben. Jetzt haben wir, ich nehme ein Beispiel, einen hervorragenden DGB-Aufruf gegen Defender 2020. Das hat mich überrascht, gebe ich zu, er ist wirklich hervorragend. Aber gleichzeitig haben wir doch die Situation, dass eigentlich die Klasse die Brocken hinschmeißen müsste. Sie tut es nicht, weil wir alle – da mache ich keine Funktionärsschelte –, die ganze Arbeiterbewegung, die Gewerkschaftsbewegung, uns daran gewöhnt haben, dass es in Deutschland angeblich kein politisches Streikrecht gibt. Und das werden wir uns erkämpfen müssen, auch als eine Konsequenz aus den Märzkämpfen, weil es nicht geht, ohne dass die Arbeiterklasse sagt: Wir lassen uns nicht auf ökonomische Kämpfe reduzieren. Es gab ja Ansätze. Ich kann mich noch erinnern, in der Friedensbewegung der 80er-Jahre, da gab es diese fünf Mahnminuten für den Frieden. Viele haben das damals belächelt. Ich war damals Vorsitzender der Jugendvertretung bei Daimler-Benz in Stuttgart-Untertürkheim. Ich habe das nicht belächelt, weil ich gesagt habe: Wenn die Kolleginnen und Kollegen, und wenn es auch nur für fünf Minuten ist, die Arbeit niederlegen für den Frieden, dann ist das im Kopf ein Streik für den Frieden, und dann ist das tatsächlich eine zarte Pflanze dessen, was wir brauchen, weil es eben auch zum Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse gehören muss, dass sie ihre schärfste Waffe, nämlich den Streik, auch politisch einsetzt.

Rechtsentwicklung
Meine nächste These, die ich aufstellen will, ist nicht so schön. Was uns diese Märzunruhen auch zeigen, ist: Die herrschende Klasse ist notfalls und auch unter nichtfaschistischen Bedingungen – das war kein Faschismus, 1920 – notfalls bereit, zur Verteidigung ihrer Herrschaft mit aller Brutalität und Gewalt vorzugehen. Wir leben nicht in einer solchen Phase. Aber die Polizeiaufgabengesetze sind kein Ausrutscher. Sie sind ein Vorblick auf eine Zeit, die die herrschende Klasse zumindest einkalkuliert, nämlich dass ihr Integrationsmodell, mit dem sie im Moment noch gut fährt, brüchig werden könnte. Und dann müssen wir uns klar sein, sie kann auch anders, wenn nicht die Arbeiterklasse einig dagegen steht. Wir haben es in diesem Land mit einer Rechtsentwicklung zu tun und die AfD ist nicht die Rechtsentwicklung, sie ist ein Ergebnis der Rechtsentwicklung. Zur Rechtsentwicklung gehören genauso der Jugoslawienkrieg und die Agenda-Gesetze. Und wenn man das voneinander trennt, dann fängt man an zu moralisieren. Das nützt nichts im antifaschistischen Kampf. Wir müssen Mitglieder der SPD, der Grünen, der CDU mit in die antifaschistischen Kämpfe nehmen. Aber wir müssen sie auch vor den Widerspruch führen, dass ihre Parteien gleichzeitig die Verursacher der Rechtsentwicklung sind.

„Die Linke“
Es steht mir nicht zu, mich in die inneren Angelegenheiten der Partei „Die Linke“ einzumischen. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, dass mir ein Bernd Riexinger, der Richtiges sagt, was die Frage angeht, dass natürlich ehemalige Kapitalisten im Sozialismus arbeiten werden müssen, zehnmal lieber ist als jemand, der einen AfDler zum Vizepräsidenten eines Landtags werden lässt. Ich stimme auch zu, dass Geschichte umkämpft ist und sein muss. Aber da möchte ich mir eine kleine Kritik an der Rosa-Luxemburg-Stiftung nicht schenken. Wenn man in der Einladung zur heutigen Veranstaltung schreibt, dass der von Gewerkschaften und SPD ausgerufene Generalstreik der zentrale Punkt bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches war, dann hat man natürlich, was den Ausrufungszeitpunkt angeht, historisch recht. Wenn man dann nicht auch schreibt, dass es die Einigkeit der Arbeiterparteien KPD, USPD und SPD mit den Gewerkschaften im Kampf war, dann muss man aufpassen, dass man die Deutungshoheit nicht abgibt.

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"Aus der Abwehr in die Offensive", UZ vom 27. März 2020



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