Wenn ich als kleines Kind aus unserem Küchenfenster schaute, sah ich im Westen immer den schönen, runden Steffelberg vor mir. Abends ging die Sonne hinter diesem Berg unter, die Wolken kamen von Westen her, sie brachten uns Regen und Gewitter. Das ist das Regenloch, sagten die Leute. Ich stellte mir vor, dass die Welt hinter dem Steffelberg zu Ende sei. Dann käme noch ein Bach, und dann wäre die Welt zu Ende.“
Geboren im beschaulichen Eifeldörfchen Auel – hinein in Großfamilie und Dorfgemeinschaft – macht Maria ihren Weg hinaus in die Welt. Als sie zurückkehrt, ist irgendwann ihr Steffelberg nicht mehr da. Weggebaggert! Gegen die Interessen der dort lebenden Menschen und Protestierenden der Interessengemeinschaft Vulkaneifel. Der Berg wurde sozusagen verkauft, ausgebaggert, ausgebeutet. Durch die Lavaindustrie in Tateinheit mit der „genehmigenden“ Politik gerät eine unwiederbringliche Kulturlandschaft in Gefahr. „Der Wald auf und an dem Steffelberg war, wie bei allen Eifelvulkanen, ursprünglich Allmende, Gemeineigentum. Sie waren kein Privatbesitz und konnten nicht verkauft, sondern nur genutzt werden.“ Nach Mies handelt es sich um kapitalismustypische Ausbeutung von unbezahlter und unbezahlbarer Leistung, am Beispiel Natur. Die Kapitalismuskritikerin Maria Mies bringt es in einem modernisierten Marx-Postulat aus dem Kommunistischen Manifest auf den Punkt: „Die Politiker sind nur der ausführende Ausschuss des Kapitals“.
Gesellschaftliche Ursachen von Männergewalt
Mit Scharfblick seziert sie, warum für das neoliberale Modell weltweite Gewalt und militärische Macht unverzichtbar sind (Krieg ohne Grenzen, Köln 2004) und warum sie sich gegenseitig bedingen. Immer wieder eröffnet sie Kampfzonen gegen den aufziehenden Neokolonialismus. Erfolgreich ist sie mit ihren Mitstreitenden gegen den Vorläufer des TTIP, das M. A. I. (Multilaterale Investitions-Abkommen) durch Information über geheim gehaltene Verträge in ihrem ad hoc herausgegebenen „Infobrief gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik“. 2003 veranstaltet die Kölner Soziologie-Professorin den international hochrangig besetzten Kongress „Frauen stoppt GATS – das General Agreement on Trade in Services!“, der von den bürgerlichen Medien keinerlei Aufmerksamkeit erfährt.
Mit ihren StudentInnen an der Fachhochschule – darunter der heutige Soft-Kritiker und Kabarettist Jürgen Becker – unternimmt sie unbequeme Aktionen im öffentlichen Raum, so dass es (vor genau 40 Jahren) gelingt, die Politiker von der Notwendigkeit der Einrichtung des ersten autonomen Frauenhauses in Köln zu „überzeugen“. Stets gilt: Raus aus der Opferrolle! Stattdessen: Systemanalyse. Zu einem Ost-West-Treffen der Frauenhäuser in Kassel hält sie 1999 den Vortrag „Gesellschaftliche Ursachen von Männergewalt“, der in einem großen Bogen ihre weltbürgerlichen Erkenntnisse und Forderungen konzentriert. Sie ist um keine Antwort verlegen, die die medial aufgeputschten Silvester-Ereignisse in Köln und weiteren deutschen Städten Hamburg, Paderborn, Stuttgart für kapitalistische Machtzwecke instrumentalisieren.
Wider die Industrialisierung des Lebens
Vehement widerspricht Maria Mies den schönfärberischen Szenarien der Welternährungsorganisation FAO von 1996, die durch „Freihandel“ den Hunger auf der Welt verschwinden sieht. Das Gegenteil ist der Fall – wie sich 10 Jahre später herausstellt. „Weizen als Waffe“ ist das Ergebnis. In ihrer feministischen Kritik an der Gen- und Reproduktionstechnik erkennt sie „rassistische und sexistische Grundlagen der neuen Fortpflanzungstechnologien“, hautnah erlebt von ihren Mitstreiterinnen in Indien und Bangladesh (ausgehend vom Geburtenkontroll-Programm der Weltbank unter McNamara). Früh (1985) thematisiert Mies Technologie als Mittel „zur Herrschaft über und zur politischen Kontrolle von Menschen“. Eine Erkenntnis, die sie deutlich von feministischen Talk-Show-Couch-Potatoes wie Alice Schwarzer abhebt, lautet, dass es keinen Unterschied macht, „ob Männer oder Frauen diese Technik anwenden und beherrschen“. Mies regt die Gründung einer Männerbewegung an, die sich der zunehmenden Ramboisierung von Männlein und Weiblein widersetzt, damit sie sich letztlich von kriegstauglicher Konditionierung befreien.
Das gute Leben – Subsistenzperspektive
Von Vielen als vorsintflutlich belächelt, weil unverstanden, meint Subsistenzperspektive eine Produktion gemessen am realen Bedarf jenseits der kapitalistischen Profitorientierung, blindem Fortschrittsglauben und der Schaffung künstlicher Bedürfnisse. Als sie diesen Gedanken Mitte der 70er Jahre in die wissenschaftliche Diskussion einführt, war die Welt lange noch nicht bereit für die Idee des pfleglichen Umgangs mit der Natur. Die Ausbeutung von Mensch (vielfach Frau: Frauen, die letzte Kolonie, 1983), Tier und Natur ist ihr durchgehendes Thema (Eine Kuh für Hillary, 1997). „Her mit dem Guten Leben“, fordern die Gewerkschaften. Aber wo das „Gute Leben“ herkommt, und dass mit wenigen Lohnprozenten nur der Konsum steigerbar ist, spielt sich für die Visionärin Maria in einem anderen Kapitel ab, denn „gekaufte Waren beinhalten eigentlich nichts. Es ist tote Arbeit, die materialisiert ist“. Da hält sie es mit dem alten Aristoteles, der formuliert, Ziel der Ökonomie sei ein gutes Leben. Ein gutes, ein einfaches Leben. Schließlich weiß das auf allen Kontinenten dieser Welt zur Frau gewordene Bauernmädchen: Kein Geld der Welt kann Leben erzeugen. Oder zerstörte Berge mit ihrem vernichteten Lebenskosmos wiederherstellen.
Ihr „wichtigstes Buch“ „Patriarchat und Kapital“ wurde 2015 im bge-Verlag mit aktuellem Vorwort neu aufgelegt.