100 Tage nach den Kommunalwahlen in Hessen sprachen wir mit Alfred J. Arndt über das Geheimnis des guten Abschneidens der DKP/Linke Liste und kommunistische Kommunalpolitik in Mörfelden-Walldorf.
UZ: Die Ergebnisse der letzten Kommunalwahlen haben die Mehrheitsverhältnisse in Mörfelden-Walldorf massiv verändert. Welche Vorgeschichte hat dieser „Machtwechsel“?
Alfred J. Arndt: Bei der vorhergehenden Kommunalwahl 2016 hatte sich eine neue Wählergruppe, die Freien Wähler, gebildet, deren führende Mitglieder überwiegend aus dem Banker- und Börsenmakler-Milieu stammen. Ihr Wahlkampf wurde recht populistisch geführt und von einer Werbeagentur unterstützt, hinter der – so wird gemunkelt – Interessen aus dem Bereich der Grundstücksspekulation stehen. Sie erreichte aus dem Stand 22,76 Prozent der Stimmen, zu Lasten der vorherigen Koalition von SPD und Grünen.
Die SPD, 2016 mit 26,57 Prozent immer noch knapp stärkste Partei, schwenkte recht schnell – nach Alibi-Gesprächen mit Grünen und DKP/LL – zu der „neuen Kraft“ um und bildete mit Hilfe der FDP als „Zünglein an der Waage“ eine Koalition, in der sie jedoch bald an Einfluss verlor und zum Erfüllungsgehilfen der ausgeprägt neoliberalen Politik ihrer Koalitionspartner wurde.
UZ: Woran machst du das fest?
Alfred J. Arndt: Die „Markenzeichen“ dieser Koalition waren unter anderem die Erhöhung der Grundsteuer B, die Erhöhung anderer Gebühren, der Versuch, eine Straßenanliegergebühr einzuführen, und der Versuch, die „Grüne Mitte“ zur Bebauung freizugeben. Dabei handelt es sich um das noch immer grüne, unbebaute, mittlerweile teilweise bewaldete Landschaftsstück zwischen den beiden Teilstädten Walldorf und Mörfelden. Gegen alle diese Vorhaben bildeten sich breit aufgestellte, einflussreiche Bürgerinitiativen, die allesamt von der DKP/LL unterstützt wurden.
Der Startschuss für das „Zusammenwachsen“ der beiden Stadtteile – im Interesse der in den Startlöchern stehenden Grundstücksspekulation – sollte 2017 gegeben werden, indem man die Zusammenlegung der Feuerwehrgerätehäuser beider Feuerwehren an einem Standort zwischen den zwei Stadtteilen betrieb, als „Pilotprojekt“, wenn man so will. Das wurde sowohl von der großen Mehrheit beider Wehren als auch von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und durch einen Bürgerentscheid Ende 2018 zu Fall gebracht.
Das Fass zum Überlaufen brachte dann die 2019 bekannt gewordene Kostenexplosion der notwendigen Erneuerung und Erweiterung der Kläranlage von anfangs 10 Millionen auf Stand heute 55 Millionen Euro. Das war unkontrollierten Fehlplanungen im Verantwortungsbereich des 1. Stadtrates von den Freie Wählern geschuldet, wobei auch immer noch ein starker, bislang jedoch noch unbewiesener Korruptionsverdacht im Raum steht. Auch hier gab es eine rührige Bürgerinitiative, die die Unterstützung der DKP/LL genoss.
Die seit 1946 sowohl in Mörfelden als auch in Walldorf dominierende SPD – damals mit absoluter Mehrheit, seit den 80ern als stärkste Partei mit wechselnden Koalitionen – bekam einen ersten Warnschuss, als bei den Bürgermeisterwahlen im März 2019 ihr Bürgermeister abgewählt und durch einen Grünen ersetzt wurde – der erste nicht der SPD angehörende Bürgermeister seit 1945. Die SPD zog aber daraus keine Konsequenzen. Sie blieb stur bei ihrem Schulterschluss mit den mittlerweile in der Volksgunst arg gesunkenen Freien Wählern.
UZ: Wie wirkte sich das bei der letzten Wahl aus?
Alfred J. Arndt: Die Quittung für die SPD kam dann mit der Kommunalwahl im März 2021, bei der sie 7 Prozentpunkte verlor, die FDP knapp 1 Prozent, und die Freien Wähler sich halbierten – sie haben jetzt sogar 1 Prozent weniger als die von ihnen so gehassten Kommunisten.
Die Grünen hingegen fuhren ein Erdrutschergebnis ein und stiegen von 11,47 Prozent auf 30,46 Prozent. Auch die DKP/LL wurde von dieser „grünen Welle“ kollateral geschädigt und verkleinerte sich von 13,85 Prozent auf 11,45 Prozent.
Dieser grüne Erdrutsch ist zum einen der politischen „Großwetterlage“ geschuldet – Fridays for Future hatte sicher einen Einfluss.
Weitere Faktoren waren das Bestreben der Wähler, dem grünen Bürgermeister eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung zu verschaffen, um ihm die Handlungsfreiheit zu geben, die er von März 2019 bis März 2021 nicht hatte, sowie der Versuch vieler SPD-Stammwähler, ihre Partei zur Ordnung zu rufen, indem sie demonstrativ die Grünen wählten.
UZ: Sind die Grünen vor Ort verlässliche Partner für eine umweltbewusste Politik?
Alfred J. Arndt: Nein. Ihre Umweltpolitik orientiert sich an den jeweils modernen Themen des grünen „Mainstreams“, und besteht vornehmlich in der „Klimarettung“, der forcierten „Elektromobilität“, und dem mittlerweile auch in der Bürgerlichkeit angekommenen Bau von Radwegen. Die Mehrzahl ihrer Mitglieder stammt nicht aus Mörfelden und Walldorf. Sie haben wenig Bezug zu den örtlich gewachsenen Strukturen. Alle örtlichen Initiativen zu Schutz und Erhaltung von Wald- und Grünflächen gingen und gehen von der DKP aus.
So erklärt es sich, dass der Auguststurm des Jahres 2019, der ein Drittel des Waldbestandes der Stadt zerstört hat, nicht zu einer Politik der Aufforstung geführt hat, die die profitorientierten Maßnahmen von HessenForst in Frage stellt und über sie hinausgeht. Ein großes Areal, das zur Ersatzaufforstung für den bevorstehenden weiteren Waldverlust durch die geplante Intercity-Stecke Frankfurt-Darmstadt und die Verbreiterung der B 486 zwischen Mörfelden und Langen hätte genutzt werden können, war von der alten Koalition aus SPD, FW und FDP zur Ansiedlung eines Logistikzentrums von ALDI freigegeben worden, das jeden Tag von bis zu 700 Lkw angefahren werden soll – mit Zustimmung der zu diesem Zeitpunkt noch „oppositionellen“ Grünen. Diese Zustimmung gründete sich unter anderem auf ein Planungsdetail, das die Verkleidung eines 30 Meter hohen vollautomatischen Regallagers mit Naturholz und seine Begrünung mit Kletterpflanzen vorsieht.
Dazu kommt das Versagen des grünen Bürgermeisters aus der Zeit März 2019 bis März 2021, als er noch gegen die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung regieren musste. Er hätte die von der Mehrheitskoalition durchgeboxte Vergabe von Aufträgen für 15 Millionen Euro, die auf der überteuerten Fehlplanung der Kläranlage beruhten, unter Berufung auf sein Beanstandungsrecht verhindern können. Für die Einwohner bedeutet der ungehinderte Weiterbau der Anlage auf Grundlage der Fehlplanungen praktisch eine Verdopplung der Abwassergebühren auf um die 5 Euro pro Kubikmeter, was Mörfelden-Walldorf in die Spitzengruppe in Hessen katapultieren würde.
UZ: Was macht eine kommunistische Kommunalpolitik aus?
Alfred J. Arndt: Zunächst die Erfüllung von vier wichtigen Voraussetzungen:
- Gute Kenntnis der Stadt, ihrer Struktur, ihrer Geschichte, ihres Umlandes, ihrer Bevölkerung, ihrer Vereine und „Lokalmatadoren“, einschließlich der ausländischen beziehungsweise migrantischen „Communities“ und ihrer Einrichtungen;
- gute Kenntnis der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und Verhältnisse, ihrer Strukturen und ihrer Schlüsselfiguren;
- gute Kenntnis der grundlegenden Programmatik der Kommunistischen Partei und der ihrer Bruderparteien, um diese auf lokale Verhältnisse „herunterbrechen“ und umsetzen zu können;
- und gute Kenntnis der gastronomischen Einrichtungen, die von der arbeitenden Bevölkerung und den Migranten frequentiert werden, viel freie Zeit und Trinkfestigkeit.
„In my book“, wie die Amerikaner sagen, besteht kommunistische Kommunalpolitik darin, anhand der überschaubaren Strukturen und Gegebenheiten einer Gemeinde aufzuzeigen, dass bürgerliche Parteien Sachwalter des Großkapitals und seiner Regierungen sind und die Interessen der Einwohner, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, weder vertreten können noch wollen.
Ansatzpunkte liefert besonders die Haushaltspolitik, mit der man gut zeigen kann, dass es eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben gibt, und der Einwohner, der schon reichlich Steuern bezahlt hat, viele Dinge in Form von Gebühren und lokalen Abgaben noch einmal zahlen muss, weil von seinen Steuern bei der Kommune wenig ankommt. Dazu kommen die verschiedenen Bemühungen der Landesregierung, über die einfache Haushalts-Überwachungsfunktion der Kreisbehörden hinaus zusätzliche Kontrollmechanismen aufzubauen, die es ihr ermöglichen, das verbriefte Selbstbestimmungsrecht der Städte und Gemeinden auszuhebeln, ein direktes finanzielles Diktat über die Finanzen der Gemeinden auszuüben und sie dazu zu nötigen, entweder auf „freiwillige Leistungen“ wie Schwimmbäder, Sportplätze oder Bürgerhäuser zu verzichten oder dafür überhöhte Gebühren zu fordern.
Dabei wird mit dem demagogischen Argument der „defizitären Gemeindehaushalte“ gearbeitet und den Einwohnern suggeriert, die Haushaltsdefizite der Städte und Gemeinden seien Schuld der jeweils lokal regierenden Figuren und Parteien und keine strukturelle, im Grunde beabsichtigte Eigenschaft des Systems der Staatsfinanzen. Das ist einfach dadurch zu zeigen, dass (zumindest in Hessen) so gut wie alle Städte und Gemeinden einen defizitären Haushalt haben, unabhängig davon, welche Parteien jeweils die örtliche Mehrheit haben.
Entscheidend ist aber auch, dass man als Kommunistin oder Kommunist in der Bevölkerung verankert ist. Dabei hilft es natürlich, in einer Stadt zu leben, die schon eine kommunistische Tradition hat, und zur „Ureinwohnerschaft“ zu gehören, so dass sich die oft gestellte Frage „Wem bist‘n du?“ – hochdeutsch: „Aus welcher eingesessenen Familie stammst du?“ – einfach und zufriedenstellend beantworten lässt.
Allerdings bringt das auch Nachteile: Die Bevölkerung von Mörfelden ist von 6.400 Einwohnern im Jahr 1946 auf 16.600 im Jahr 2015 gestiegen, die von Walldorf im gleichen Zeitraum von 5.400 auf 18.000. Der überwiegende Teil des Zuwachses war zunächst Zuzug aus anderen Regionen Deutschlands, später aus aller Welt. Die „Ureinwohner“ sind heute deutlich in der Minderzahl, was sich in der Struktur von Partei und Fraktion nicht widerspiegelt. Dort haben sie nach wie vor eine große Mehrheit.
UZ: Wie sieht eure Verankerung bei den „Neubürgern“ eurer Stadt aus aus?
Alfred J. Arndt: Wir verfügen zwar auch in Neubauvierteln, die fast ausschließlich von „Zugereisten“ bewohnt werden, über Stimmenanteile von 5 bis 10 Prozent, was – so nehmen wir an – hauptsächlich unserem Wahlkampf im Internet geschuldet ist, haben aber kaum „Verwurzelung“ in der dortigen Bevölkerung. In der Altstadt von Mörfelden kommen wir hingegen auf Stimmenanteile um 25 Prozent. Mittlerweile ist es so, dass unser Fraktionsvorsitzender Gerd Schulmeyer, wenn er in der Stadtverordnetenversammlung eine „Brandrede“ hält und dabei über kurz oder lang in den lokalen Dialekt verfällt, von gut der Hälfte der Stadtverordneten nicht mehr verstanden wird, was noch vor 25 Jahren undenkbar gewesen wäre.
Im heutigen Mörfelden-Walldorf wohnen auch wegen der unmittelbaren Nähe zum Flughafen Frankfurt über 100 Nationalitäten, wovon Türken und Kurden den höchsten Anteil stellen. Der hohe Ausländeranteil von 23 Prozent widerspiegelt sich ebenfalls nicht in der Mitgliedschaft von Partei und Fraktion. Wir waren schon mal besser. Zwar weist unsere Kommunalwahl-Liste einen Ausländeranteil von 17 Prozent auf, das waren sechs von 34 Kandidierenden, aber keiner von ihnen ist Mitglied der DKP geworden und keiner wurde „hochkumuliert“ und hat ein Mandat errungen.
UZ: Wie setzt ihr die Ansprüche an eine kommunistische Kommunalpolitik in der DKP/Linke Liste um?
Alfred J. Arndt: Die DKP/Linke Liste umfasst per Definition „Kommunisten, Sozialisten und andere Menschen, deren Herz links schlägt“.
Kernstück der Öffentlichkeitsarbeit ist die monatlich erscheinende Ortszeitung der DKP „blickpunkt“, die in einer Auflage von 16.000 Exemplaren in fast alle Briefkästen der Stadt gelangt und bei jedem monatlichen Erscheinen in beiden Stadtteilen an einem Informationsstand vorgestellt wird. Dazu hat die DKP eine Internetseite, die im Wesentlichen spezifisch kommunistische Inhalte veröffentlicht. Zusätzlich hat die Stadtverordnetenfraktion DKP/Linke Liste eine eigene Seite, die sich im Wesentlichen auf kommunale Themen aus der Stadtverordnetenversammlung konzentriert. Dazu pflegen wir Kontakte mit den örtlichen bürgerlichen Blättern.
UZ: Wie ist die Arbeitsweise der DKP/LL?
Alfred J. Arndt: Wir treffen uns regelmäßig mittwochs, wobei alle Mandatsträger eingeladen sind, dazu alle, die auf der Kommunalwahlliste kandidiert hatten, und Sympathisanten und Freunde. Diese Fraktionssitzung findet normalerweise in einem Versammlungszimmer im Rathaus statt, seit der zweiten Corona-Welle vorübergehend als Video-Schalte über Zoom. Die Teilnehmer sind fast immer alle Mandatsträger und je nach Thema zwischen zwei und zehn Listenkandidatinnen, -kandidaten und Freundinnen beziehungsweise Freunde. Quelle der Tagesordnung sind die Beschlussvorlagen für die Stadtverordnetenversammlung und ihre Ausschüsse, weitere Themen, die in den lokalen Medien eine Rolle spielen und/oder aus der Bevölkerung an uns herangetragen werden, Initiativen, die sich aus der Politik der DKP, gelegentlich auch der Linkspartei ergeben, und Ideen und Anregungen der Anwesenden.
Aus der Debatte entstehen politische Anträge und Anfragen an die Stadtverordnetenversammlung, Stellungnahmen zu den Anträgen und Anfragen anderer Parteien, Redebeiträge und Planung des Vorgehens in der Stadtverordnetenversammlung und ihren Ausschüssen, Aktionen, Infostände und kleine Demos, Beiträge für den „blickpunkt“, Presseerklärungen und andere Materialien.