Das historische Vorbild – die „alte“ Seidenstraße – hat eine jahrhundertelange Geschichte. Die Neue Seidenstraße, offiziell Belt and Road Initiative (BRI), ist ein Jahrhundertprojekt. Der chinesische Präsident Xi Jingping sprach über die Idee das erste Mal im Oktober 2013 bei einem Besuch in Kasachstan. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2017 legte Xi dann einen umfangreichen Plan für die Ausweitung des weltweiten Handels und der damit verbundenen Entwicklungspotenziale vor. Spätestens seit diesem Zeitpunkt spielt die chinesische Initiative eine zentrale Rolle in der Entwicklung der weltweiten Kräfteverhältnisse. Sie ist eine Reaktion auf den vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama initiierten „Pivot to Asia“, die geostrategische Ausrichtung der USA auf die Niederhaltung Chinas – und mittlerweile für viele Länder eine Alternative zur Abhängigkeit vom Imperialismus. Nicht zuletzt ist die BRI die Antwort auf die tiefsitzende und tiefgreifende Wirtschaftskrise der imperialistischen Zentren.
Die Regierung der Volksrepublik hält die Prinzipien des gegenseitigen Nutzens, der Zusammenarbeit und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Kooperationspartner hoch. Das macht den Erfolg der BRI aus. Die Zusammenarbeit soll dabei auf fünf Ebenen entwickelt werden: 1. Ausbau des zwischenstaatlichen Austausches, 2. Kompatibilität von Kommunikationssystemen und Standards, 3. Reduzierung von Handelshemmnissen, 4. Zusammenarbeit im Bereich der Finanzen, 5. wissenschaftlicher und kultureller Austausch.
Konkret vorgesehen sind Investitionen in Infrastrukturvorhaben, verbunden mit der Ansiedelung von Wirtschaftsprojekten. Es geht um den Ausbau von Eisenbahnlinien und Straßen. Entlang der Strecken entstehen neue Fabriken und bieten den Menschen Arbeits- und den Ländern Entwicklungsmöglichkeiten. Daneben wird in zahlreichen Staaten in den Ausbau von Häfen investiert. Vormals völlig vom Imperialismus abhängigen Ländern ermöglichen die chinesischen Investitionen in vielen Fällen erstmals eine eigenständige Politik – die imperialistischen Staaten hatten bisher nur die zur Ausbeutung der Rohstoffe nötigen Straßen und Bahnen gebaut.
Wer Uwe Behrens Buch am Ende zur Seite legt, weiß, warum der Autor den Titel „Der Umbau der Welt“ wählte. Auf mehr als 250 Seiten gibt er einen Überblick über die Neue Seidenstraße und informiert detailreich über die zahlreichen Projekte. Dabei lässt er auch Widersprüchliches nicht aus: Chinesische Unternehmen, die von der Regierung eingegrenzt werden mussten oder Probleme mit Korruption in den Partnerstaaten.
Behrens kennt sich aus. Er ist promovierter Logistiker, hat lange in der DDR gearbeitet und lebte 27 Jahre in China. In den letzten 30 Jahren war er für mehrere Unternehmen in verschiedenen Ländern aktiv.
Der Autor beginnt mit einem kurzen Ausflug in die Geschichte der Seidenstraße und des eurasischen Handels. Nachdem er die Anfänge der Initiative dargelegt hat, beschreibt er die internationalen Organisationen und Zusammenschlüsse, die in das Projekt eingebunden sind, und schildert zahlreiche Staaten, die entlang der historischen Seidenstraße oder in Asien kooperieren. In einem eigenen Kapitel geht es um die chinesische Provinz Xinjiang. Sie ist aufgrund ihrer geografischen Lage das zentrale Drehkreuz der Seidenstraßen in Richtung Europa und den Nahen und Mittleren Osten. Der BRI in Afrika, Europa und Lateinamerika widmet er jeweils eigene Kapitel. In den Schlusskapiteln stellt der Autor inhaltliche Schwerpunkte vor, etwa die Kooperationen in den Bereichen Gesundheit, Umweltschutz und Digitalisierung. Auch die Propaganda gegen die Seidenstraße findet Berücksichtigung: Der Unterstellung, China locke Länder in eine Schuldenfalle, begegnet Behrens kenntnisreich. Von den Gegenaktionen „Build Back Better World“ (USA) und „Global Gateway“ (EU) berichtet Behrens, dass afrikanische Regierungen sich fragten, ob diese Initiativen „für Afrika oder lediglich gegen China“ seien.
Äußerst hilfreich wären für den Leser Karten gewesen, bereist man doch einen Großteil der Länder der Welt. Auch hätte man dem Buch ein gründlicheres Lektorat gewünscht. Dennoch kommt an dieser Publikation niemand vorbei, der sich über die Entwicklung der internationalen Kräfteverhältnisse informieren will und Orientierung sucht.
Uwe Behrens
Der Umbau der Welt
Wohin führt die Neue Seidenstraße?
Edition Ost, Berlin 2022, 256 Seiten, 18,00 Euro
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