Aufstehen, weitermachen!

Kolumne von Lars Mörking

Am Dienstag letzter Woche schien alles klar: Schlichtungsergebnis im Tarifkampf der Sozial- und Erziehungsdienste von beiden Seiten akzeptiert, Streik vorbei, Eltern atmen auf und fahren in den Urlaub. Aber schon am Tag darauf wurde deutlich, dass die einberufene Streikdelegiertenkonferenz von ver.di eine deutlich ablehnende Haltung einnimmt.

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Das ist angesichts der starken Solidarität unter den Streikenden vielleicht nicht verwunderlich, denn eine Aufwertung aller Berufsgruppen, wie sie in das Zentrum der gewerkschaftlichen Forderungen gestellt wurde, sieht das Schlichtungsergebnis nicht vor. Zwei Faktoren machen das ablehnende Votum der Streikdelegiertenkonferenz – und in der Folge die Entscheidung für eine Mitgliederbefragung – zu einem besonderen: Erstens wurde der Schlichterspruch durch die ver.di-Spitze befürwortet – allen voran Frank Bsirske. Und zweitens schalten die kommunalen Arbeit„geber“ auch nach vier Wochen Streik und Schlichtung komplett auf stur.

Klar, der ökonomische Schaden, den ein Streik in anderen Bereichen verursacht, ging an den Kommunen vorbei, während ver.di munter Streikgeld zahlen darf. Aber der öffentliche Druck zur Einigung wuchs im Verlauf des Streiks kontinuierlich an und brachte nicht die Schwächung der Streikbereitschaft und Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen. Im Gegenteil, die Beteiligung erhöhte sich im Verlauf des Streiks – Gewerkschaftseintritte inklusive.

Dass nun innerhalb der ver.di-Mitgliedschaft weiter über den Abschluss diskutiert und abgestimmt wird, ist eine gute Sache. Ein Abschluss gemäß Schlichterspruch hätte einen miesen Abschluss mit einer Laufzeit von fünf Jahren gebracht, was bei Tarifabschlüssen zur Eingruppierung durchaus üblich ist, in diesem Fall aber bedeutet hätte, dieses wichtige und bei den Kolleginnen und Kollegen gesetzte Thema fünf Jahre lang zu den Akten zu legen. Eine Ablehnung ohne Befragung hätte bedeutet, dass unmittelbar Zugzwang entsteht, aber die Frage ist auch unter den Streikenden noch offen: Wie geht es weiter? Neue Formen des Arbeitskampfes müssen her, die Eltern wollen (noch) stärker eingebunden sein, die gesellschaftliche Komponente des Streiks – bei der es wesentlich um die Finanzierung der „Öffentlichen Hand“ geht und damit um die Reichtumsverteilung – muss stärker in den Fokus gerückt werden. Und dann ist da noch die Frage der gewerkschaftlichen Demokratie, nämlich wer etwas wann und wie entscheiden darf, wenn es um die Ergebnisse von Tarifverhandlungen und Schlichtersprüchen geht.

Eins ist klar, die Wut über die Haltung der kommunalen Arbeit„geber“ darf nicht in Frust umschlagen. Nicht in Frust über die eigene Gewerkschaft, die auch erst einmal wieder lernen muss, mit so einem selbstbewussten und solidarischen Haufen Streikender umzugehen. Nicht in Frust über die fehlende Wirkung von vier Wochen unbefristeten und durchgängigen Streiks, Demonstrationen, Aktionen, die die Wahrnehmung von Arbeitskämpfen in Deutschland verändert haben (bei allem Respekt, aber berufsstolze Kleingruppen streikender Lokführer wirken dagegen fast grau und kreuzbrav).

Auch wenn es sich gerade wie eine blutige Nase anfühlt – aufstehen, weitermachen! Und wir überlegen uns derweil, welche Art von Auszeichnung für Streikende der neuen ArbeiterInnenbewegung gut stehen würde. Ich finde ja große, glänzende Orden eigentlich ganz schön.


Die Schlichter legten am 23. Juni einen gemeinsamen Lösungsvorschlag vor, der Gehaltserhöhungen zwischen 2 und 4,5 Prozent vorsieht. Auf dieser Grundlage wurden die Verhandlungen am 24. und 25. Juni 2015 fortgesetzt.

Danach erklärte ver.di, dass die Arbeitgeber nicht bereit waren, über das Ergebnis der Schlichtung hinauszugehen. Die Schlichtungsempfehlung soll jetzt in den Betrieben vorgestellt und diskutiert werden, anschließend folgt eine Mitgliederbefragung. Danach berät und bewertet erst eine erneute Streikdelegiertenkonferenz, anschließend die Bundestarifkommission über deren Ergebnis. Während dieser Zeit werden die Streiks ausgesetzt und die Verhandlungen am 13. August wieder aufgenommen.Quelle: WSI-Tarifarchiv


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"Aufstehen, weitermachen!", UZ vom 3. Juli 2015



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