Der Osten hat gewählt. In einigen Bundesländern auf dem Gebiet der nicht mehr existenten DDR. Die Wahlergebnisse schockieren die Mächtigen und ihren Hofstaat. Die DDR hat die Berliner Machthaber abgewählt. Die Bevölkerung verweigert die Gefolgschaft trotz verordneter „Staatsräson“ und „Zeitenwende“. Fehlt nur noch der Ruf nach staatlicher Autonomie.
Wie konnte das geschehen? Wie undankbar! Alles vergessen? Bananen, Reisen und Autos? Die roten und grünen Radwege, die bunten Farben und gläsernen Fassaden? Die „freiheitlich demokratische Grundordnung“? Die beste Demokratie der Welt; gerade zum 75. Mal bejubelt.
Nun fabulieren Herrschende in Politshows, Journalisten rätseln in ihren Redaktionsstuben, Moderatoren interviewen „Experten“, Forscher analysieren zum wiederholten Male und Ostbeauftragte verkünden altbekannte Weisheiten. Die Öffentlich-Rechtlichen überschlagen sich im Bemühen um „Aufklärung“. Mit Gleichsetzung der Wahlsieger BSW und AfD. Mit Propaganda gegen rechts, obwohl ihre Auftraggeber und sie selbst rechts sind.
Ernsthafte Überlegungen über Ursachen und Motive der Entscheidungen in Ostdeutschland sind kaum zu vernehmen. Und wenn, dann sind es Einzelfälle. Erkannte Mängel und Selbsteinsichten sind mit neuen Verunglimpfungen verbunden. Die übliche Arroganz gegenüber den „zurückgebliebenen Ossis“.
Die Gründe für die Wahlentscheidungen sind natürlich unterschiedlich. Ohne Illusionen, auch Faschisten haben und wurden gewählt. Darüber bedarf es tatsächlich der Aufklärung. Aber viele Wähler haben Gemeinsames – bewusst und unbewusst – die DDR. Nicht nur die Alten, mit deren Abgang die „Wahrsager“ das Verschwinden der Erinnerungen erhofften. Auch Junge stehen zu dem Erbe des sozialistischen deutschen Staates.
Nein, vergessen hat der Osten nichts. Nicht die feindliche Übernahme der DDR vor 34 Jahren, nicht den Raub des Volkseigentums, nicht die gebrochenen Versprechen. Nicht die Zwangsübernahme des Grundgesetzes als Verfassung. Und nicht die anhaltende würdelose Behandlung ehemaliger DDR-Bürger. Das Entscheidende aber ist die heutige Politik der Machthaber, die allen Erfahrungen, Erwartungen und Hoffnungen widerspricht. Sie führt zu kritischem Denken und zu neuen Erkenntnissen. Leider auch zu Irrwegen.
Sie führt zu Zorn und Wut, Empörung und Auflehnung. Und zur Suche nach Auswegen. Die Erinnerungen an ein anderes Land – die DDR – bekommen neue Relevanz. Erinnerungen an Sicherheit, Geborgenheit und Solidarität. „Der Zukunft zugewandt“, wie es in ihrer Nationalhymne heißt. Frieden war oberstes Gebot. Die Wertschätzung menschlichen Lebens. Dafür wurde alles getan. Selbst mit den schlimmsten Feinden wurde verhandelt. Letztlich sogar das Land aufgegeben. Wozu dieser Verlust führte, beweist der heutige Kurs des imperialistischen Deutschlands.
Erinnerung heißt auch historische Verantwortung nach den Verbrechen Deutscher im Osten. Und Dank für die Befreiung durch die Rote Armee 1945 und die Hilfe beim Aufbau einer antifaschistischen Republik. Deshalb waren Frieden und Freundschaft mit der Sowjetunion unumstößliche Staatspflicht. Die meisten Menschen hatten und haben das verinnerlicht. Mehrere Generationen hatten beruflich und persönlich enge Bindungen zur Sowjetunion, nach 1990 weiterhin zu Russland als Nachfolgestaat. Vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Soweit nicht durch staatliche Willkür inzwischen zerstört.
Und das alles soll nun nichts mehr gelten? Statt Frieden und Wohlstand heißt das Programm Sozialabbau, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gegen Russland. Gegen die eigenen Interessen Deutschlands. Gegen diese volksfeindliche Politik haben viele Ostdeutsche ihre Stimme erhoben, bewiesen, dass sie aufgeklärt und souverän sind, dass sie Verantwortung tragen und das Vermächtnis der DDR lebendig bleibt.