Es ist zum Haareraufen. „Marode“ (Hannoversche Allgemeine), „Sanierungsfall“ (Deutschlandfunk), „erbärmlicher Zustand“ (FAZ). Sogar Militärbischof Franz-Josef Overbeck sieht einen „Handlungs- und Nachholbedarf höchsten Grades“ (katholische.de). Die Bundeswehr steht kurz vor dem Zusammenbruch. Zumindest wenn man den Qualitätsmedien einmal glauben möchte. Es fehlten „nicht nur Panzer, sondern auch Schutzwesten, Winterbekleidung und Zelte“. Und natürlich auch U-Boote und Hubschrauber. Und da sieht man sie schon wieder, die deutschen BW-Landser, frierend, ohne Schal und warme Socken, und nicht einmal ein Zelt dabei. Und das bei minus 30 Grad vor Stalingrad. Oder so ähnlich.
Aber da ist natürlich der deutsche Parlamentarier davor. Derartige Versorgungslücken könne und werde man nicht akzeptieren, gab der SPD-Vaterlandsverteidiger Fritz Felgentreu zu Protokoll. Die Wehr-kundige FDP-Expertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vergaß für den Moment sogar das parteieigene Mantra, „an allem ist zu sparen“, um den „erbärmlichen Zustand“ zu beklagen, auf den „die Bundeswehr inzwischen runtergespart“ worden sei. Da werde sie demnächst glatt einen Unterausschuss beantragen.
Das Ganze erinnert an die gute alte Zeit, als noch der Russe vor der Tür stand. Auch damals fehlte ständig irgendetwas. Bomber, Raketen, Panzer. Der Russe, also der vor der Tür, hatte immer mehr und immer das weitaus bessere Material. SS-20 beispielsweise. „Wir“ mussten ständig „nachrüsten“. Ein begnadeter Nachrüster war Helmut Schmidt. Bis, warum auch immer, ein gewisser Michaiel Gorbatschow die Weiße Fahne geschwenkt hat. Hinterher haben sich dann so einige westliche Drahtzieher, wie Egon Bahr oder Zbigniew Brzezinski, damit gebrüstet, dass das ja alles sehr clever von ihnen eingestielt worden sei und der böse Russe, der vor der Tür, nun endgültig besiegt sei. Das war dann aber mehr im Kleingedruckten.
Das war natürlich Unsinn. Die Kriegsindustrie, vor allem in den USA, ist ein Billionen schwerer, riesiger Komplex. Und was dieser militärisch-geheimdienstlich-industrielle Komplex am allerwenigsten brauchen kann sind besiegte Feinde. Und, Wunder über Wunder, kaum hatte Russland wieder einen einigermaßen nüchternen Präsidenten, da war er wieder zurück, der böse Russe – nun zwar nicht mehr vor unserer Tür, mehr vor der des Baltikums – aber immerhin, zurück.
Krieg führen kostet Geld. Vor allem wenn es wieder einmal gegen Russland geht. Es gibt da ja Erfahrungen. Man sieht sie schon, die Aufrufe für das Deutsche Winterhilfswerk oder die Kanzlerin beim Eintopf-Sonntag. Nun hat die Nato 2014 ja ihre berühmte „Speerspitze“ gegründet, oder im Nato-Slang „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF), um den Russen in die Schranken zu weisen, der ja in Reaktion auf den letzten US-Putsch auf dem Maidan bekanntlich wieder dabei ist ganz Europa zu überrollen.
Diese Vorstellung wurde auch auf dem ironischerweise „Sicherheitskonferenz“ genannten Kriegstreiber-Treffen in München aktiviert. Es gebe auf der Welt eben unzufriedene, „revisionistische Mächte“, die uns unsere freiheitlich-liberale Lebensart missgönnten. Im Klartext, es merkwürdigerweise nicht so prickelnd finden, dass eine Handvoll imperialistischer Staaten sich den Globus unter den Nagel gerissen hat, seine Ressourcen ausplündert, seine Bauern und seine Industrie ruiniert, seine Kinder verhungern lässt, die Umwelt verpestet und jeden verfolgt und umbringt, der es wagt dagegen aufzustehen. Millionen Tote, allein seit George W. Bushs „Global War on Terror“.
Glücklicherweise heißt der derzeitige US-Präsident Donald Trump. Mr. Trump verfügt über ein sorgsam gepflegtes, ungewöhnlich großes Negativimage. Vor allem in Europa. Wenn Kriegsministerin von der Leyen oder ihre französische Amtskollegin, Florence Parly, von einer Verantwortung Europas reden, können sie auf Mr. Trump deuten, der am Ende vielleicht nicht mehr das tun könnte, was noch alle US-Präsidenten vor ihm getan haben: Nämlich Krieg zu führen. Weshalb man nun schleunigst selbst zu den Waffen zu greifen habe.
Ein ambitioniertes Unterfangen. Über alles gerechnet verfügt der US-Repressions- und Überwachungsapparat über ein Budget von mehr als einer Milliarde Dollar. Damit verglichen sind die entsprechenden Aufwendungen der europäischen Hauptstaaten in Richtung 50 Mrd. Euro geradezu mickrig. Die VJTF verfügt über 5 000 Frauen und Männer. „Mit 5 000 Mann verteidigt die Nato kein einziges Land“, war da vom Vorsitzenden des Bundestags-Verteidgungsausschusses, Hans Peter Bartels (SPD), zu hören. Klartext: Die Aufrüstung hat gerade erst angefangen, wie auch die Planungen für das neue Nato-Zentrum für schnelle Truppen und Materialtransporte signalisieren.
Die Bundeswehr ist laut Grundgesetz (Art 87a) eine Verteidigungsarmee. Ein Blick auf die europäische Karte macht klar, dass es da keine reale Bedrohung gibt. Handelte man im Sinne der Verfassung, gehörte die Bundeswehr abgeschafft. Natürlich interessieren reale Bedrohungslagen die Berliner „Verteidigungsexperten“ nicht. Zur Not wird Deutschland eben am Hindukusch verteidigt oder in Syrien oder Mali. Die Zielmarke heißt erst einmal 2 Prozent/BIP. Also rund 70 Mrd. Euro. Und die müssen erst einmal bei Straßen, Schienen, Kanälen, Schulen, Krankenhäusern und Renten herausgespart werden. Da werden wir uns noch so mache Mitleidsstory über die arme, arme Bundeswehr anhören müssen.