Schätzungsweise 4.000 Anhänger des abgewählten ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro waren am vergangenen Sonntag gegen 17 Uhr Ortszeit in der brasilianischen Hauptstadt Brasília zusammengekommen. Sie trugen T-Shirts in Gelb und Blau, den Farben der brasilianischen Nationalflagge, und hatten übergroße Fahnen dabei. Die Zusammenrottungen der Bolsonaro-Anhänger gipfelten wenig später in der gewaltsamen Erstürmung von Kongress, Präsidentenpalast sowie Oberstem Gerichtshof und stürzten die brasilianische Hauptstadt für Stunden ins Chaos. Die wenigen Sicherheitskräfte der Parlamentspolizei konnten den Mob selbst mit Gasgranaten zunächst nicht stoppen. Die Randalierer drangen in die Regierungsgebäude ein und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Die Regierungen lateinamerikanischer Länder, aber auch UN-Generalsekretär António Guterres verurteilten den antidemokratischen Putschversuch.
Präsident Lula da Silva, der sich während der Ausschreitungen nicht in Brasília, sondern in der Provinz Araraquara befunden hatte, um den dort von heftigen Regenfällen betroffenen Familien Solidarität und Unterstützung zuzusagen, äußerte sich via Twitter und im Staatsfernsehen zu den Ausschreitungen. In einem Dekret erklärte er die bundesstaatliche Intervention im Zentraldistrikt Brasília bis Ende Januar, um die Sicherheit dort wiederherzustellen. Damit fällt die Kontrolle der regionalen Polizei- und Sicherheitsbehörden vorübergehend der Zentralregierung zu. Zudem warf der neue Präsident den zuständigen Behörden im Zentraldistrikt Inkompetenz vor, da nichts unternommen worden sei, um die Ausschreitungen frühzeitig zu beenden.
Das sah Alexandre de Moraes, Magistrat am Bundesgerichtshof, ähnlich und entschied, den Gouverneur des Bundesstaates Brasília, Ibaneis Rocha, für drei Monate von seinem Amt zu suspendieren. Er betonte dabei, dass die Putschpläne bekannt waren und Presseorgane bereits darüber berichtet hatten. Richter Moraes zufolge habe der Gouverneur des Zentraldistrikts, in dem die Hauptstadt liegt, von den Vorbereitungen wissen müssen. Solche Ereignisse seien nur mit der Zustimmung und effektiven Beteiligung der zuständigen Sicherheitsbehörden in Brasília möglich gewesen, zitiert der lateinamerikanische Sender „Telesur“ Moraes weiter.
In einer Fernsehansprache im Staatssender „TV Brasil“ verurteilte da Silva, zu dieser Zeit noch in Araraquara, die Ausschreitungen als Anschläge auf die drei Staatsgewalten und die Demokratie in Brasilien. Die Anführer und Verantwortlichen würden gefunden und bestraft werden. Es handele sich um fanatische Faschisten, so da Silva weiter. Die Linke sei in Brasilien immer wieder Ziel von Attacken auch durch den Staat geworden. Es seien Linke inhaftiert, geschlagen und ermordet worden. Dennoch habe man noch nie von einer Attacke einer linken Partei auf den Kongress gehört.
In seiner Kritik an den lokalen Sicherheitsbehörden wies der neue Präsident auch auf die vielen Äußerungen seines Vorgängers hin, der damit genau wie dessen Partido Liberal direkt für die gewaltsamen Ausschreitungen mitverantwortlich sei.
Von Bolsonaro war die gesamte Zeit über nichts zu hören. Erst später äußerte er sich via Twitter und verurteilte in einem Lippenbekenntnis die Attacken, verglich diese jedoch mit Protesten der Linken in den vergangenen Wahljahren. Dabei kam es allerdings nicht zu vergleichbaren Ausschreitungen.
In den vergangenen Tagen hatte der abgewählte Präsident, der sich mutmaßlich seit zwei Wochen in den USA aufhält, die angeblichen Errungenschaften seiner Regierung in den vergangenen Jahren hochgelobt, um damit die Mär von der Wahlfälschung zu befeuern. Was nicht in seiner Aufzählung auftaucht: die verkorkste Covid-Politik seiner Regierung, der Tausende Brasilianer zum Opfer fielen. Über die Hälfte der Bevölkerung fiel darüber hinaus in seiner Amtszeit unter die Armutsgrenze. Bolsonaro beförderte auch die illegale Abholzung des Regenwaldes und scherte sich keinen Deut um internationale Klimaschutzabkommen. Nicht ohne Grund erklärte Präsident Lula da Silva deshalb, dass seine Regierung in den kommenden vier Jahren mehr arbeiten müsse als die vorigen, da die Herausforderungen für Brasilien gravierend seien.
Erst Stunden nach den Attacken zeigte sich das ganze Ausmaß der Gewalt. Der Minister für soziale Kommunikation des Präsidenten, Paulo Pimenta, wies in der Nacht zum Montag darauf hin, dass aus den Räumen der Sicherheitskräfte im Präsidentenpalast Palácio do Planalto Waffen von Bolsonaro-Anhängern entwendet wurden. Darüber hinaus seien auch Kunstwerke und unschätzbare Kulturgüter von den Eindringlingen zerstört worden.