Ein Positionspapier gibt Aufschluss über die Rolle der Kommunen in der „Zeitenwende“

Aufmarsch im Hinterland

Im barocken Dorf Bendeleben liegt eine pittoreske Orangerie, die laut Werbung auf der Gemeinde-Homepage „zu den bedeutendsten Zeugnissen der Orangeriekultur in Thüringen“ gehört. Auch wer sich nicht für die Zuchtgeschichte von deplatzierten Südfrüchten interessiert, kann hier eine entspannte Zeit verbringen. Es gibt einen Lustgarten, Springbrunnen, sogar einen Weihnachtsmarkt. Doch so manchem friedliebenden Besucher dürfte die Bratwurst dieses Jahr im Halse stecken bleiben. Denn der Grillstand wird von Soldaten der XV. Inspektion der Unteroffiziersschule des Heeres am Bundeswehrstandort Sondershausen betreut.

Nur wenige Tage nach dem Weihnachtsmarkteinsatz werden die Grillmeister erneut auf dem Gelände der Orangerie antreten, um mit einem feierlichen Appell die Patenschaft zu besiegeln, die die Gemeinde Bendeleben für die Kompanie übernommen hat. Für den parteilosen Ortsbürgermeister René Pfeiffer ist wichtig, „dass wir die Patenschaft leben und nicht nur die Urkunde an der Wand haben“, wie er gegenüber der „Thüringer Allgemeinen“ erzählte.

Seit Jahren arbeiten hunderte Kommunen mit solchen Patenschaften daran, die Bundeswehr in den öffentlichen Raum zu holen und die Präsenz des Militärs zu normalisieren. Im Rahmen der von Bundeskanzler Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“ spüren sie Rückenwind. Längst sind es nicht mehr nur Garnisonsstädte, die am sauberen Image der Truppe feilen.

Mit Gerd Landsberg, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), haben solche Aktivitäten einen starken Fürsprecher. Landsberg, der schon auf dem Kommunalkongress 2017 mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold ausgezeichnet wurde, schloss sich kürzlich in einem Kommentar in der Fachzeitschrift „Kommunal.“ dem Bundeskriegsminister Boris Pistorius (SPD) an. Mit seiner Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ habe Pistorius „uns alle zu Recht wachgerüttelt“, so Landsberg. Nun bräuchte es eine Sensibilisierung „für den Einsatz der Bürger in Uniform“. Das ist laut Landsberg nicht nur eine Aufgabe für die Garnisonsstädte, obwohl diese „durch feierliche Gelöbnisse, Unterstützung der Soldaten bei ihren Alltagssorgen sowie Anteilnahme an den Einsätzen besonders gefragt“ seien. Als störend empfindet Landsberg die Vorgesetzten in den Kommunalverwaltungen, die ihren Angestellten zu wenig Verständnis entgegenbringen, wenn diese an Wehrübungen teilnehmen wollen: „Wer hier nur den kurzfristigen Arbeitsausfall im Blick hat, denkt zu kurz und belegt, dass die Zeitenwende noch nicht verinnerlicht ist: Die Zeitenwende muss in den Köpfen stattfinden.“

Kampf um die Köpfe

Der Städte- und Gemeindebund begreift sich längst als Teil der gesamtgesellschaftlichen Mobilmachung. Davon zeugt das Positionspapier „Bundeswehr und Zeitenwende: Herausforderungen für die Standortkommunen“, das der DStGB Ende September herausgegeben hat. Entworfen wurde es vom „Arbeitskreis Garnisonen“. Die mit der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ verbundene Neuausrichtung der Bundeswehr wird in dem Papier als „Auftrag und gemeinsame Aufgabe von Kommunen und Bundeswehr“ ausgegeben.

Dann geht es ans Eingemachte. Die mit enormem Eskalationspotential verbundenen Weltkriegsübungen Defender-Europe 21 und Air Defender 23 werden als „militärisch wichtige Manöver“ aufgefasst. Gemeinsames Ziel von Bundeswehr und Kommunen sei es in diesem Zusammenhang, „Ängste vor Militärübungen abzubauen und Verständnis sowie Solidarität in der Bevölkerung zu entwickeln“. Um den Kampf um die Köpfe zu gewinnen, setzt der Gemeindebund auf eine Propagandaoffensive. Neben den bereits angesprochenen Patenschaften sollen gemeinsame Veranstaltungen, Diskussionsabende mit der Armee und öffentliche Bekenntnisse in Form von gelben Schleifen, die an den Rathäusern angebracht werden, den „Zusammenhalt von Bundeswehr und Gesellschaft“ fördern. Zudem wird vorgeschlagen, den „Tag der Bundeswehr“ künftig in allen 16 Bundesländern durchzuführen.

Allein auf die Begeisterungsfähigkeit der Bevölkerung zu setzen, ist den Kommunen jedoch zu wenig. Deshalb soll die Bundeswehr zum „Gegenstand der allgemeinen politischen Bildung“ werden. Erklärtes Ziel ist es, Soldaten Zugang zu allen Schulen, Hochschulen und öffentlichen Bildungseinrichtungen zu verschaffen, um dort über die „korrespondierenden Aufgaben“ der deutschen Armee zu diskutieren. Außerdem sei es wichtig, „Verschwörungstheoretikern die Grundlage für Falschnachrichten zu entziehen“.

Kriegsgerechte Infrastruktur

Wer das Papier liest, braucht tatsächlich nicht auf „Verschwörungstheorien“ zurückzugreifen, um die geplante hemmungslose Militarisierung der Kommunen zu beschreiben. Der Gemeindebund bringt es fertig, auch noch die harmlosesten Aufgaben unter militärischen Gesichtspunkten zu betrachten und in den Geist der „Zeitenwende“ einzubetten. Dahinter dürften auch fiskalische Erwägungen stehen. Für die Garnisonsstädte, die das Papier entworfen haben, sind die örtlichen Militärstützpunkte meist entscheidende ökonomische Faktoren und Arbeitgeber. Auf der anderen Seite schielen die strukturell unterfinanzierten Kommunen auf Fördergelder aus dem Kriegshaushalt, wenn sie beispielsweise den notwendigen Kita-Ausbau mit einem „zusätzlichen Betreuungsaufwand der Kinder von Angehörigen der Bundeswehr infolge vermehrter Übungen, Inlands- und Auslandseinsätze“ begründen. Der Tanz am Rande des Verfassungsbruchs, wenn die Kommunen zunehmende Einsätze (auch im Inland) erwarten, scheint inzwischen niemanden mehr so richtig zu stören. Auch Investitionen in Schwimmbäder, Sportplätze und Kultureinrichtungen sollen „im Umfeld von Bundeswehrstandorten gezielt erleichtert bzw. verbessert werden“, um die Einsatzbereitschaft zu erhöhen.

An mehreren Stellen fordert das Positionspapier unverhohlen den kriegsgerechten Umbau der Infrastruktur ein. „Im Interesse einer Mobilisierung im Verteidigungsfall“ sollen unbürokratisch Zuschüsse gewährt werden, um die „Instandsetzung für die zivil-militärische Nutzung eines Straßenkörpers“ zu vereinfachen. Es wäre ja auch peinlich, wenn die große Fahrt nach Moskau schon auf den Umgehungsstraßen des deutschen Hinterlandes erlahmen würde. Die Forderung einer besseren Anbindung der Garnisonsstädte an den Schienenverkehr tut ihr Übriges dazu, auch wenn diese vorerst mit der Lebensqualität der Soldaten begründet wird. Bei der Bundeswehr handele es sich nämlich um eine „Pendlerarmee“. Uniformierte Soldaten in den Bahnen würden zudem „vielen Menschen erst deutlich (machen), wie viele Bürger in unserem Land bereit sind, für unsere Sicherheit Verantwortung zu übernehmen“.

Es ist die Selbstverständlichkeit dieser Erwägungen, die zu denken gibt. Mit dem „Deutschlandpakt“ und verschiedenen Aufschlägen zur „Planungsbeschleunigung“ hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten vor allem den Ausbau von Hafenanlagen, Autobahnen und vereinzelten Bahnstrecken vorangetrieben. Ökonomisch sind diese Vorhaben auf die Interessen der Monopolkonzerne und der US-Frackingindustrie zugeschnitten. Dass bei Infrastrukturprojekten immer auch der militärische Aspekt zu beachten ist, lehren die Überlegungen des Städte- und Gemeindebundes, der mit dem Versprechen einer effizienteren Mobilmachung zielgerichtet um Geld aus den dafür vorgesehenen Töpfen wirbt. Schwer vorstellbar, dass dies allein aus übertriebenem Eifer geschieht. Wahrscheinlicher ist, dass dieser Anspruch im internen Austausch zwischen den Verwaltungen von Bund und Ländern bereits kommuniziert und dann von den Gemeinden aufgegriffen wurde.

Wehrübungen für alle

Die Kluft zwischen technokratischem Pragmatismus und ideologischer Überzeugung dürfte jedoch nicht allzu groß sein. Das Positionspapier wiederholt zudem die alte Geschichte der kaputtgesparten Bundeswehr. „Mit Blick auf die knappen Ressourcen der Truppe, die für die Bündnis-/Landesverteidigung existenziell sind“, sollen die Soldaten nach den Vorstellungen des Gemeindebundes keine tragende Rolle bei der Bekämpfung von Flutkatastrophen oder ähnlichen Ereignissen mehr spielen. Dass die deutsche Armee demnächst absehbar über den größten Rüstungshaushalt Europas verfügt, trübt diese Einschätzung nicht. Dass der DStGB selbst eine Zunahme der Inlandseinsätze prognostiziert, aber die Katastrophenhilfe der Bundeswehr drosseln will, hinterlässt zudem einen bitteren Beigeschmack und die Frage: Welche Art von Einsätzen wird wohl im Gegenzug zunehmen?

Als Konsequenz aus den „knappen Ressourcen“ fordert der Gemeindebund ein eigenes Sondervermögen und eine Stärkung des zivilen Katastrophenschutzes. Letzteres ist zwingend notwendig, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, in denen Soldaten die Schreibtische der Gesundheitsämter besetzten. Doch den Kommunen geht es dabei keineswegs um Entmilitarisierung, im Gegenteil: Zur Stärkung der „Resilienz“ fordern die Gemeinden „in größerem Umfang auch gemeinsame Übungen von zivilen und militärischen Kräften“.

Mit diesen Positionen eines kommunalen Spitzenverbandes rückt die geschlossene Heimatfront einen großen Schritt näher. Wie Dominosteine fallen die zivilgesellschaftlichen Akteure um, ordnen sich schleichend oder jubelnd in den Kriegskurs der Bundesregierung ein. Die wird die Bemühungen der Kommunen wohlwollend zur Kenntnis nehmen – entsprechen sie doch der offen eingeforderten „Kriegstüchtigkeit“. Was an Orten wie der Bendelebener Orangerie beginnt, wird schnell zur Wehrübung für alle, wenn die geplante Militarisierung der Gemeinden nicht gestoppt wird.

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"Aufmarsch im Hinterland", UZ vom 8. Dezember 2023



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