Die Proteste gegen den Mietenwahnsinn machen die Herrschenden nervös

Aufgeregt und aufgeschreckt

Von Herbert Becker

Artikel 14 Grundgesetz: (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.

Artikel 14 Grundgesetz: (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.

( Gabriele Senft)

Mehr als 100 000 Menschen gingen am vergangenen Wochenende in vielen bundesdeutschen Städten auf die Straßen und Plätze, um ihren Protest lautstark und deutlich zu machen: Gegen den Mietenwahnsinn, der für immer mehr bedeutet, dass sie keine bezahlbare Wohnung finden. Gegen die ständigen Mietsteigerungen, die für viele bedeuten, dass sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Sie protestierten dagegen, dass zwar im Lande überall gebaut wird, aber nur Luxuswohnungen. Sie protestierten, weil große Wohnungsbaukonzerne wie die Deutsche Wohnen AG aggressiv die Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben, um so zu „sanieren“, dass nur noch Gutbetuchte sich die Wohnungen leisten können.

Ein besonders auffälliges Merkmal der Protestplakate und vieler Reden war die Forderung, diese Konzerne zu enteignen. Unter Berufung auf die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes wurde konkret und eindeutig die herrschende Politik aufgefordert, die „Sozialbindung des Eigentums“ ernst zu nehmen. Es muss verbindlich festgestellt werden, dass da, wo nur noch das nackte Profitinteresse besteht, Schritte unternommen werden müssen, um das Recht auf bezahlbares Wohnen durchzusetzen.

Aufgeregt und aufgeschreckt reagieren seitdem die bürgerlichen Parteien und ihre Schreiberlinge in den tonangebenden Blättern. Die „FAZ“ meinte am Montag in einem Kommentar auf der Titelseite, man verspüre einen „kalten Hauch von DDR“. Vergesellschaftung und Enteignung seien nicht das rechte Mittel der Wahl, damit würden Investoren abgeschreckt und eigentlich „sollte jedermann als potentieller Investor und Eigentümer angesehen werden“. Im Angesicht der Immobilienblase auf dem „freien Wohnungsmarkt“ gehören Jedermann oder auch Jedefrau bestimmt nicht zu den Investoren, und dass die Linken dem „Arbeiter seine Villa im Tessin abnehmen wollen“ ist schon seit 50 Jahren ein beliebtes Bild der herrschenden Klasse.

Der „FAZ“-Hinweis auf die DDR ist hilfreich: Aus den Trümmern des von deutschen Faschisten und ihren willfährigen Helfern in den Banken und Konzernen hinterlassenen Landes wurde in der DDR ein großes, ambitioniertes Wohnungsbauprogramm beschlossen und umgesetzt. Die Wohnungen waren Volkseigentum, sie waren bezahlbar und sicher. Niemand musste Angst um seine Wohnung haben, der Schrecken kam erst nach der Konterrevolution. Nicht nur die Betriebe, auch der Wohnungsbestand wurden privatisiert, gerechnet wurde so lange, bis beides nur noch eine müde D-Mark an Wert besaß und praktisch verschenkt wurde.

Dies war eindeutig eine Enteignung, und zwar die von Volkseigentum. Was in dieser Richtung möglich war, kann und muss auch umgekehrt möglich sein, wenn das vielbeschworene Gemeinwohl kaltlächelnd niedergetrampelt wird.

Die Rückführung der Bestände an Wohnungen in kommunale, genossenschaftliche und andere Formen öffentlichen Eigentums ist keine Frage des „Wie teuer kommt uns das?“. Die Konzerne haben seit vielen Jahren Profite in ihre Kassen gespült, hier muss nichts mehr bezahlt werden. Wer das Bild von der Heuschreckenplage gerne nutzen will, bedenke eine Binsenweisheit: Heuschrecken müssen nicht gefüttert werden, sie gehören auf den Kehricht der Geschichte.

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"Aufgeregt und aufgeschreckt", UZ vom 12. April 2019



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