Aufbruch in ein Neuland

Bruno Mahlow,
ehemaliger Diplomat der DDR,
unter anderem als Botschafts­sekretär in ­Peking

Wenn ich als deutscher Linker über 100 Jahre Oktoberrevolution oder UdSSR spreche, darf ich nie den Sieg über den Faschismus vergessen. Dann muss aber sofort die Frage gestellt werden: Wie war das möglich? Die Antwort lautet: Weil es historische Leistungen gab, die hoch zu würdigen sind. Nach der Oktoberrevolution waren es drei:

Erstens, der GOELRO-Plan, also der staatliche Plan zur Elektrifizierung Russlands. Das war ein Eckstein der Industrialisierung.

Zweitens, die Entwicklung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP). Das war das Anpacken eines historischen Problems, das uns bis heute beschäftigt, zum Beispiel in China. Es hatte etwas mit Genialität zu tun: Nicht von Revolution zu schwafeln oder zu meinen, dass die am runden Tisch entschieden wird, sondern energisch zuzupacken. Denn NÖP bedeutete, mit Hilfe kapitalistischer Elemente für den Sozialismus zu arbeiten. Da muss man den Marxismus-Leninismus schon in seiner ganzen Fülle und im vollen Umfang kennen.

Und drittens ist da die Orientierung auf einen Unionsstaat, die UdSSR. Ziemlich früh vereinten sich vier Sowjetrepubliken – die russische, ukrainische, belarussische und die transkaukasische, sie hatten bereits 1918 zehn autonome Republiken. Es gab also ein Lernfeld zur Lösung der nationalen Frage und für die Ausarbeitung einer Politik, die flexibel und zugleich prinzipiell die Solidarität der Republiken untereinander aufbaute. Wie weit das zu gehen hatte, darüber gab es Auseinandersetzungen.

Wladimir Putin als nicht zu Ende studierter Hörer verschiedener Marxismuslektionen hat nun schon mehrfach Lenin bezichtigt, eine Mine unter Russland gelegt zu haben. Lenin konnte aber nicht anders als die Dialektik von starker Zentrale bei gleichzeitiger Berücksichtigung bestimmter Rechte der Republiken zu betonen. Dass es später zu Fehlern kam, ist genau zu untersuchen. Sie lassen sich in den Prozess der Entartung von Partei und Gesellschaft einordnen, in den die Sowjetunion geriet. Aber sie ändern nichts – so schmerzhaft sie waren – an den großen Leistungen. Die Unionsidee ist etwas Tolles. Der Sowjetstaat verdient es, als ein heroisches Werk dargestellt zu werden. Ich komme da immer wieder auf Scholochow, besonders auf „Neuland unterm Pflug“. Ich spreche bei der So­wjet­union über Aufbruch in ein gesellschaftliches Neuland.

Der Glückwunsch von Bruno Mahlow ist ein Vorabdruck aus einem längerem Gespräch mit Arnold Schölzel, auf das sich UZ-Leserinnen und -Leser im neuen Jahr freuen dürfen.

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"Aufbruch in ein Neuland", UZ vom 23. Dezember 2022



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