Frankreichs Regierung drückt Rentenreform mit Tricks durchs Parlament. Die Wut auf den Straßen wächst

Auf zum nächsten Gefecht

An vier Aktionstagen binnen einer Woche haben Millionen Franzosen unterstrichen, dass die geplante „Rentenreform“ Emmanuel Macrons mit ihnen nicht zu machen ist. 75 Prozent der Franzosen und 94 Prozent der Beschäftigten des Landes lehnen die „Reform“ mittlerweile ab.

3,5 Millionen Menschen haben dem Gewerkschaftsverband CGT zufolge am 7. März an Streiks und Demons­trationen an 270 Orten in ganz Frankreich teilgenommen – neuer Rekord. 700.000 demonstrierten allein in Paris. Dort schlossen sich Umwelt- und Klimaschutzverbände der Demons­tration an. In Nantes gingen 104.750 Menschen auf die Straße, in Bordeaux 102.000. Für viele Teilnehmer sei es die erste Demo, der erste Streik gewesen, schrieb die Französische Kommunistische Partei (PCF) auf ihrer ­Website. Außerhalb der großen Städte habe man eine solche Bewegung noch nie gesehen. Zu dieser Masse an Demonstranten müsse man laut CGT noch all diejenigen zählen, die Streikposten vor ihren Unternehmen besetzt hätten. Tausende Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Öffentliche Verwaltung und private Unternehmen wurden bestreikt. Weitgehender Stillstand herrschte bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP und der SNCF – die französische Staatsbahn konnte auch den internationalen Schienenverkehr nicht mehr aufrechterhalten, der von Streiks normalerweise kaum betroffen ist. Häfen blieben dicht, Erdölraffinerien geschlossen. Mehrere Atom- und Wasserkraftwerke mussten ihre Leistung herunterfahren. In Paris und anderen Großstädten türmen sich die Müllberge, weil auch die Müllabfuhr streikte.

Am 8. März legten die Gewerkschaftsverbände den Fokus auf die Frauen. Macrons „Rentenreform“ treffe Frauen noch härter als Männer, erklärte die CGT. Mehrere hunderttausend Demonstranten nahmen in über 200 Orten Frankreichs an Aktionen teil. Bestreikt wurden vor allem Branchen, in denen überproportional Frauen beschäftigt sind.

Am 9. März stand die Jugend im Mittelpunkt. Die sieht nicht nur ihre Zukunft von Macron bedroht. Er hat vor, einen zweiwöchigen verpflichtenden „Nationaldienst“ einzuführen – organisiert vom Militär. „Ich weiß, dass ich auf die Militärs und Exmilitärs zählen kann, um die moralischen Kräfte der Nation, namentlich bei der Jugend, zu stärken“, erklärte Macron. Eine Testphase soll bereits nächstes Jahr beginnen. Schlappe zwei Milliarden Euro pro Jahr soll das kosten – so viel zu Macrons Behauptung, seine „Rentenreform“ sei notwendig, um die Staatskasse zu entlasten.

Am 11. März mobilisierte wieder die „Intersyndicale“, der informelle Zusammenschluss sämtlicher Gewerkschaftsverbände Frankreichs. Über eine Million Menschen beteiligten sich an fast 250 Streiks und Demonstrationen.

Mittlerweile hat Macrons „Rentenreform“ den Senat passiert, mit 195 zu 112 Stimmen bei 37 Enthaltungen. Zuvor war die Abstimmung über die „Reform“ in der Nationalversammlung gescheitert. Am 15. März soll nun die „Commission mixte paritaire“ tagen, ein Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern. Einigt sich der auf eine gemeinsame Vorlage, dürfen beide Kammern nur über diese Version abstimmen. Das Antragsrecht der Opposition wird so ausgehebelt. Am 16. März soll die Nationalversammlung final über die „Rentenreform“ abstimmen. Stimmt das Parlament der Vorlage nicht nach spätestens 50 Tagen zu, kann die Regierung sie per Dekret in Kraft setzen. Diese Möglichkeit sieht das Eilverfahren nach Artikel 47.1 der französischen Verfassung vor, mit dem die Regierung ihr Vorhaben durch das Parlament peitscht.

Die Gewerkschaftsverbände rufen zum nächsten Aktionstag am 15. März auf. Gründe gibt es genug: Neben „Rentenreform“ und „Nationaldienst“ plant die Regierung, die Wirtschaft zur Kriegswirtschaft umzubauen und in den nächsten fünf Jahren 413 Milliarden Euro für Rüstung auszugeben. Die CGT fordert stattdessen, die Waffen zum Schweigen zu bringen und Diplomatie und Friedensverhandlungen zu unterstützen. Frieden müsse man mit einer „Wirtschaft des Friedens“ vorbereiten.

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"Auf zum nächsten Gefecht", UZ vom 17. März 2023



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