Krise der Automobilindustrie und Auswirkungen auf die Arbeiterklasse

Auf Talfahrt

Nicht nur hohe Energiepreise, Kapitalflucht, desolate Infrastruktur, Firmenpleiten und immer höhere Rüstungsausgaben machen der deutschen Wirtschaft zu schaffen, sondern auch eine beginnende Deindustrialisierung mit erheblichen Auswirkungen. Die Automobilindustrie gilt noch immer als Leitindustrie und Vorzeigebranche, doch beinahe täglich gibt es neue Hiobsbotschaften – sowohl von den Autokonzernen als auch von den Zulieferern. Die Zahl der Beschäftigten sank in den letzten vier Jahren um circa 50.000.

Die Umsatzzahlen zeigen: Die Pkw-Produktion in Deutschland ist eingebrochen. Trotz leicht steigendem Absatz liegt das aktuelle Volumen rund 20 Prozent unter dem Absatzniveau von 2019. Bei batterieelektrischen Fahrzeugen ist der Rückgang noch höher. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) geht von einem Absatzminus um ein Viertel aus. Rund 6,2 Millionen Autos könnten pro Jahr hierzulande produziert werden, doch die Produktionsstätten sind schlecht ausgelastet. Im vergangenen Jahr gingen deutschlandweit 4,1 Millionen Fahrzeuge vom Band, so eine Studie.

Die Folgen: Ford macht seine Fabrik in Saarlouis dicht und streicht die Produktionsstätte in Köln zusammen. Im VW-Werk in Zwickau sollen noch im August mehr als 1.000 VW-Beschäftigte entlassen werden – und mittelfristig müssen alle 9.400 Werksarbeiter um ihre Jobs fürchten. 2023 lag die Auslastung von Mercedes in Sindelfingen – dem größten Werk – gerade mal bei 44 Prozent. In den Standorten Rastatt, Bremen und Düsseldorf liegt sie bei 69 Prozent. Schichten werden gestrichen – insbesondere die teure Nachtschicht.

Diese Entwicklung wirkt sich auf die Autozulieferer aus. Bosch, Conti, ZF und Mahle – alle schließen Werke und kürzen beim Personal. Bis zu 14.000 Stellen sollen beim Technologiekonzern ZF Friedrichshafen wegfallen. Das wäre fast ein Viertel der derzeit 54.000 Angestellten. Über tausend sollen bei Bosch gestrichen werden. Dort wurde für rund 6.000 Beschäftigte die Arbeitszeit reduziert, mit entsprechenden Lohneinbußen. Der Scheinwerferspezialist Hella musste seine Jahresziele deutlich reduzieren, der renommierte Autositzhersteller Recaro ist insolvent. Das erfuhren die Beschäftigten Ende Juli durch die Push-Meldung eines Internetportals. Continental will sich in Zukunft nur noch auf das Reifengeschäft konzentrieren, den Rest will der Konzern abspalten. Dabei ist unter anderem der Abbau von über 7.000 Stellen weltweit vorgesehen.

Das sind nur einige Schlaglichter. Wie aus einer Erhebung der Unternehmensberatung Horváth hervorgeht, wollen 59 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland in den kommenden fünf Jahren Stellen streichen. Gründe für diese Entwicklung gibt es viele. Die hohen Energiekosten durch die Sanktionen gegen Russland sind einer von ihnen. Die politisch gewollte Orientierung auf Elektroantriebe muss ohne die dafür notwendige Infrastruktur auskommen und mittlerweile auch ohne Prämien. Dem Staat fehlt aufgrund der Kriegspolitik der Bundesregierung das nötige Geld. Die hohe Inflation und Reallohnverluste haben zudem einen erheblichen Kaufkraftverlust nach sich gezogen. Für Normalverdiener bleiben E-Autos meist unbezahlbar.

Dazu kommt: Die Autokonzerne orientieren auf das hochpreisige Segment, auf Luxusautos. Damit können sie trotz Umsatzverlusten weiter kräftige Gewinne einfahren. So war das wichtigste Segment im letzten Jahr die Klasse der SUV und Geländewagen mit 1,53 Millionen verkauften Einheiten (+41 Prozent). Vor der Kompaktklasse mit 1,01 Millionen Fahrzeugen (+22 Prozent) und der Mittelklasse mit 0,64 Millionen (–2 Prozent). Danach folgt die obere Mittelklasse mit 0,36 Millionen Einheiten (+5 Prozent). Die Produktion des letzten Kleinwagenmodells in Deutschland lief letztes Jahr aus. Für Normalverdiener ist der Kauf eines Neuwagens die Ausnahme geworden.

Die Beispiele zeigen, dass die Krise der Automobilindustrie auf den Rücken der Beschäftigten abgewälzt wird. Die Profite sprudeln nach wie vor, auch bei sinkendem Absatz. Der „Zukunftsfonds Automobil“ der Bundesregierung und die „Konzertierte Aktion Mobilität“ von Regierung, Kapital und IG Metall – auf Wachstum und Subventionen angelegt – bieten keine Alternativen für einen großen Teil der Beschäftigten. Und es ist auch kein Beitrag für die so dringend notwendige sozialökologische Mobilitätswende. Nach wie vor gilt das privat finanzierte und genutzte Auto, der Individualverkehr, als das einzig richtige Verkehrskonzept. Nur jetzt eben mit E-Motor. Das öffentliche Verkehrswesen wird kaputtgespart.

Sinnvoll wäre, planmäßig Beschäftigung im Schienenfahrzeug- und Busbau auszubauen und damit die wegfallenden Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu ersetzen. Sinnvoll wäre, ein mehrere hundert Milliarden schweres Sondervermögen für den Ausbau der Schieneninfrastruktur, den Ausbau des öffentlichen Verkehrswesen in der Stadt und auf dem Land aufzulegen. In diversen Studien wurde herausgearbeitet und dokumentiert, dass eine solche Verkehrswende die Arbeitsplatzverluste in der Autoindustrie überkompensieren würde.

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"Auf Talfahrt", UZ vom 23. August 2024



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