Neuer Rüstungshaushalt – Neue Ausrichtung der Bundeswehr

Auf Spatzen soll nicht geschossen werden

Von Uwe Koopmann

Unter der Bezeichnung „Einzelplan 14 des Bundeshaushalts“ hat Ursula von der Leyen, die Ministerin der „Verteidigung“, ihren offiziellen Ansatz für die Bundeswehr und die NATO sowie für die Rüstungsschmieden verteidigt: „Der Verteidigungshaushalt 2015 beträgt knapp 33,0 Milliarden Euro; dies entspricht einem Anteil von 10,9 Prozent am Bundeshaushalt. Gegenüber dem Haushaltsjahr 2014 steigt das Volumen nominal um zirka 0,5 Mrd. Euro (Vorjahr: 32,4 Mrd. Euro).“ Das sind offiziell 1,2 Prozent des Bundesinlandsproduktes (BIP). Aber: Es wird noch schlimmer kommen: 2016 sollen es 1,2 Mrd. Euro mehr sein (Summe: 34,2 Mrd. Euro) und bis 2019 sogar zusätzliche acht Milliarden. Summe: 35 Milliarden Euro.

Begründet werden die offiziellen Ausgabensteigerungen mit einer gestiegenen Gefahrenlage. Diese Gefahrenlage wird militärstrategisch behauptet durch potentielle Bedrohungen rund um den Globus: Somalia, Libanon, Irak, Iran, Afghanistan, Jemen, Tunesien … Das geht weiter bis hin zur wirtschaftlichen Bedrohung der einheimischen Rüstungskonzerne, die die Auftragslage beklagen, aber die Erwartungen nicht erfüllen: das G36 von Heckler&Koch, das nicht trifft, der Airbus-Transporter A400M, der nicht fliegt, der Hubschrauber NH90, der nicht aufsteigt.

Waffen verschwinden auf ominösen Wegen: Das Sturmgewehr G3 (Heckler&Koch) fällt aus saudi-arabischen Flugzeugen auf die Stadt Saden (Jemen). Die Gewehre könnten mit deutscher Lizenz in Saudi-Arabien gebaut worden sein – mit der Auflage: für den Eigenbedarf. Eine so genannte „Endverbleibskontrolle“ gab es nach Angaben des „Spiegel“ jedoch nicht, da die in Riad nicht zugelassen wurde.

9 472 Exemplare des G36 sollen nach Mexiko geliefert worden sein. Bei der Ermordung der 43 Studenten von Guerrero wurde auch aus deutschen Waffen geschossen. Auch hier gab es keine „Endverbleibskontrolle“. SIG Sauer aus Eckernförde unterläuft die Exportbestimmungen.

Ursula von der Leyen müsste sich um diese „Abgänge“ kümmern. Die NATO fordert insgesamt eine deutliche Steigerung im Rüstungssektor, denn die gewünschten zwei Prozent des BIP werden nur von den USA, Großbritannien, den „Frontstaaten“ Estland und Polen sowie Griechenland (!) aufgebracht. Deutschland liegt offiziell bei 1,2 Prozent des BIP. Die Kritik folgt auf dem Fuße: Jens Stoltenberg, seit dem 1. Oktober 2014 NATO-Generalsekretär und zuvor zweimaliger sozialdemokratischer Ministerpräsident von Norwegen, kritisierte ein paar Tage nach der Bilderberg-Konferenz (11. bis 14. Juni 2015) am 29. Juni in der Süddeutschen Zeitung: „Ich spreche alle Verbündeten an, aber als große Volkswirtschaft fällt Deutschland stärker ins Gewicht als andere.“ Dazu die Ministerin in Berlin bei dem „Festakt“ zum NATO-Beitritt der Bundeswehr vor 60 Jahren: „Diesem Anspruch stellen wir uns.“ Zustimmung auch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Zustimmung vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der sich mit Rüstungsexperten des Ministeriums fünf Monate lang darüber abgesprochen hat, wie die Zukunft der Bundeswehr aussehen soll. Ein zentrales Anliegen: Die Sichtweise der Industrie auf die „Agenda Rüstung“ des Ministeriums soll berücksichtigt werden.

Aus vielen Rohren werden Freudenschüsse abgefeuert. An der Lunte auch: Georg Wilhelm Adamowitsch (SPD), Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Ex-Staatssekretär unter Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (Ex-SPD). Dabei üben sich die Hochrüster bisweilen in der Quadratur des Kreises: Je mehr Waffen, desto tödlicher ist die Sicherheit. Die Aufstockung der „Schnellen Eingreiftruppe“ und der „Speerspitze“ mit der Bundeswehr im vorderen Schützengraben passt allerdings nicht zu der Aussage, dass Russland nicht bedroht werden solle.

Schon im „Weißbuch 2006“ wurde die Bedrohungskarte gezogen: „Der internationale Terrorismus stellt eine globale Bedrohung dar. Er richtet sich gegen die Werte der westlichen Welt, gegen die Freiheit und damit gegen die Grundlagen unserer Gesellschaft. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und weitreichenden Trägermitteln entwickelt sich zunehmend zu einer potenziellen Bedrohung – auch für Deutschland.“

Diese behauptete Situation ist eine Herausforderung für die Rüstungskonzerne. Die militärische Produktion soll differenzierter aufgestellt werden. Zwar hat sich die Herstellung von Drohnen bislang als Rohrkrepierer erwiesen. Da aber inzwischen sogar Weihnachtspäckchen mit diesen Fluggeräten transportiert werden können, sollte das – mit Aufklärungstechnik oder sogar Waffen bestückt – selbst im präventiven Bundeswehr-Einsatz wo auch immer in der Welt gelingen. Rheinmetall-Chef Armin Papperger befürchtet in der „Welt“, wenn da nichts passiert, einen „schleichenden Technologieentzug“.

Panzer gegen die behauptete Bedrohung aus Russland waren schon 1940 im Einsatz, wenn auch nicht abschließend erfolgreich. Das schließt neuerliche Träume über einen Einsatz nicht aus. Papperger sieht Chancen: „Deutschland wird wieder als Panzermacht helfen müssen.“ Diese „Hilfe“ kann nur im engen Zusammenspiel zwischen Rüstungsindustrie und CDU/CSU/SPD-Bundesregierung funktionieren. Papperger und seine Vorgänger gehen seit 20 Jahren davon aus, dass die industrielle Schlagkraft sich durch weitere Kooperationen und Fusionierungen bei der Panzerproduktion noch steigern lässt. Danach könne die Rüstungsschmiede „Krauss-Maffei Wegmann“ (KMW) unter das Dach von Rheinmetall kommen. KMW-Vorsitzender Frank Haun sieht seinen Konzern dagegen in zehn Jahren als Marktführer in Europa. Mit den Panzern können sogar Kriege unterschiedlicher Art zwischen Konzernen geführt werden.

Die Kritik der breiten Bundestagsmehrheit richtet sich nicht gegen den „Kriegskapitalismus“. Sie richtet sich gegen Verfahrensfragen. So monierte MdB Tobias Lindner (Bündnis 90/Grüne) in der ARD, dass das Parlament an den Entscheidungen von Regierung und Konzernen nicht beteiligt werde. Hintergrund war das gemeinsame Positionspapier der Rüstungsindustrie und des Ministeriums. MdB Christina Buchholz (Die Linke) am 1. März: „Die Bundeswehr soll in Zukunft eine größere Rolle in asymmetrischen Kriegen und in der Konfrontation mit Russland spielen. Das ist nicht nur brandgefährlich, sondern auch noch teuer. Abrüstung, nicht Aufrüstung ist das Gebot der Stunde.“

Patrik Köbele, DKP-Vorsitzender: „Wer gegen Krieg und Militarismus ist, wer gegen Atom-Bomben auf deutschem Boden protestiert oder wer gegen das Kommando Operative Führung Luftstreitkräfte in Kalkar auf die Straße geht, der muss sich auch der Erkenntnis stellen, dass diese Orte des Todes der Regie der NATO und des Berliner Verteidigungsministeriums unterstehen. Dort wird der Frieden gefährdet, werden Kriege vorbereitet und durchgeführt, dort sind Milliarden zu holen.“ Der größte militärische, finanzielle und haushaltsrechtliche Gewinn würde entstehen, wenn die Zentralen auf der Hardthöhe in Bonn und im Bendlerblock in Berlin komplett freigesetzt würden. Und natürlich auch in Brüssel und in Washington.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Auf Spatzen soll nicht geschossen werden", UZ vom 10. Juli 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit