Am 10. November 1945, ein halbes Jahr nach der Befreiung von der faschistischen Barbarei in Europa, trafen sich Jugendliche aus 63 Nationen in London und gründeten den Zusammenschluss aller antiimperialistischen und progressiven Jugendorganisationen, den Weltbund der Demokratischen Jugend.
Finanziell, ideologisch und personell unterstützt durch die entstehende sozialistische Staatengemeinschaft, hallte damit der Ruf nach Frieden, sozialer Gerechtigkeit und dem Ende der imperialistischen Mordbrennerei durch die Lande. Er erfasste Milliarden von Jugendlichen. Der WBDJ und seine Mitgliedsorganisationen unterstützten die kubanische Revolution und die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika, begehrten auf gegen die Massaker in Vietnam oder dem Irak, diskutierten in Generalversammlungen und feierten und diskutierten auf Dutzenden Weltfestspielen der Jugend und Studenten unter anderem in Prag, Moskau, Pjöngjang und Havanna. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) ist seit ihrer Gründung im Mai 1968 aktives Mitglied im WBDJ. Sie folgt dabei dem Leitspruch des WBDJ „Vorwärts für unsere Zukunft! Bis wir die Welt geschaffen haben, für die wir kämpften und für die wir träumten!“ UZ sprach mit Aritz Rodriguez Galan, dem heutigen Vorsitzenden des WBDJ.
UZ: Der WBDJ kann auf eine ereignisreiche Geschichte zurückblicken, sein 75-jähriges Jubiläum naht – Zeit zum Rückblick. Warum wurde der WBDJ gegründet und was stellt er heute dar?
Aritz Rodriguez Galan: Am 10. November 1945 gründete die Weltjugendkonferenz den Weltbund der Demokratischen Jugend. Diese historische Konferenz trat auf Initiative des Weltjugendrates zusammen, der während des Zweiten Weltkrieges zur Bekämpfung des Faschismus von der Jugend der alliierten Länder gebildet worden war. Zum ersten Mal in der Geschichte kamen Vertreter von mehr als 30 Millionen jungen Menschen unterschiedlicher politischer Ideologien und religiöser Überzeugungen aus 63 Nationen zusammen.
Der Weltbund der Demokratischen Jugend ist eine internationalistisch-antiimperialistische Nichtregierungsorganisation, die sich weltweit in Kampagnen und Aktivitäten für Frieden, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte sowie gegen Krieg und Unterdrückung einsetzt. Seit seiner Gründung hat der WBDJ gegen den Feind des einfachen Volkes und der arbeitenden und lernenden Jugend – den Imperialismus – gekämpft in der festen Überzeugung, dass es durch die Einheit der Klasse, durch Bildung und im Kampf der jungen Arbeiterinnen und Studenten gelingen wird, eine Welt aufzubauen, für die es sich zu kämpfen lohnt.
UZ: Mit dem Jahr 1989 implodierte der staatgewordene Sozialismus, der WBDJ verlor zentrale Bezugspunkte, finanzielle Unterstützer und seine Organisationsstruktur – die sozialistische Linke erreichte einen Tiefpunkt. Kannst du beschreiben, wie der WBDJ die Konterrevolution überlebte und welche Konsequenzen sich für die Arbeit ergeben haben?
Aritz Rodriguez Galan: Die Folgen der Konterrevolution waren vielfältig und betrafen all jene, die danach strebten, dieses auf Ausbeutung basierende System zu überwinden. Somit nahm auch der WBDJ, als jugendliches Teilelement, großen Schaden. Zum einen verlor der WBDJ finanzielle Bezüge, einen hauptamtlichen Apparat, zum anderen Erfahrungen und Wissen, aber nie die Überzeugung um die Machbarkeit einer besseren Welt. Statt dem humanistischen Ziel näher zu kommen, rückte es in weite Ferne – auf den Aufbruch der 1970er Jahre folgte eine tiefe Krise. Ihre Auswirkungen sind bis heute spürbar.
Primär zu benennen ist, dass mit dem Sozialismus im Weltsystem die Kraft von der politischen Landkarte nahezu verschwand, die als Gegengewicht ein Fortschreiten des Imperialismus, seine todbringende Aggressivität, erfolgreich behindert hatte. Diese historische Zäsur betrifft die gesamte Menschheit. Erinnern wir an das Schicksal derer, die heute erneut unter der Knute der Monopole zu leiden haben: Privatisierungen, Grundrechtsbeschneidungen oder die Verschlechterung der Lebensbedingungen – die Auswirkungen sind fatal. Trotz der schwerwiegenden Folgen hielt die ideologische Stärke den WBDJ am Leben: Die Gewissheit, dass eine Welt frei von Ausbeutung möglich ist, macht stark.
UZ: Nach der gewaltigen Explosion im Hafen von Beirut, bei der 200.000 Menschen ihr Zuhause verloren, dauerte es nur wenige Stunden, bis der WBDJ zu einer großen Spendenaktion aufrief. Wie analysiert ihr die Lage vor Ort und welche weiteren Brennpunkte beschäftigen euch derzeit?
Aritz Rodriguez Galan: Zunächst, die Lage im Libanon war weit vor der tragischen Explosion im Hafen von Beirut kritisch. Während der letzten Jahrzehnte haben die Regierungen eine Politik im Sinne der besitzenden Klasse betrieben, die das Leben von Millionen libanesischer Arbeiterinnen und Arbeiter verschlechtert hat: Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut, soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Instabilität sind die Resultate dieser Politik. Der Imperialismus sowie die Konflikte im Nahen Osten sind ein Schlüsselpunkt für das Verständnis der Fragilität des Zedernstaates. In diesem Zusammenhang brachten wir unsere Solidarität und volle Unterstützung zum Ausdruck, sammelten Geld, verteilten Flugblätter und Plakate, um das Bewusstsein für die Lage im Libanon zu schärfen.
Kürzlich haben wir zudem die imperialistische Einmischung in Weißrussland verurteilt und bekräftigt, dass die Zukunft des Landes ausschließlich von seinem Volk bestimmt werden sollte. Die Tragödie von Moria, welche der kriminellen Politik der Europäischen Union anzulasten ist, die neokoloniale Ausbeutung des afrikanischen Kontinents, die imperialistische Einmischung in Syrien, dem Irak, in Nordkorea oder die Aggressionen gegen Iran und Venezuela sowie die Blockade gegen Kuba sind unsere Arbeitsfelder. Wir werden immer, getreu unserer Geschichte, dem Imperialismus die Stirn bieten und die Freiheit verteidigen.
UZ: Auch wenn die Zeiten sich signifikant verschlechtert haben, bleibt der WBDJ eine starke Stimme der fortschrittlichen Kräfte: Kannst du uns sagen, wie viele Mitglieder auf wie vielen Kontinenten ihr derzeit vereint?
Aritz Rodriguez Galan: Heute besteht der WBDJ aus mehr als 150 Organisationen von allen Kontinenten, von Afrika bis Asien und von der Karibik bis nach Europa. Diese Zahlen geben eine Vorstellung von unserer Stärke: wir bleiben ein schlagkräftiges Werkzeug, um unsere Rechte als Jugend vor der Brutalität des Imperialismus zu schützen, dieses wahnsinnige System zu verurteilen und um das Ende der Kapitalherrschaft zu kämpfen.
UZ: Imperialismus bedeutet äußere Aggression und Krieg sowie innere Unterdrückung: Einige der Mitgliedsorganisationen, zum Beispiel die Tudeh-Partei und ihre Jugend im Iran, werden in ihren Heimatländern verfolgt und leben in der Illegalität. Wie geht ihr damit um?
Aritz Rodriguez Galan: Die Repression wird von den herrschenden Klassen benutzt, um unsere gerechten Ansprüche einzuschränken und ihre Vorherrschaft zu manifestieren – sie ist ein Instrument der Klassenherrschaft und der Einschüchterung gegen die Jugend und die Arbeiterklasse. Wir beobachten in den vergangenen Jahren eine Zunahme an repressiven Maßnahmen. Der Iran stellt leider keine Besonderheit dar.
Wir haben unsere Solidarität mit dem iranischen Volk in seinem Kampf für Frieden, demokratische Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit zum Ausdruck gebracht. Eine ausländische Intervention, die vom Imperialismus präferierte Option, lehnen wir aber entschieden ab. Die Zukunft des Landes muss vom iranischen Volk bestimmt werden. Wir verurteilen gleichsam die innenpolitische Situation sowie die gewaltsame Niederschlagung friedlicher Proteste gegen die Regierung.
Auf der Seite der Unterdrückten zu stehen ist keine leichte Aufgabe. Wir haben Organisationen, die in Ländern kämpfen, die unter Besatzung leiden, in denen der Imperialismus mordet, Länder, in denen unsere Kämpferinnen und Kämpfer vom Repressionsapparat verfolgt werden, in denen jeglicher Widerstand mundtot gemacht wird. Generell gilt: der Kampf gegen eine Allmacht aus Polizei, Militär und Geheimdienst kann tödlich enden. Aber mit der Gewissheit, dass die Geschichte dieses System hinwegfegen wird, lässt sich der Kampf leichter führen.
UZ: Im Moment kann man sich kaum Festivals mit Abertausenden Jugendlichen vorstellen, wie es sie 2017 in Russland oder zuvor in Quito gab. Sind die nächsten Weltfestspiele der Jugend dennoch in Planung?
Aritz Rodriguez Galan: Die Ausrichtung der 20. Weltfestspiele der Jugend und Studenten ist ein Hauptaugenmerk meiner und unserer Arbeit. Die Entscheidung darüber, wo und wann sie stattfinden, muss im Generalrat des Weltbundes getroffen werden – darüber kann ich leider zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Angaben machen. Die Schwierigkeiten, die die Pandemie mit sich bringt, sind ein Hindernis, das Datum und den Ort festzulegen, jedoch kein Grund zu einer generellen Absage. Es bleibt dabei, auch in den kommenden Jahren wird es wieder ein internationalistisches und antiimperialistisches Festival in der Welt geben, ausgerichtet durch den WBDJ.
UZ: Berlin, Havanna, Moskau – klangvolle Städtenamen, die eines gemeinsam haben: alle haben erfolgreich die Weltfestspiele ausgerichtet. Lass uns kurz zurückblicken: Wie kam es zur Entstehung der Festspielbewegung?
Aritz Rodriguez Galan: Die Weltfestspiele finden seit 1947 regelmäßig statt, zuletzt 2017 in Moskau, wo mehr als 30.000 Menschen aus hunderten Organisationen und Dutzenden von Ländern aller Kontinente der Welt teilnahmen. Die Weltfestspiele eignen sich hervorragend, um Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Genossinnen und Genossen auszutauschen. Sie bieten eine Gelegenheit, unsere Solidarität mit den unterdrückten Völkern zum Ausdruck zu bringen und unseren Kampf gegen den Imperialismus zu befeuern. Herausragende Erinnerungen unserer Arbeit sind mit Sicherheit Havanna 1997 – unter dem Motto „Nein zur Blockade“ – oder Russland 2017 – in Gedenken an 100 Jahre Roter Oktober.
Die Weltfestspiele sind möglicherweise das größte antiimperialistische, kulturelle und politische Ereignis in der Welt, ihre Geschichte ist gespickt mit historischen Meilensteinen. Somit sind sie auch heute ein unverzichtbares Instrument, um unsere Ziele voranzutreiben. Sobald die Pandemie überwunden ist, besteht kein Zweifel daran, dass die Weltfestspiele der Jugend und der Studierenden wieder stattfinden werden.