Berliner Polizei verhängt Sprachverbote und räumt Solidaritäts-Camp für Palästina. Die Welt schaut mit Empörung nach Deutschland

Auf der richtigen Seite der Geschichte

Niall Farrell

Es ist kaum zu fassen, dass eine deutsche Regierung die Staatsgewalt einsetzt, um die friedliche Stimme des Widerstands gegen den eklatanten israelischen Völkermord zum Schweigen zu bringen und zu verfolgen. Ein moderner Genozid, der live in die Welt gestreamt wird. Und wieder profitieren deutsche Rüstungskonzerne. Es ist schon ironisch, dass Deutschland diesen Weg unter dem Deckmantel des „Antisemitismus“ geht. Dass das auch anders geht, hatte die DDR bewiesen, die eine staatliche antizionistische, antiimperialistische Position bezog. Für einen irischen Beobachter wie mich, der nicht ständig in Deutschland weilt, ist dieser Absturz an Demokratie vielleicht noch schockierender. Auch, dass fast die ganze Bevölkerung sehr eingeschüchtert scheint und die Medien jeglichen Protest gegen den Genozid verteufeln.

Am Freitag, den 26. April, kesselte die Berliner Polizei aufgrund angeblicher und zunehmend flexibel interpretierter Auflagenverstöße ein Palästina-Solidaritätscamp „Besetzung gegen Besatzung“ vor dem Kanzleramt und vis-a-vis des Reichstags ein und räumte es gewaltsam. Einige hundert Protestierende, die solidarisch um das Camp zusammenkamen, fielen sofort unter das „Versammlungsrecht“ und konnten damit kriminalisiert, bedroht und gewaltsam abgeführt werden. 175 Personen wurden festgenommen – darunter Palästinenser, Deutsche, Mitglieder der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und auch Iren. Bereits am gleichen Tag sowie am Folgetag kam es zu Protesten und Auseinandersetzungen in Neukölln.

Soli-Camp für Palästina vor dem Kanzleramt

Am Montag, dem 8. April, nur wenige Tage vor dem geplanten Palästina-Kongress in Berlin, wurde hier eine kleine palästinensische Installation aufgebaut, die mit einfachsten Mitteln Aufmerksamkeit für das Leiden in Gaza erwecken wollte. Zu der Ausstellung gehörten unter anderem Alltagsgegenstände, die nicht nach Gaza eingeführt werden dürfen, sowie Namenszettel mit rotem Band für Ermordete, die für Tausende stehen. Verbunden mit dieser Installation waren die Kernforderungen und -aussagen der Protestierenden: Sofortiger Waffenstillstand, Stoppt die Waffenlieferungen, Völkermord – Deutschland ist wieder dabei.

Als die Konferenz dann am 12. April von der Polizei gewaltsam abgebrochen und verboten wurde, begaben sich hunderte Beteiligte zu dieser Ausstellung und es entstand ein von Palästinensern und Juden gemeinsam gegründetes Gaza-Solidaritätscamp, das sich starker Beachtung und Unterstützung von Berlinern und Besuchern erfreute.

Verhaftungen und ­Sprachverbote

Schon lange vorher gab es deutschlandweit Vorfälle, bei denen Unterstützer der palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebung unter eine Generalschuldzuweisung der „Terrorismusbefürwortung“ fielen. Menschen, die Palästina-Fahnen aus dem Fenster hängten, wurden von der Polizei bedroht und verhaftet, ihre Wohnungen durchsucht. Aus diesem Grund bestand eine der Forderungen des Camps darin, dass „die Verfolgung und Einschüchterung von Sympathisanten mit der Freiheit für Palästina sofort beendet werden muss“.

Es war also wenig erstaunlich, dass es von Anbeginn auch eine starke Polizeipräsenz gab, die das Lager von etwa 50 Personen, die sich nun in Zelten dort aufhielten, überwachten und schikanierten. Zu diesen Schikanen zählten bestimmte Auflagen, darunter das Verbot, Arabisch zu sprechen, zu singen und arabische Musik zu spielen. Um den offen rassistischen Charakter dieser Einschränkungen zu kaschieren, galt das Verbot für alle Sprachen außer Deutsch und Englisch. Ausnahmen galten, wenn die betreffenden Sprecher einen offiziellen Dolmetscher für die Polizei zur Verfügung stellten. Diese Anweisung galt gleichzeitig für alle Proteste und Demonstrationen und ist eine beispiellose Einschränkung kultureller und ethnischer Identität und Freiheit. Es ließe sich sogar argumentieren, dass eine solche Verfügung Aspekte ethnischer „Säuberung“ tangiert.

Irische Delegation solidarisiert sich

Um dieses Sprachen-Verbot zu testen, beschloss eine Gruppe in Berlin ansässiger Iren, „Irish Bloc Berlin“ – Platform of Irish Solidarity with Palestine (Saoirse don Phalaistín Bheirlín) – einen irischsprachigen Konversationszirkel auf der Wiese des Zeltlagers abzuhalten. Nur durch eine WhatsApp-Gruppe für die irische Sprache in Berlin erfuhr ich von dem Camp und dem geplanten irischen Protest.

Irland ist bekannt für seine Unterstützung palästinensischer Freiheitsbestrebungen, für seine Verurteilung des Genozids. Diese Haltung, die selbst von der konservativen Regierung vertreten wird, hängt eng mit der eigenen Kolonialismuserfahrung zusammen, mit der Erfahrung von Siedlergewalt, Massakern, brutaler Vertreibung aus Heim und Heimat, auch eines Genozids durch Hunger im 19. Jahrhundert. Die irische Sprache wurde jahrhundertelang als Teil der Kolonialisierung und der damit einhergehenden ethnischen „Säuberung“ unterdrückt.

Vor diesem Hintergrund entstand der Gedanke der irischen Solidaritätsaktion. Am Freitag, den 19. April, begaben sich Mitglieder des „Irish Bloc Berlin“ zum palästinensischen Camp, brachten ein paar irische Nationalfahnen mit, legten eine Decke aus und begannen, irisch zu sprechen und zu singen. Sie wurden sofort von der Polizei aufgefordert, entweder deutsch oder englisch zu sprechen und ihre Fahnen zu entfernen. Sie wurden auch von den Polizisten gefilmt und eine ihrer Fahnen mit der Aufschrift „Freiheit für Palästina“ in irischer Sprache wurde einbehalten. Das Angebot der Gruppe, ihre Liedtexte für die Polizei zu übersetzen, wurde von den Beamten ausgeschlagen. Die Iren beschrieben den Vorgang in einer Erklärung:

Schikanen und ­Verfolgung durch Berlins Parkanlagen

„Die Polizei bestand darauf, dass unsere Nähe zum Lager unsere Beteiligung an dessen Aktivitäten impliziere, was das Verbot der irischen Sprache gemäß ihrer Sprachregelung rechtfertige. Obwohl wir uns mehrere hundert Meter entfernten, um nicht mehr als in der Nähe des Lagers zu gelten, und in kleinen Gruppen auf Decken in einem öffentlichen Park saßen, wurden wir weiterhin von der Polizei schikaniert. Sie teilten uns mit, dass unsere Versammlung illegal sei, da wir uns nun außerhalb des Lagers befänden, und stellten uns ein Ultimatum: Entweder wir kehrten in das Camp zurück, ohne irgendwelche Symbole, Banner oder Fahnen zu zeigen, und hörten auf, in irischer Sprache zu sprechen oder zu singen, oder wir verließen die Umgebung vollständig, wobei uns ferner untersagt wurde, uns außerhalb des Lagers zu versammeln.“

Die Iren wurden nun von der Polizei bis hin zum Haus der Kulturen der Welt verfolgt, in dem sie Zuflucht nahmen, doch warteten die Beamten mehrere Stunden vor dem Gebäude, bis die Mitglieder des Irish Bloc wieder erschienen. In ihrer Erklärung stellte die Gruppe weiterhin fest, dass sie sich eingeschüchtert und in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit sowie dem Gebrauch ihrer Muttersprache – einer offiziellen EU-Sprache – bedroht fühlten. „Solche präventiven Einschränkungen einer friedlichen Versammlung verstoßen sowohl gegen deutsches als auch gegen europäisches Recht.“

Kritik an Sprachverboten aus Irland

Diese behördliche Schikane und Einschränkung freier Meinungsäußerung sowie das Verbot des Gebrauchs einer europäischen Sprache deutscherseits hat nun in Irland für Alarm gesorgt. In den irisch- wie auch englischsprachigen Medien wurde Deutschland scharf kritisiert. Julian de Spáin, der Generalsekretär der Gesellschaft für Irisch, Conradh na Gaeilge, erklärte „Unserer Meinung nach handelt es sich hier um ein beschämendes Verhalten der deutschen Polizei, die die Sprachrechte der EU-Bürger wahren sollte, anstatt ihnen die Sprachrechte zu verweigern. Conradh na Gaeilge ist der Auffassung, dass in Palästina sofort ein dauerhafter Waffenstillstand in Kraft treten sollte, und wir sehen keinen Grund, warum die Menschen dies nicht auf Irisch unterstützen sollten. Wir sehen auch keinen Grund, warum Menschen gezwungen werden sollten, bei einem Protest für Palästina in Deutschland nur deutsch oder englisch zu sprechen.“

Sinn Féin kritisierte in einer irischprachigen Publikation, dass ein Banner mit der irischen Aufschrift „Freiheit für Palästina – Berlin“ verboten wurde und kommentierte, dass der Vorfall „orwellianisch“ anmutet. „Menschen, denen Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit wichtig sind, sollten sich über die Abwärtsspirale sorgen, die in den letzten Monaten in Deutschland bezüglich der normalen Gepflogenheiten in einer Demokratie zu beobachten war.“ In den deutschen Medien fiel selbstverständlich kein Wort über den Vorfall.

Bei meinem Besuch des Camps einige Tage nach dem Vorkommnis sprach ich mit palästinensischen Teilnehmern, die von allumfassender Polizeipräsenz und Schikane berichteten, die sich speziell gegen sie richtet, sowie auch gegen alle, die Solidarität mit ihnen bekunden. Zu diesen Gruppen gehört unter vielen anderen auch die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Vor kurzem kamen Mitglieder dieser Gruppe zum palästinensischen Camp, um gemeinsam das Pessachfest zu feiern. Auch andere deutsche wie internationale Initiativen veranstalten Workshops auf dem Gelände. Besonders am Wochenende versammelten sich dort hunderte Menschen.

Nach ihren Forderungen befragt, nannten die Beteiligten an dem Camp vor allem einen unverzüglichen Waffenstillstand, den sofortigen Stopp jeglicher finanzieller und militärischer Hilfe Deutschlands für den Völkermord in Gaza sowie ein Ende der Verfolgung von Palästinensern in Deutschland durch staatliche Organe. Als einen kleinen Erfolg verbuchten die Protestierenden, dass die israelische Fahne, die permanent vor dem Reichstag gehisst war, eingezogen worden war. Doch konnte das Camp offenbar nicht länger toleriert werden.

Solidarität vom Enkel Nelson Mandelas

Das brutale Vorgehen gegen die Demonstranten hat international Wellen geschlagen. Nicht nur in Irland wird das Vorgehen selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien mit Besorgnis registriert, Solidaritätsbekundungen kamen aus aller Welt. Der Enkelsohn Nelson Mandelas, der Abgeordnete Nkosi Zwelivelile Mandela, sprach den Protestierenden seinen Dank aus und rief die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dazu auf, „sich den Demonstranten anzuschließen, weil diese auf der richtigen Seite der Geschichte stehen – so wie die Weltbevölkerung Seite an Seite mit uns stand und wir so das Apartheid­regime in Südafrika isolieren und stürzen konnten. Wir rufen alle Zivilgesellschaften, Organisationen, basisdemokratischen Bewegungen sowie deutsche Parlamentarier dazu auf, die palästinensische Seite voll und ganz zu unterstützen, die das Land ihrer Vorväter verteidigen, ein Anspruch, der in internationalem Recht verankert ist. Wir rufen alle Deutschen dazu auf, das Schweigen zu brechen.“

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"Auf der richtigen Seite der Geschichte", UZ vom 3. Mai 2024



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