Lauterbachs Arzneimittelpläne schaffen riesige Gewinnmöglichkeiten für die Pharmaindustrie

Auf den Mangel folgt der Profit

Robert Profan

Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es aktuell bei 467 Medikamenten Lieferengpässe. Das betrifft unter anderem Krebsmedikamente, Antibiotika und Asthmapräparate sowie Fiebermittel auch speziell für Kinder. Glücklicherweise gibt es zum Teil Ersatzpräparate, aber eben nicht für alle. Diese Lieferprobleme durch die Pharmaindustrie treten nicht zufällig nur bei Medikamenten auf, mit denen die Hersteller keine sehr großen Profite machen. Was ist also die logische Konsequenz für unseren sozialdemokratischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)? Ganz klar, die Profitmöglichkeiten für die Pharmaindustrie müssen verbessert werden! Dabei hat er zunächst bei den Kindermedikamenten angefangen, jetzt sollen die Antibiotika und, wenn sich das bewährt hat, weitere Medikamente folgen. Zahlen wird das aber natürlich nicht der Herr Minister, sondern die Krankenkassen, die bisher durch Rabattverträge bei patentfreien Medikamenten Einsparungen in Milliardenhöhe durchsetzen konnten. Von den derzeit etwa 49 Milliarden Euro Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente entsteht nur ein kleinerer Teil durch die patentfreien Generika, obwohl sie immerhin 80 Prozent der Verordnungen ausmachen. Die für die Pharmaindustrie interessanten Medikamente sind also die patentgeschützten Arzneimittel, die für Maximalprofite sorgen.

Weshalb ist es überhaupt zu den Lieferengpässen gekommen? Auch in der Pharmaindustrie hat sich die „Just in time“-Produktion durchgesetzt, das heißt: keine Vorratshaltung, sondern eine an den Bedarf des Marktes angepasste kurzfristige Produktion. Bei einer schnellen Zunahme des Bedarfs zum Beispiel durch eine Infektionswelle fehlen dann die notwendigen Medikamente. Gerade bei einer weltweiten Zulieferung von Medikamenten oder deren Grundsubstanzen lässt sich so natürlich nicht auf kurzfristige Änderungen des Bedarfs reagieren. Daher sieht Herrn Lauterbachs Gesetzesplan auch vor, der Pharmaindustrie bessere Verdienstmöglichkeiten einzuräumen, wenn eine entsprechende Vorratshaltung von mindestens drei Monaten gewährleistet und vornehmlich in Europa produziert wird. Auch sollen die patentgeschützten, meist weit überhöhten Preise für Antibiotika länger erhalten bleiben. Pharmaindustrie-Expertin Jasmina Kirchhoff vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist sehr zufrieden mit dieser Entwicklung und spricht von einem „ruinösen Preiskampf bei generischen Arzneimitteln“, der schon längst hätte beendet werden müssen. Ein Umdenken, wie jetzt durch den SPD-Minister, sei hier schon lange überfällig.

Also soll der Markt wieder mal alles regeln. Staatliche Eingriffe sollen nicht erfolgen, sonst könnten ja die Pharmakonzerne ins Ausland abwandern. Das BfArM soll lediglich ein Frühwarnsystem aufbauen, damit Arzneimittelengpässe in Zukunft früher erkannt werden können. Es soll keinerlei verpflichtende staatliche Regelungen geben, die dann auch sanktioniert werden könnten. Auch weiterhin können die Pharmaunternehmen zum Beispiel bei den patentgeschützten Medikamenten Phantasiepreise verlangen, ohne die tatsächlich entstandenen Kosten für Forschung und Entwicklung nachvollziehbar deklarieren und transparent machen zu müssen. Die Pharmaindustrie frohlockt und die Krankenkassen sehen dunkle Wolken aufziehen. Die Bundesregierung setze „alles auf eine Karte: mehr Geld für die Pharmaindustrie“, kritisiert Stefanie Stoff-Ahnis vom Vorstand der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

Die Bundesregierung liegt mit ihrem Gesetzesentwurf zur Arzneimittelreform ganz auf Linie der EU, die schon lange zusammen mit den Pharmakonzernen an einem neuen Rechtsrahmen für Arzneimittel bastelt. Mit den überarbeiteten Pharmaregeln ziele die EU-Kommission darauf ab, „die Patienten in den Mittelpunkt zu stellen und gleichzeitig eine innovative und weltweit wettbewerbsfähige EU-Industrie voll zu unterstützen“, betonte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erst am 13. März dieses Jahres. „Diese beiden Ziele sollten in einem ausgewogenen Verhältnis verfolgt werden. Nicht als Gegensätze.“ Die Kommissarin unterstützt daher selbstverständlich eine Idee, die vor einigen Monaten von der pharmazeutischen Industrie der EU vorgeschlagen wurde. Nämlich dass Unternehmen, die ein sogenanntes neuartiges Antibiotikum entwickeln und herstellen, einen Gutschein erhalten, mit dem sie die Patentrechte eines anderen Arzneimittels verlängern können. Diesen Gutschein könnten sie aber auch an ein anderes Unternehmen verkaufen – eine weitere „Superidee“, von denen es sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene derzeit nur so wimmelt.

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"Auf den Mangel folgt der Profit", UZ vom 21. April 2023



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