Wie zu solchen Anlässen üblich ist mit viel Brimborium am 22. Januar im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses von Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Vertrag „über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration“ unterzeichnet worden. Zum Brimborium gehört die Wahl des Tages: Genau 56 Jahre nach der Unterzeichnung des sogenannten „Elysée-Vertrages“, der 1963 die Zusammenarbeit zwischen den früheren europäischen „Erzfeinden“ vertiefte. Er legte den Grundstein für die enge Abstimmung zwischen Paris und Berlin vor allen wesentlichen Schritten, die über die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) zur Europäischen Gemeinschaft (EG), schließlich zur heutigen Europäischen Union (EU) und der Einigung auf eine gemeinsame Währung, den Euro, führten.
Am Rande der Zeremonie protestierten rund 120 Menschen, teilweise in gelben Westen, gegen die beiden Regierungen und forderten „mehr soziale Gerechtigkeit“. Große Resonanz hat das Ereignis trotz aller Bemühungen, es – wie ebenfalls bei solchen Anlässen üblich – als „historisch“ erscheinen zu lassen, in den hiesigen Medien nicht gefunden. Wen wundert’s: Die 28 Artikel enthalten viel Quallenfett und es könnte der Eindruck entstehen, hier hätten zwei Mächte im Niedergang den Versuch unternommen, ihren drohenden Abstieg aus der Liste der zehn wichtigsten Industrienationen durch engen Zusammenschluss doch noch abzuwenden.
Das alles wäre richtig, gäbe es in diesem Vertrag nicht das Kapitel 2, das mit sechs Artikeln umfangreichste des ganzen Werkes – und hier insbesondere den Artikel 4. Der Abschnitt ist überschrieben mit „Frieden, Sicherheit und Entwicklung“. Im ersten Artikel wird die Entschlossenheit betont, die „Fähigkeit Europas“ zu stärken, „eigenständig zu handeln“ – damit bekommen die Aussagen Merkels und Macrons, man müsse sich von der Abhängigkeit von den USA lösen, nun auch eine vertragliche Grundlage. Im Folgeartikel 4 geht es dann im fast martialischen Ton zur Sache: Beide Seiten wollten ihre „sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien einander zunehmend“ annähern – und: „Sie leisten einander im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ihre Hoheitsgebiete jede in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung; dies schließt militärische Mittel ein.“ Die Bedeutung dieser Bestimmungen wurden unterstrichen dadurch, dass Frau Merkel sie in ihrer Erläuterungsrede wörtlich wiederholt hat und daß aus dass großen Riege ihrer Regierung die Kriegsministerin, Frau von der Leyen, persönlich dabei war im Krönungssaal zu Aachen.
Der Londoner „Economist“ urteilt über das Werk, es sei überwiegend voll von „hopeful language“, die einzigen substanziellen Bestimmungen seien die zur gemeinsamen Verteidigung. Das stimmt, und noch mehr zur Sache kommt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS), die am 27. Januar feststellte, dass diese Beistandsgarantie in ihrer Formulierung über die der NATO hinausgehe – und an „das Tabu“ rühre, damit gemeinsam auf die französischen Atomwaffen zugreifen zu können.
Seit den Tagen von Franz-Josef Strauß und Konrad Adenauer – dessen Unterschrift unter dem Elysée-Vertrag steht – robbt sich die deutsche herrschende Klasse allen Hürden und allem Schlamm trotzend unentwegt voran, um irgendwie in den Besitz von Atomwaffen zu kommen. Die zur Zeit ökonomisch wie innenpolitisch schwächelnde französische Bourgeoisie hat in Aachen – auf halber Strecke zwischen Berlin und Paris liegend – einen Deal gemacht: Ihr helft uns ökonomisch und politisch, dafür öffnen wir euch die Tür zu unserer Bombe.
Das ist der Kern der Botschaft von Aachen. Die Aufrüstung Deutschlands schreitet mit der Verabschiedung des letzten Bundeshaushalts nicht nur quantitativ voran, sondern mit diesem Griff zur atomaren Teilhabe auch qualitativ.