Anfang September 2015 war der Hauptbahnhof Frankfurt am Main, wie viele andere Bahnhöfe in der BRD, ein Schauplatz der Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung. Viele wollten nicht mehr untätig vor dem Bildschirm sitzen und die schrecklichen Bilder über die dramatischen Fluchterfahrungen tausender Menschen passiv über sich ergehen lassen. Ein schier unfassbarer Tatendrang, ein spontaner Ausbruch von Initiative war überall zu sehen. Viele politisch erfahrene Aktive waren von dieser Flut der Hilfswilligen überrascht oder damit überfordert.
Der politische Umgang mit dieser, nennen wir es, spontanen Aktivität und Initiative der Massen, war nicht durchgehend gleich. Einige, vor allem aus dem so genannten linksradikalen Spektrum, hatten ein müdes Lächeln für diese vermeintlich von oben verordnete „Willkommenskultur“ übrig, andere konnten angesichts der unpolitischen Vorzeichen der Hilfe ihre eigene Rolle darin nicht schnell genug definieren und blieben passiv.
sind Angriffe auf unsere Menschenrechte“
Die Initiative „Welcome Frankfurt“ entstand durch die Initiative einiger Aktivisten mit sehr unterschiedlichem politischen Background, die von vornherein weder naiv, noch abgeklärt, also nicht zynisch an die Helfenden herantraten, sondern nur in der kollektiven Auseinandersetzung mit der Thematik einen Weg sahen die Hilfe und damit die Helfenden zu organisieren.
Die erste Versammlung der Helfenden (mit 350–400 Teilnehmenden) ergab auch gleich kollektive Regeln, die es in sich hatten und bis heute haben. Diese Regeln lauten: 1. Wir handeln nur im Interesse der Flüchtlinge 2. Wir arbeiten nur in diesem Sinne mit Behörden zusammen 3. Wir übernehmen keine hoheitlichen Aufgaben 4. Wir grenzen niemanden von der Hilfe aus. Des Weiteren beschlossen die Helferinnen und Helfer, dass sie ein Bündnis von Menschen und nicht von Organisationen sein wollen, da die allergrößte Mehrheit als Einzelpersonen da waren und nicht als Vertreter von Organisationen.
Und es ist genau diese Ausrichtung der Arbeit gewesen, die bis heute den Charakter der Initiative ausmacht. Warum? Es ist doch klar, dass die meisten Menschen, die den Geflüchteten zu Hilfe eilten, in ihrer Vorstellung im Interesse dieser Menschen handeln wollten. Jedoch heißt das nicht, dass ihnen klar war, dass das Interesse dieser Menschen eventuell den Interessen des Staates diametral entgegensteht. Deshalb hat auch bei der ersten großen Versammlung niemand gesagt, nein, ich bin dagegen, dass wir nur im Interesse der Geflüchteten handeln. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Propaganda seitens Staat und Medien die Sichtweise, dass auch der Staat im Sinne der Geflüchteten handeln könnte, förderte.
Was folgte, war eine fast tägliche, sehr praktische Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich im Interesse der Geflüchteten ist und wie wir das herausfinden. Die Frage wurde immer politischer. Die Widersprüche zwischen den unpolitischen Ansätzen, welche scheinbar in einem von Interessen freien, also klassenlosen, Raum zu agieren vorgaben und den Ansätzen, die den Widerspruch zwischen den Interessen klar hervorhoben, wurden immer größer. In der Praxis waren und sind diese Widersprüche in allen Fragen von Bedeutung. Ob es um die menschenwürdige Unterbringung ging oder um die politische Debatte um Asylrechtsverschärfungen, um Rassismus in unseren Köpfen, um behördliche Repression, um Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und um die Frage, was es heißt gemeinsam auf Augenhöhe zu kämpfen – ist es bei Welcome Frankfurt nicht zuletzt aufgrund der Festlegung auf die anfangs noch als naiv anmutende Regel im Interesse der Geflüchteten handeln zu wollen, gelungen die Frage nach dem Klasseninteresse nicht aus dem Auge zu verlieren.
Wie aber in allen anderen Kämpfen auch, ist es hier von ungemein wichtiger Bedeutung, dass keine Stellvertreterpolitik betrieben wird. Die eigene und eigenständige Organisierung auch dieser Schicht der Arbeiterklasse, der Geflüchteten, ist die Bedingung für den Kampf auf Augenhöhe. Auch wenn die Aktiven von Welcome, die selbst nicht mehr oder noch nie von Flucht und Migration betroffen waren, im Interesse der Geflüchteten handeln wollen, können sie das nicht ohne die Geflüchteten. Das wurde sehr deutlich bei dem Streik der Geflüchteten vor zirka einer Woche, als es um ihre Verlegung in eine Massenunterkunft ging. Die Geflüchteten hatten sich in ihrer Unterkunft mit 300 Leuten versammelt und entschieden, dass sie sich weigern werden in das alte Neckermann-Gebäude zu ziehen. Welcome Frankfurt hat sie dabei unterstützt. Auch wenn der Streik gescheitert ist, schuf er die Grundlage für die weitere Organisierung in der Massenunterkunft und gab den Aktiven von Welcome die Möglichkeit, aufbauend auf die Initiative der Geflüchteten und mit ihnen gemeinsam den Kampf um die Verbesserung der Bedingungen in der Massenunterkunft aufzunehmen.
„Wenn ich akzeptiere, dass die Regierung Menschen in solchen Lagern konzentriert und sie im Winter ohne warmes Wasser, ohne genügend Essen und medizinische Versorgung lässt, dann kann das morgen auch Erwerbslose und andere, also alle Lohnabhängigen, betreffen.“, sagte eine Aktivistin von Welcome Frankfurt einem Geflüchteten, der sie fragte, warum sie den ganzen Tag in der Kälte mit ihnen ausharre. Das bringt zum Teil ganz gut auf den Punkt, worum es jetzt geht.