Kurt Wünschs szenische Folge „Der Betonkopf“

Auch ein Beitrag zum 30. Jahr

391102 - Auch ein Beitrag zum 30. Jahr - Literatur - Kultur
Kurt Wünsch
Der Betonkopf
oder Warum habt ihr mir das nicht gesagt?
Eine Testamentseröffnung.

Berlin, 2020
verlag am park in der edition ost
112 Seiten, 12,- Euro

Kurt Wünsch (geb. 1939) aus Halle hat eine begeisterte Leserschaft. Das liegt an den Themen und der Heiterkeit seiner Werke, wobei seine Heiterkeit oft aus Ironie und Satire entsteht.

Dramatik in seinem Schaffen ist neu: Im Oktober 2019 im „Club 188“ in Halle (Saale) erfolgreich uraufgeführt, Regie: Heidrun von Strauch, und als „Heißes Eisen“ wirkend, liegt jetzt das Stück „Der Betonkopf oder Warum habt ihr mir das nicht gesagt?“ gedruckt vor. Es muss als literarischer Beitrag zum Jubiläum am 3. Oktober verstanden werden – dreißig Jahre deutsche Einheit.
Wünsch wählte die symbolträchtige Situation einer Testamentseröffnung: Nach dem Tod des bedeutenden Malers, Direktors einer Kunsthochschule und ehemaligen SED-Mitglieds Fritz Sänger (1935  bis 2017) – ein Schelm, wer dabei an den berühmten deutschen Maler Willi Sitte (1921 bis 2013) denkt, der Präsident des Verbandes bildender Künstler der DDR gewesen ist – werden sein Sohn (54), ein heutiger Bundestagsabgeordneter der CDU, und seine Enkelin Nancy (32), eine erfolgreiche Modedesignerin „bei geblümten BHs“, vom Nachlassverwalter mit seinem Tagebuch konfrontiert, aus dem gelesen werden soll, ehe es vernichtet werden muss. Nicht anwesend, aber mitbetroffen ist Nancys beste Freundin Grit Glaube. Die Öffnung des Tagebuchs im Zuge der Testamentsvollstreckung durch den Notar Krohne, einen Freund des Verstorbenen, wird zu einer Auflistung dessen, was nach 1989 erreicht worden ist. Das Tagebuch Sängers tritt an die Stelle eines Testaments der DDR. Die vom Notar gelesenen Eintragungen werden szenisch umgesetzt.

Der Autor schickt seinem Stück ein Vorwort voraus, in dem zuerst entscheidende Verluste angesprochen wurden, das vertrauensvolle Miteinander, vor allem in kleinen Städten und Dörfern und bestätigt durch „Schulen, Ärzte, Geschäfte und Kneipen“, wurde abgelöst vom technisierten Individualismus, Klärungen bei Meinungsverschiedenheiten auf Gesprächsebene wurden abgelöst durch rechtsanwaltliche Vorstöße, gegenseitiges Interesse am Befinden durch „keine Zeit“. Dann werden Entscheidungen benannt, die dem Rechtsstaat nach 1990 nicht gut zu Gesicht stehen: die Entlassung Tausender Wissenschaftler, „die gesetzlichen Grundlagen hatten sich damals weitgehend verabschiedet“. Stereotype werden entlarvt, mit denen Kunst und Wissenschaft verurteilt und entwertet wurden. Dass die DDR „der bessere deutsche Staat“ war, wurde auf einfache, aber einprägsame Formeln gebracht, „weil man nicht alles für Geld bekam oder erreichte“ und weil es „ein kinderfreundliches Land“ gewesen sei.

Einen großen Raum nehmen Konflikte ein, die Sänger in der DDR auszuhalten hatte, versuchte er, staatlichen und politischen Ansprüchen und individuellen Wünschen gleichermaßen gerecht zu werden. Eine Einsicht ernüchterte ihn schließlich: Er erkannte, dass Besitz- und Konsumgier die Menschen beherrschten, für die er sich eingesetzt hatte, die vor 1989 ihm dankten und ihn nach 1990 verleumdeten. Gegenüber den Manipulationen, die Sänger in der DDR zu verantworten hatte, war die heutige Intrige, die Sängers Sohn gegen die Freundin seiner Tochter Nancy spann, um seiner Tochter zur Laufbahn als Modedesignerin zu verhelfen, ein Verbrechen, ausgegeben als seriöse Dienstleistung, „offiziell und völlig legal“. Seitenhiebe bekommen Gegenwärtiges wie der sprachliche Genderwahnsinn, der immer trostlosere Auswüchse zeitigt, die unerträglichen Falschaussagen, etwa über „die abstrakte Kunst in der DDR“ („Strengstens verboten“) und der Blödsinn über den sozialistischen Realismus. Ein Maler wie Sitte war ein Beispiel für das, was im sozialistischen Realismus und in der DDR Kunst war. Ulbrichts berühmter Ausspruch über die Mauer wird als das ausgewiesen, was er war: Die Wahrheit, denn Moskau ordnete erst eine Zeit nach diesem Ausspruch den Bau an und die USA waren es zufrieden.

Die Szenen erinnern an dokumentarisches Theater; die Sprache ist oft holzschnittartig kantig und kaum differenziert: Es kommt auf Sentenzen und Formeln an – „Gerechte Gleichheit ist der Grundpfeiler einer besseren Welt“ –, nicht auf gefühlsgeladene Gespräche. Kurt Wünschs Ton ist bitterer, der einst heitere Schriftsteller ist ein Sarkast geworden; auch seinen Maler Sänger lässt er mit westlichen Journalisten „sarkastisch“ sprechen.

Die Einführung orientiert: „Die angeblich höhere Moral, die die Gegenwart von der Vergangenheit unterscheidet, offenbart sich als Schimäre. Alles ist Maske und Fassade. Die Heuchelei ist das tägliche Brot in der kapitalistischen Gesellschaft.“ 2004 hatte sich Wünsch des Themas der Veränderungen und Verluste nach 1989 schon einmal angenommen, damals in Form des Kriminalromans „Tatort Roter Turm“ (vgl. UZ vom 11. 2. 2004).

Im jetzigen dramatischen Text ist der Maler Sänger, der titelgebende kommunistische „Betonkopf“, ein einsamer Vertreter eines gerechten sozialen Verhaltens. Auch sein Freund, der Anwalt Krohne, hat sich längst angepasst und führt heute Prozesse um Schulzensuren („Kein Vergleich, sondern nächste Instanz“). Sängers Nachkommen im einigen Deutschland sind zuerst und oft nur auf den eigenen finanziellen Vorteil bedacht, üben sich in Erpressung und Banalitäten; allenfalls in der Enkelin sah Sänger noch einen Menschen, der eines Tages „nicht anders denken und handeln (wird) als ich“. Kurt Wünschs Stück ist auch ein Beitrag zum Jubiläum am 3. Oktober.

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"Auch ein Beitrag zum 30. Jahr", UZ vom 25. September 2020



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