Die am 4. Juni begonnene Großoffensive der Ukraine stockt. Laut „Neuer Zürcher Zeitung” vom Dienstag eroberten ukrainische Truppen bisher rund 240 Quadratkilometer von mehr als 100.000, die von Kiew beansprucht werden. Hinzu kommt die Ohrfeige, die Wladimir Selenski auf dem NATO-Gipfel in Vilnius erhielt: Trotz Erpressung keine NATO-Einladung.
Die in Kiew regierende Nationalisten- und Faschistenclique reagiert auf die Lage mit gewohnter Großmäuligkeit und der Forderung nach mehr Waffen. Der Chef des Präsidialamtes und starke Mann des Regimes, Andrej Jermak, veröffentlichte einen Fahrplan für Gespräche, um das in Vilnius Versäumte nachzuholen. Von Washington verlangte er Verhandlungen über Sicherheitsgarantien noch in dieser Woche und gab schon mal die Ergebnisse vor: Es gehe um konkrete und langfristige Verpflichtungen der USA, um der Ukraine jetzt zu einem Sieg gegen Russland zu verhelfen und danach Aggressionen Moskaus zu verhindern. Ähnliches sei auch mit anderen westlichen Verbündeten bilateral zu vereinbaren. Das käme einer NATO-Mitgliedschaft gleich.
Moskau reagierte am Montag mit dem Hinweis, solche bilateralen Garantien widersprächen dem Prinzip der unteilbaren Sicherheit, da Russlands Interessen ignoriert würden. Der Vorstoß Jermaks dürfte dennoch Erfolg haben. Er folgt den Leitlinien, nach denen sich Mitte der 90er Jahre die NATO für die Ostexpansion entschied: Russland nicht als gleichberechtigten Partner anerkennen und es in eine militärische Konfrontation zwingen. So stellte der Kriegspakt letztlich die Situation her, die zum Eingreifen russischer Truppen in den von Kiew seit 2014 geführten Krieg gegen die Volksrepubliken des Donbass geführt hat.
Jermaks Vorstoß ist gefährlich. Akut gefährlich ist aber vor allem die militärische Reaktion Kiews auf seine erfolglose Offensive: Es steigert die Angriffe mit Drohnen und Marschflugkörpern und nimmt die Gefahr eines Atomkrieges bewusst in Kauf. Selenskis Berater Michail Podoljak beschrieb das Konzept am Dienstag auf Twitter so: „Moskau gewöhnt sich schnell an einen vollständigen Krieg.” Russland müsse mit „mehr nicht identifizierten Drohnen, mehr Zusammenbrüchen, mehr Bürgerkrieg und mehr Krieg“ rechnen. Bislang folgte Berlin stets solchem verantwortungslosen Irrsinn. Eine „Taurus”-Lieferung wäre ein weiterer Schritt.