Atomare „Heimatverteidigung“

Arnold Schölzel zur einer gespenstische Debatte, die Russland im Blick hat

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Nach dem Wahlsieg Donald Trumps am 9. November 2016 begann in der Bundesrepublik eine gespenstische Debatte über deutsche Atomwaffen (siehe UZ vom 16. Dezember 2016 und vom 17. Februar 2017). Sie findet weiterhin statt. Die jüngsten Beispiele waren am 27. und 29. Juli in der FAZ zu lesen.

Unter der Überschrift „Atom-U-Boote für die Ostsee“ kritisierte dort zunächst Maximilian Terhalle, Politikprofessor an der englischen Universität Winchester, das angebliche Fehlen deutschen strategischen Denkens: „Ohne Bemessung strategischer Relevanz wurde die Bundeswehr an den Hindukusch geschickt, aber nicht in den Irak. Berlin mühte sich, den ohnehin minimalen Libyen-Einsatz herunterzuspielen, schickt aber inzwischen mehr als 1 000 Mann in das deutlich weiter entfernte Mali.“ Die Bundesrepublik hat demnach nicht zu viele Kriege, sondern zu wenige geführt. Terhalle will das ändern und ist der Meinung, zunächst müsse die deutsche „Blauäugigkeit“ gegenüber China, vor allem aber gegenüber Russland beendet werden: „Hatten vor allem die baltischen Staaten schon während der Krim-Krise explizit deutsche Panzerbataillone gefordert, war es im Februar 2017 Polen, das sich mit der Idee eines europäischen Nuklearwaffenarsenals unter deutscher Führung sichtlich unerschrocken anfreunden konnte.“ Das sei aber mit wenigen Ausnahmen offiziell und von den Medien pauschal verworfen worden. Immerhin kehre aber die Bundesregierung gegenüber Russland „zunehmend zur Heimat- und Bündnisverteidigung zurück“. Weil aber Interventionen „gleichrangig“ weiterhin stattfinden sollen, setze sich das alte Übel fort: Es bleibe „keine Priorisierung vitaler Interessen“ erkennbar. Die liegen aber nach Terhalle in der Konfrontation oder in Kriegen gegen Russland und China. Sein Fazit lautet: „Im Verbund mit Polen und Balten muss Deutschland das Israel seit Langem zur Verfügung gestellte Know-how für atomar aufrüstbare U-Boote nun auch zum Eigenschutz nutzen. Solche nuklear bestückten Boote sollten zur Abschreckung in der Ostsee operieren. Mit Frankreich und Großbritannien muss überdies der nukleare Schutz Europas neu konzeptualisiert werden. Deutschlands Beitrag muss dabei auf eigene Fähigkeiten gerichtet sein.“

So weit, so konkret. Zwei Tage später rechtfertigte ebenfalls in der FAZ der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, den Boykott der Bundesrepublik gegen die Verhandlungen und den Beschluss von 122 UN-Mitgliedstaaten vom 17. Juli, Atomwaffen zu verbieten. Das sei nicht machbar, die Atommächte wollten nicht restlos abrüsten und fraglich sei, ob die Welt „wirklich stabiler“ werde. Eine Ächtung der Atomwaffen untergrabe nämlich die „Idee der nuklearen Abschreckung zur Kriegsverhinderung“, auf die die NATO „erfolgreich gesetzt“ habe. Nur autokratische Staaten lasse eine Ächtung kalt. Kamp führt als Beispiel an, der syrische Präsident Baschar Al-Assad habe chemische Waffen eingesetzt und Russland dulde das. Wer derart die Lügen der eigenen Geheimdienste zur Grundlage für Politik macht, der dürfte gegen konkrete Vorschläge à la Terhalle, nämlich wie den Russen atomar beizukommen wäre, nichts einzuwenden haben. Atomwaffen sind ihm einfach zu wertvoll.

Nachtrag: Am 5. August legte DFG-VK-Bundessprecher Thomas Carl Schwoerer in der FAZ unter der Überschrift „Atomwaffen sind völkerrechtswidrig“ Positionen der Friedensbewegung dar. Er rief dazu auf, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit sie das Atomwaffenverbot unterzeichnet. Das hat sie durch den Text von Kamp gewissermaßen schon abgelehnt.

Zu ergänzen wäre: Auch die Debatte über deutsche Atomwaffen findet mit Blick auf Russland statt. Das ist mehr als gespenstisch, es ist kreuzgefährlich. Die Friedensbewegung ist gut beraten, diese Zielrichtung imperialistischer Kriegsvorbereitung und die Gegnerschaft dagegen in den Vordergrund ihrer Aktivitäten zu stellen.

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"Atomare „Heimatverteidigung“", UZ vom 18. August 2017



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