„Die andere Seite der Hoffnung“ jetzt im Kino

Asyl im Kaurismäki-Land

Von Hans-Günther Dicks

Der finnische Filmregisseur Aki Kaurismäki ist kein Mann der großen Worte, seine Filmfiguren ebenso wenig. Zum Beispiel Wikström, ein Textilkaufmann in mittleren Jahren in Helsinki. Alles ordentlich aufräumen, dann seiner Frau den Wohnungsschlüssel abliefern und den Ehering gleich dazu – so wortlos und lakonisch absolviert er seinen Ausstieg aus seiner bisherigen Existenz. Den Erlös seines Warenlagers trägt er leidenschaftslos in ein Spielcasino, doch statt alles zu verlieren, gewinnt er genug Geld, um ein abgewirtschaftetes Restaurant zu übernehmen.

Auch Khaled macht nicht viel Aufhebens um den langen Weg, der ihn aus Syrien als Asylsuchenden über mehrere Länder nach Finnland gebracht hat, zuletzt unter Kohlen versteckt in einem Frachter. „Die meisten haben weggesehen“, schildert er ganz undramatisch seine diversen illegalen Grenzübertritte, wenn er auf der Polizeistation oder vom Asylamt zu seinem Antrag befragt wird, und auch solche Szenen inszeniert Kaurismäki ganz ohne Emotionen in knappen, sachlichen Dialogen. Wo andere Filme über Flüchtlinge meist gefühlig auf die Tränendrüsen drücken, ein betuliches Alle-Menschen-werden-Brüder-Bild zeichnen oder die Flüchtlinge gar zu Witzfiguren machen, findet Kaurismäki die prekäre Balance zwischen Humor und angemessenem, auch mal blutigem Ernst.

Kaurismäkis Drehbuch lässt sich viel Zeit, die Lebensumstände dieser beiden so unterschiedlichen Protagonisten zu erkunden. Khaled ist dank einer freundlichen finnischen Fluchthelferin in letzter Minute aus dem Abschiebeknast untergetaucht und auf der Suche nach seiner Schwester Miriam, die er auf seiner weiten Reise verloren hat. Wikström schlägt sich mit der demonstrativ zur Schau gestellten Arbeitsunlust seiner Köche und Kellner und der Kleinlichkeit amtlicher Kontrolleure herum. Erst zur Filmmitte begegnen sich die beiden zum ersten Mal direkt, und zwar neben der Mülltonne von Wikströms Restaurant – zunächst ganz handfest mit Fausthieben, gleich darauf aber friedlich als Chef und Mitarbeiter. Der „clash of cultures“ à la Kaurismäki.

Solche abrupten Szenen- und Stimmungswechsel gehören seit je zum bizarren filmischen Kosmos des eigenwilligen Finnen, ebenso wie die oft extreme, ja plakative Farbgebung, der kühne Einsatz von Musik und die Besetzung mit immer den gleichen Darstellern. Schon drei, vier Einstellungen genügen, damit ein wiedererkennendes Raunen durchs Kino geht. Im Nu sind die Zuschauer eingetaucht in die Stimmung aus Melancholie, absurdem Theater, grotesken Dialogen und verhaltenem, auch mal derbem Humor, die Kaurismäki wie kein anderer beherrscht.

Er wolle, sagt er im Presseheft zum Film, „die europäische Blickweise aufbrechen, in Flüchtlingen entweder ausschließlich bedauernswerte Opfer oder nur anmaßende Wirtschaftsimmigranten zu sehen“, und fügt gleich ein einschränkendes „wenn das möglich ist“ ein. Schon sein Film „Le Havre“ behandelte 2011 die Flüchtlingsthematik spürbar anders als sonst üblich, sein jüngstes Werk sieht er als zweiten Film einer noch zu vollendenden Trilogie: ohne moralisierendes Auftrumpfen, ohne falsches Mitleid. Aber trotz aller Skurrilität und Exotik nicht abgehoben von den gesellschaftlichen Realitäten. Zu denen gehört der nicht eben freundliche, aber stets unaufgeregt sachliche Ton, mit dem finnische Behörden offenbar mit Asylbewerbern umgehen, aber auch die „Liberation Army Finland“ der drei Fascho-Dumpfbacken, denen Khaled zunächst nur dank aus dem Nichts auftauchender Arbeiterfäuste entkommt, die ihn aber nicht aus den Augen lassen. Kaurismäkis Stamm-Kameramann Timo Salminen reduziert sie angemessen auf drei unbeholfen bemalte Lederjacken. Dass damit keine Verharmlosung gemeint ist, beweist der Filmschluss, in dem Kaurismäki seinem Khaled mit einem Wiedersehen bei Miriam nur ein halbes Happy-end beschert …

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"Asyl im Kaurismäki-Land", UZ vom 31. März 2017



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