Russische Politologen zur syrischen Parlamentswahl

Assads unnötiges Problem

Von Willi Gerns

Am 13. April sollen in Syrien in Übereinstimmung mit der 2012 beschlossenen Verfassung Parlamentswahlen stattfinden. Es sind dies die zweiten Parlamentswahlen seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Land. Die ersten wurden 2012 durchgeführt. Damals haben auch oppositionelle Parteien teilgenommen.

Allerdings sind nicht alle politischen Kräfte mit der Entscheidung des syrischen Präsidenten einverstanden, während des Genfer Prozesses zur politischen Regulierung des bewaffneten Konflikts, Wahlen durchzuführen. So haben die syrischen Kurden und die größte Oppositionsfraktion – das Nationale Koordinationskomitee – ihre Teilnahme abgelehnt. Sie berufen sich darauf, dass die Entscheidung der syrischen Führung im Widerspruch zu dem am 14. November in Wien bestätigten „Fahrplan“ für den Syrienprozess stehe. Dieser sieht folgende Schritte vor: Im Verlauf der zwischensyrischen Gespräche in Genf soll eine Koalitionsregierung formiert werden, die eine neue Verfassung vorbereitet. Auf deren Grundlage sollen nach Beendigung einer 18-monatlichen Übergangsperiode, die am 1. Januar 2016 begann, dann Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden.

Die russische Netzzeitung „Swobodnaja Pressa“ hat sich an mehrere Syrien-Spezialisten mit der Frage gewandt, was sie davon halten, in Syrien zum jetzigen Zeitpunkt Parlamentswahlen durchzuführen; und wie diese Abstimmung sich auf den Prozess der politischen Regulierung auswirken könne? Die Meinungen gehen weit auseinander und reichen von uneingeschränkter Zustimmung zur Entscheidung Assads bis zu scharfer Kritik daran.

Typisch für diejenigen, die die Wahl am 13. April unterstützen, steht die Aussage des wissenschaftlichen Mitarbeiters am Zentrum für arabische und islamische Forschungen des Instituts für Oststudien der Russischen Akademie der Wissenschaften, Boris Dolgow. Er betont, dass die Formierung eines Übergangsorgans unter Beteiligung von Vertretern der Opposition als Ausgangspunkt des Fahrplans zur Regulierung des Syrienkonflikts sehr lange dauern werde. Als Argumente dafür nennt er die fehlende Einheit in den Reihen der Opposition und die Notwendigkeit dann noch eine gemeinsame Position zwischen der Opposition und den syrischen Machthabern hinsichtlich einer neuen Verfassung herzustellen. Während dieser ganzen Zeit müsse der syrische Staat funktionieren, um den normalen Gang des Lebens aufrecht zu erhalten. Deshalb sei er „sicher, dass die Durchführung turnusgemäßer Parlamentswahlen selbst angesichts des Umstands, dass viele Territorien nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen, „eine richtige Entscheidung“ darstelle.

Die kontroverse Position bringt am deutlichsten der Direktor des Zentrums zum Studium der Länder des Nahen Ostens und Zentralasiens, Semjon Bagdasarow, zum Ausdruck. Er bezeichnet die Wahlen am 13. April als einen „absurden Schritt“ und fährt fort: „Was können das für Wahlen sein unter Bedingungen, wo nach UN-Angaben die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien vier Millionen übersteigt und die Zahl der Personen, die innerhalb Syriens vertrieben wurden oder auf der Flucht sind mit 10 Millionen angegeben wird? Nicht vergessen werden darf auch, dass verschiedene Gruppierungen bis jetzt einen bedeutenden Teil des Landes unter Kontrolle haben, darunter so große Provinzen wie Aleppo und Idlib.

Und überhaupt: welche Parteien, welches Parlament? Ja, 2012 wurden im Land innerhalb des letzten halben Jahrhunderts die ersten demokratischen Parlamentswahlen durchgeführt, die von den offiziellen Organen des Landes als ‚politische Geburt des erneuerten Syriens‘ bezeichnet wurden. Damals wurde der Baas-Partei im Rahmen der beschlossenen neuen Verfassung das Privileg genommen, die „führende und lenkende Kraft“ zu sein. Und sie nahm an den Parlamentswahlen unter gleichen Bedingungen teil wie die anderen Parteien … Es ist jedoch so, dass alle diese Entscheidungen ‚auf der Grundlage des Prinzips des politischen Pluralismus‘ nur Dekoration sind. In der Realität entscheiden letztlich der Präsident und sein Apparat alles im Land.“

Nach Meinung Bagdasarows verharrt Assad in der Illusion seine Linie durchdrücken zu können, und er höre auf die Iraner. Teheran aber flüstere ihm hartnäckig ein, dass vorfristige Präsidentenwahlen notwendig seien, bei denen er erneut siegen werde und trete gegen eine Föderalisierung sowie gegen eine wie auch immer geartete Form der Autonomie für die Kurden auf.

Der Politologe fasst seine Kritik an Assad in der Aussage zusammen: „Die Vereinigten Staaten und Russland haben dazu aufgerufen, den Entwurf einer neuen syrischen Verfassung bis zum August dieses Jahres auszuarbeiten. Man sollte sich darum bemühen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen und Kompromisse eingehen. Assad schafft dagegen ein unnötiges Problem obwohl es auf der Hand liegt, dass sich dieser Schritt negativ auf die politischen Verhandlungen auswirken wird.“

Was die Haltung der russischen Regierung betrifft, so lässt sich diese am besten in die Worte fassen „beredtes Schweigen“. Bezeichnend dafür ist die Stellungnahme der offiziellen Vertreterin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die nach dem entsprechenden Dekret Assads vom 22. Februar 2016 sich auf die Aussage beschränkte: Russland halte auch weiterhin an der Unterstützung der internationalen Übereinkunft zur politischen Regulierung in Syrien fest. Ihr Ziel bestehe in der „Formierung einer gemeinsamen Verwaltungsstruktur durch die Regierung der SAR und die Opposition sowie in der darauf folgenden Ausarbeitung einer neuen Verfassung, auf deren Grundlage dann allgemeine Wahlen durchgeführt werden sollen“. Zustimmung zu Assads „unnötigem Problem“ lässt sich daraus wirklich nicht entnehmen.

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"Assads unnötiges Problem", UZ vom 15. April 2016



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