Die große Resonanz, auf die die Bildungszeitung (BIZ) so kurz nach ihrer Herausgabe stößt, ist gut. Für eine BIZ ungewöhnlich. Damit meine ich die Gesamtheit der Rückmeldungen, und auch die Inhalte, die sich darin widerspiegeln. Ich möchte über das bemerkenswerte Feedback informieren, möchte Thema und Funktion der BIZ noch einmal klarstellen und auf erste Diskussionspunkte zur BIZ eingehen. Wer ein wenig Erfahrung hat mit Leserreaktionen kennt das: Es schreiben vor allem die, die etwas auszusetzen haben. Umso überraschender die positiven Feedbacks.
Da gibt es Zuschriften wie von Jane Zahn: „Ich habe eben das Bildungsheft sorgsam gelesen und bin von Eurer Arbeit begeistert! Ich habe lange nicht mehr so etwas Durchdachtes und klug Geschriebenes gelesen und gratuliere Euch und unserer Partei dazu!“
Roland aus den neuen Bundesländern schreibt: „Das Bildungsheft dürfte zunächst als eine gelungene Sache gesehen werden.Eine verständliche Sprache, eine ansprechende Aufmachung und begleitet mit und von zahlreichen historischen Belegen, Ereignissen und Hinweisen.“
Herbert aus Sachsen: „Ich habe mir jetzt die Module für die BZ angesehen und bin eigentlich begeistert. Ich denke schon, dass diese doch etwas neue methodische Herangehensweise zu einem erfolgreichen Studium führen wird.“
Ebenfalls angetan zeigte sich Thomas Metscher. Er gratuliert uns, ein schwieriges und zugleich notwendiges Thema aufgegriffen zu haben. Gerne hat er mit einem UZ Beitrag zur Debatte beigetragen. Ihr findet seinen Artikel in der aktuellen UZ.
Dieter Kraft, der die Philosophiezeitschrift Topos gemanagt hat, schreibt: „Vielen Dank für diese vorzügliche Bildungsbroschüre. Vorbildlich in Inhalt und Form! Den wunderbaren Opitz hatte ich noch in meiner Prager Zeit kennengelernt“
Es gibt selbstverständlich auch Kritik an einzelnen Ausführungen und Positionen der BIZ sowie Hinweise zu Verbesserung. Das ist gut so. Unsere BIZ ist kein Katechismus, sondern Anregung zur Diskussion. Es gibt auch grundsätzliche Kritik.
In einem Brief wird von mehreren Lesern der Vorwurf erhoben, in der aktuellen Bildungszeitung werde der „Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um die Demokratie und gegen den Faschismus gepredigt.“ Die BIZ predige „die revolutionäre Ungeduld. Kampf um Demokratie sei Opportunismus und bloße Verteidigung des kleineren Übels. Denn die bürgerlich-demokratische Mitte und die Faschisten hätten letztlich die gleichen Ziele.“ Die BIZ behaupte, wir sollten uns nicht mit dem demokratischen Kampf aufhalten. Sie befände sich „konträr zu allem (..), was KPD und DKP seit 1945 zum demokratischen Kampf aussagten, ja auch was für die KPD und die internationale Arbeiterbewegung seit 1933 die grausame Lehre der Geschichte bedeutete“
Diese Kritik können wir nicht teilen. Sie orientiert sich an einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Begriffen und Reizworten. Die Kritik lässt sich nicht aus dem Text der BIZ ableiten. Im Gegenteil. Ich werde später noch darauf eingehen.
Ich betone ausdrücklich worauf wir in der Erklärung des Sekretariats hingewiesen haben: „Wir halten fest an den Grundlagen antifaschistischer Politik der Kommunistinnen und Kommunisten, wie sie u.a. durch den 7. Weltkongress der Komintern und die Politik von KPD und DKP nach 1945 und 1968 entwickelt wurden.“ In Verbindung damit möchte auch darauf hinweisen: In der BIZ geht es vordergründig nicht um unsere antifaschistische Strategie. Es geht vielmehr um Formen bürgerlicher Herrschaft, insbesondere um das Thema der Massenbasis und damit auch des Massenbewusstseins, der Integration und Formierung, auf die die Bourgeoisie im imperialistischen Stadium des Kapitalismus zwingend angewiesen ist.
Besonders auf diesen Aspekt beziehen sich Rückmeldungen z.B. aus Frankfurt, Torgau und Hamburg. Es sei wichtig zu ergründen, warum „die Leute im System mitmachen“. Das Bildungsthema „Reaktionärer Staatsumbau“ nähere sich, so eine Zuschrift aus Frankfurt „einer denkbar wichtigen Sache: Es geht darum, die Handlungsgründe und -muster der Personen zu verstehen, an die wir uns wenden wollen. Aus solchen Erkenntnissen kann man ableiten, welche Vorgehensweisen der fortschrittlichen Kräfte langfristig Erfolg haben können.“ Die Zuschrift weist damit auf einen Themenkomplex hin, der von uns noch viel zu wenig beachtet wird. Auch nicht von denen, die die BIZ scharf kritisieren. Dieser Komplex ist aber zentral um Ansatzpunkte zu finden aktuelle Entwicklungen zu verstehen. Es geht um die spontane Bewusstseinsbildung, die Wirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Massenbewusstsein. Und damit verbunden und darauf aufsetzend um die Wirkungsweise von Polittechniken. Unter dem Stichwort „Framing“, „Wording“ usw. werden heute Kampagnen mit wissenschaftlichem Knowhow durchgezogen. Ganze Abteilungen wurden dafür in Regierungsstellen und anderen Zentren der Macht aufgebaut.
Wir müssen uns also beschäftigen mit den Formierungsstrategien der herrschenden Klasse, die das aufgreifen, was Thomas Metscher in seinem Beitrag zur BIZ in der UZ vom 17.09.20 „Elementarideologien“ des späten Imperialismus nennt. „Sie sind in Basisprozessen menschlicher Reproduktion verwurzelt und entfalten von daher eine Psyche, Bewusstsein und Leiblichkeit formierende (genauer: deformierende) Gewalt.“ Ursula Vogt wird in der Diskussion auf diesen viel zu wenig beachteten Komplex der BIZ noch genauer eingehen.
Ich unterstreiche und betone es noch einmal: Die BIZ beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Formierungsstrategien des Imperialismus. Dabei geht es um spontane, aus den gesellschaftlichen Verhältnissen entspringende und seiner darauf aufsetzenden herrschaftssichernden Ideologieproduktion. Das ist das Wesentliche. Wenn in der BIZ Faschismus in der Bewegung und Faschismus an der Macht betrachtet wird, dann vor allem aus der Logik der Formierungsbestrebungen der herrschenden Klasse und als mögliche Variante bürgerlicher Herrschaft.
Deshalb möchte ich , bevor ich auf einige inhaltliche Kritikpunkte an der BIZ eingehe, unbedingt auf ein Referat von Hans Peter Brenner zur „Antifaschistischen Arbeit“ hinweisen. Hans Peter Brenner hat es auf der 11. PV Tagung 2015 gehalten und es drückt den kollektiven Standpunkt der Parteiführung aus. Dieses Referat findet nach meiner Meinung in unserer antifaschistischen Arbeit viel zu wenig Beachtung und ich möchte es dringend empfehlen! Es ist hilfreich für eine sachbezogene Debatte. Wir haben es daher aus dem UZ Archiv „befreit“ und prominenter auf die DKP Homepage gestellt.
Das Referat benennt Kernelemente unserer antifaschistischen Strategie und setzt sie in Bezug zu unserer antimilitaristischen und antimonopolistischen Strategie. Es markiert die aktuellen Eckpunkte – und verweist auf Versäumnisse ebenso wie auf zu lösende Aufgaben in unserer antifaschistischen Arbeit. Das Referat skizziert die marxistisch-leninistische Faschismusdefinition und ihre Ausgestaltung auf und nach dem 7. Weltkongress der KI. Wesentlich: Der Faschismus ist nicht nur eine Herrschaftsmethode der Bourgeoisie, sondern eine Staatsform der Klassendiktatur der Monopolbourgeoisie. Diese besondere Qualität macht breite, klassenübergreifende Bündnisse notwendig und möglich, ein Aspekt, den wir auch in der BIZ aufgegriffen haben.
Verwiesen wird im Referat auf die Arbeiten von Opitz (BRD) und Gossweiler (DDR), die bei der konkreten Analyse die Bestimmung des Klassencharakters faschistischer Politik für wesentlich halten. Das Referat ordnet die aktuelle „verschärfte Rechtsentwicklung und das derzeitige Erstarken reaktionärer und neofaschistischer Strömungen“ als „Teil und Resultat eines umfassenden gesellschaftspolitischen sozialreaktionären Umbaus des staatsmonopolistischen Systems der BRD“ ein. Man dürfe aber „nicht vorschnell eine jedwede reaktionäre Entwicklung bereits als Teil eines automatischen „Faschisierungsprozesses“ missverstehen – noch dürfe man „solche autoritären Entwicklung (…) abkoppeln von möglichen Übergängen hin zum Faschismus“. Eine Einschätzung über einen möglichen Umschlag von Quantität in Qualität sei genau und konkret zu analysieren, „bevor wir zu solchen einschneidenden Einschätzungen kommen könnten, dass die BRD auf dem Vormarsch in Richtung Faschismus sei.“ Verwiesen wird auf die Hauptresolution des 21. Parteitags mit dem Begriff vom „Ausbau des autoritären Sicherheitsstaat“.
Wichtig im Referat der Hinweis auf einen Kernsatz der Hautresolution: „Unser antifaschistischer Kampf kann und darf sich nicht auf den Kampf gegen Aktionen von Neofaschisten und das Verbreiten ihrer Ideologie reduzieren!“
Hiermit, liebe Genossinnen und Genossen, ist genau die Problematik angesprochen, über die wir auf dem letzten Parteitag diskutiert hatten und wofür leider zu wenig Zeit war. Erinnern wir uns:
Alle Delegierten waren sich einig darüber, und da passt kein Blatt Papier dazwischen, dass alles, aber auch wirklich alles in der Macht stehende getan werden muss, um die Rechtsentwicklung zu stoppen.
Uneinig waren wir uns, ob eine Konzentration nahezu ausschließlich auf den Kampf gegen die AFD eine sinnvolle Taktik sei. Von der Mehrheit der Delegierten wurde dies als wenig hilfreich angesehen. Befürchtet wurde eine Verengung – sozusagen in Umkehrung des deutschen Sprichworts, wo es heißt: „Man sieht vor lauter Wald die Bäume nicht!“ Verengung meint: Man ist so fixiert auf den Baum (sprich AFD), dass man den gesamten Wald (sprich den Gesamtkomplex der reaktionären Formierung) aus dem Fokus nimmt. Dieser Dissens in taktischen Fragen hat mit zur Entscheidung beigetragen, das Thema „Formen bürgerlicher Herrschaft“, Formierung und das imperialistische Massenbasisproblem zu einem Schwerpunkt der BIZ zu machen.
Dabei ist auch Folgendes mit zu berücksichtigen:
In den 60er und 70er Jahren war der Zusammenhang von Faschismus, Militarismus und Finanzkapital sehr präsent. Auschwitz und IG Farben war eine tief verwurzelte Metapher in der kritischen Jugend und der demokratischen Bewegung. Kurt Bachmann sprach noch 1987 in der UZ wie selbstverständlich von den „ dreiAktionsfeldern der VVN: antifaschistisch, antimilitaristisch, antimonopolistisch.“ Das war „Zeitgeist“ und Konsens unter den Antifaschisten.
Dieser Zeitgeist hat sich geändert! Und das spiegelt sich in Anlage und Inhalt spontaner Bewegungen wider.
Antifaschistische Aktionen erschöpfen sich häufig darin, das Auftreten reaktionärer und faschistischer Gruppierungen zu skandalisieren oder zu verhindern.
Antirassismus wird oft reduziert auf bloßen Diskurs und darauf, man könne durch gezielte Kommunikation und Aufklärung Haltungen verändern.
„Wir brauchen und wollen als KP in Deutschland“, und jetzt zitiere ich noch mal aus dem oben genannten PV-Referat, „mehr als einen ´Aufstand´ der Anständigen´, so bedeutsam auch die sichtbar gewordenen ´Buntheit´ und Breite und Differenziertheit der Motive ist, die heute erstaunlich und erfreulich viele Menschen im Kampf gegen Rechtsentwicklung auf die Straßen bringen. (…) Was wir aber noch mehr brauchen, das ist vor allem die Gewinnung noch größerer Teile der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und die politische Aufklärung über die Rolle des Neofaschismus bei der Spaltung und Schwächung des gemeinsamen Interessenkampfs der arbeitenden Menschen – unabhängig von Herkunft Religion und Nationalität. Im Entwurf unserer Parteitagsresolution sagen wir: „Als Kommunistinnen und Kommunisten klären wir über den Zusammenhang von Kapitalismus/Imperialismus und Faschismus auf.“
Das, liebe Genossinnen und Genossen, ist wesentlich und brennend aktuell. Ich verweise auf das Referat und die Diskussion gestern zur kapitalistischen Krise. Gelingt uns dies nicht, besteht die reale Gefahr, dass die humanistischen Motive, die viele Menschen in diesen bunten Aktionen antreiben, bewusst und erfolgreich mit Versatzstücken der Totalitarismustheorie unterlegt und umgebogen werden. Die Gefahr besteht, dass sie entpolitisiert und zahnlos gemacht oder schlimmer noch erfolgreich eingebunden werden in eine imperialistische Integrationsstrategie. Ich erinnere an den Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren, mit dem angeblich ein zweites Auschwitz verhindert werden sollte.
Deshalb sind wir in der BIZ relativ ausführlich nicht nur auf die ökonomischen, sondern auch die politischen, sprich reaktionären Wesensmerkmale des Imperialismus eingegangen sind.
Wir wollen erklären, „dass es diese Produktionsweise ist, die Tag für Tag solche regressiven Bewusstseinsformen reproduziert. Keine noch so gewiefte und überall präsente Manipulationsmaschinerie brächte es fertig, die Köpfe der Menschen mit ihrem verächtlichen, reaktionären Dreck wirksam zuzukleistern, wenn es nicht diesen grundsätzlich vorhandenen Resonanzboden im Kapitalismus gäbe. Erst auf dieser Grundlage lässt sich davon sprechen, dass reaktionäre Bewegungen und Organisationen eine Funktion für imperialistische Strategien haben. Eine politische Position, die das übersieht oder nicht sehen will, gerät nur allzu leicht in reformistisches Fahrwasser, weil ihr das Ganze aus dem Blick gerät.“1
Wir haben in der BIZ versucht, Opitz folgend die Achillesferse der herrschenden Klasse im Imperialismus herauszuarbeiten. Die besteht darin, und jetzt zitiere ich noch einmal Daniel Bratnovic auf der Berliner Antifa-Konferenz der DKP: „Der Fortbestand der politischen Herrschaft der kapitalistischen Klasse wird abhängig von der Dominanz falschen Bewusstseins vor allem im Proletariat.“2
Das ist der Schwerpunkt der BIZ. Darüber müssen wir nachdenken, mehr noch: Dem müssen wir nachspüren. Das ist wichtig in Zeiten, „in denen die Arbeiterbewegung komatös darniederliegt, (ihr) das Bewusstsein von der Zugehörigkeit zu einer Klasse verschütt gegangen (ist).“3 Das ist wichtig, wenn wir es ernst meinen mit der Entwicklung von Klassenpolitik.
Nun zu einigen inhaltlichen Kritikpunkten an der BIZ. Ich hoffe, die BIZ hat klar gemacht: Faschismus, dass ist nicht das „Böse an sich“, das ist keine „ psychopatologische Verirrung“.
Faschismus, das ist eine grausame mögliche Herrschaftsform des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium. Ich betone mögliche Herrschaftsform, denn er lässt sich vermeiden:
Durch die Aktionseinheit der arbeitenden Menschen, in Verbindung mit breiten gesellschaftlichen Bündnissen, durch die Verteidigung der demokratischen Republik und ihrer Freiheitsrechte. Diese Verteidigung muss in der jeweils konkreten Situation sowohl mit als auch gegen die Politik bürgerlicher Parteien erfolgen – diese Widersprüchlichkeit ergibt sich aus der Vielschichtigkeit der Funktion und der Rolle bürgerlicher Parteien im staatsmonopolistischen System.
Stichwort: „Faschismus kommt nicht von den Faschisten“ – Diese durchaus provokativ gemeinte Überschrift hatte das Ziel über folgendes nach zudenken: Wer spielt die entscheidende Rolle dabei, die bürgerlich demokratische Herrschaftsform abzulösen durch die faschistische Diktatur? Liegen wir richtig, wenn wir den Faschismus in traditioneller Form und Gestalt erwarten, automatisch verknüpft mit Massenbewegungen?
Ist die Überschrift also falsch? Wohlgemerkt: Die Aussage heißt nicht „Faschismus braucht keine Faschisten“ und heißt auch nicht: „Faschismus braucht keine Funktionsträger, keine Machtstrukturen“. Es geht um das Thema der Erscheinungsform und die Frage wer letztendlich fähig und in der Lage ist diese Machtkarte zu spielen – und warum.
Einer der bekanntesten deutschen Faschismusforscher, Kurt Gossweiler, drückt dies so aus: „Dazu kommt als ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, dass die Auffassung, der Faschismus könne nur gestützt auf eine Massenbewegung an die Macht gebracht werden, gefährlich ist, weil sie Illusionen darüber hervorruft, aus welcher Richtung in der Gegenwart vor allem faschistische Gefahren drohen. Die Antifaschisten hoffen darauf und tun alles dafür, dass in den Ländern des Kapitals der Faschismus keine Massenbasis mehr findet.
Aber wäre durch die Verhinderung einer faschistischen Massenbasis die Gefahr des Faschismus gebannt? Keineswegs. In diesem Fall werden die reaktionärsten Kreise des Finanzkapitals, wenn sie für ihre Zwecke ein faschistisches Regime für notwendig erachten, nach anderen Wegen und Möglichkeiten suchen, um ans Ziel zu gelangen, sei es durch einen Militärputsch der eigenen Truppen, sei es durch einen Militärputsch mit ausländischem Rückhalt, wie ihn z.B. die NATO geben könnte.“4
An anderer Stelle sagt dies Gossweiler noch deutlicher: Die marxistisch-leninistische Faschismustheorie führt zwingend zu der Schlussfolgerung, dass die Hauptgefahr des Faschismus von der Herrschaft des Finanzkapitals ausgeht. (…) Sie ist sich darüber klar, dass der Faschismus viele Formen hat und auf vielen Wegen an die Macht gebracht werden kann. Im Gegensatz dazu engen die Theorien, die den Faschismus als spontane autonome kleinbürgerliche Massenbewegung betrachten ihr Gesichtsfeld in gefährlicher Weise ein; sie nehmen einen Teil für das Ganze und lassen die Hauptsache außer Acht. Für sie ist das Maß für die faschistische Gefahr nicht die Intensität der Demokratiefeindlichkeit des Finanzkapitals und der Grad seiner Entschlossenheit, seine Positionen durch Errichtung einer Form der faschistischen Diktatur zu festigen, sondern die Größe und Stärke faschistischer Parteien und Bewegungen.
Sie erwarten also die faschistische Gefahr immer noch auf dem Wege von gestern, obwohl Griechenland und Chile gezeigt haben, dass im Zeichen der imperialistischen Militärpakte der Faschismus auch auf neuen Wegen an die Macht gebracht wird, wenn kleinbürgerliche Massen keine (oder noch keine ausreichende) Neigung zeigen, dem Faschismus oder Neofaschismus Gefolgschaft zu leisten.“5 Soweit Kurt Gossweiler.
Einen weiteren Aspekt, der mir wichtig erscheint, kommt vom Faschismusforscher Manfred Weissbecker. Weissbecker vertritt aufgrund veränderter innen wie außenpolitischer Kräfteverhältnisse zugunsten der Fortschrittskräfte die These, der Faschismus könne immer weniger eine oder gar die einzige Antwort bzw. Variante imperialistischer Politik sein. Diese Einschätzung stammt zwar noch aus den 80er Jahren, also vor dem Rollback des realen Sozialismus in Europa und der Sowjetunion. Dennoch scheint sein Hinweis beachtenswert: „Der Imperialismus kann sich weder weitgehende parlamentarisch-demokratische Methoden leisten noch ohne weiteres und ohne größere Risiken zu offen faschistischen Regierungsformen über gehen. Er sieht sich gezwungen, neue Kombinationsformen beider Grundmethoden bourgeoiser Herrschaft zu suchen.“6
Welche schnelle und jähe Wendungen bürgerlich parlamentarische Herrschaftsformen nehmen können und wie skrupellos und zugleich geschickt die Bourgeoisie die Machtkarte spielen kann, zeigte sich jüngst in Frankreich. Dort war die herrschende Klasse in der Lage, in kürzester Frist das gesamte Parteienspektrum auszuhebeln, und über eine neue Wahlpartei mit Macron an der Spitze ein autoritäres Regime zu installieren, dass über Monate und weit vor Corona mit Notstandsgesetzen regierte.
Lasst mich in gebotener Kürze und sachbezogen auf einige weitere Kritikpunkte eingehen, die in dem euch vorliegenden von mehreren Genossinnen und Genossen unterzeichneten Brief erhoben werden. In dem Schreiben wird behauptet, „dass in der Bildungszeitung der Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um die Demokratie und gegen den Faschismus gepredigt wird.“ Hier stellt sich für mich die Frage: Wurde das Heft wirklich im Zusammenhang gelesen?
Wie konnte dann übersehen werden, dass sich durch die gesamte BIZ wie ein roter Faden das Thema zieht, warum die Tendenz zur Reaktion, der Abbau demokratischer Freiheitsrechte wie auch sozialer Rechte quasi zur DNA des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium gehört? Dies wird im Heft an verschiedenen Stellen, insbesondere am Beispiel der Weimarer Republik verdeutlicht, aber auch aktuellere Beispiele werden angeführt.
Die Notwendigkeit der Verteidigung der demokratischen Freiheitsrechte: Das ist das zentrale Thema der BIZ. Mehr noch: Die BIZ setzt sich mit Positionen auseinander, die das so nicht teilen. Das wird am Ende des dritten Abschnitts entlang von Positionen zum Beispiel der „autonomen oder linken Antifa“ ausgeführt, die in der Verteidigung demokratischer Rechte nur „eine Verteidigung der kapitalistischen Herrschaft (…) erkennen. Stattdessen würde bei genauerem Hinsehen erkennbar, dass die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie bedeutet, den Kampf gegen jene Monopolfraktionen aufzunehmen, die gerade zu dem Urteil kommen, auch jene verkümmerte Form von Demokratie stelle eine für ihre Herrschaftsausübung hinderliche Schranke dar und soll deswegen abgeschafft werden.“
Weiter wird in dem Brief behauptet in der BIZ stünde: „die bürgerlich-demokratische Mitte und die Faschisten hätten letztlich die gleichen Ziele. Also halten wir uns nicht mit dem demokratischen Kampf auf?“ Erstens: Das steht so nicht in der BIZ. Auch hier wurden wieder Begriffe aus dem Zusammenhang gerissen und auch noch falsch zitiert. In der BIZ wird über das gesprochen, was ein sowjetisches und im DDR-Staatsverlag veröffentlichtes Standardwerk betitelte mit „Der politische Mechanismus der Monopoldiktatur“. Das „Wording“ mag sich ein wenig „Old School“ anhören.
In der BIZ wird über die Parteien gesprochen, die sich selbst „Parteien der demokratischen Mitte“ nennen. Das ist ein vielleicht ungewöhnlicher Begriff. In unserer Parteiliteratur nennen wir diese häufig „Monopolparteien“, charakterisiert durch ihre Eingebundenheit in das staatsmonopolistische System und ihrer wechselseitigen Austauschbarkeit. Dass die Monopolbourgeoisie, bzw. bestimmte Gruppen und Fraktionen der herrschende Klasse diese Parteien zur Durchsetzung ihrer strategischen Ziele bewusst fördern, beeinflussen, aber auch austauschen, ist bekannt und historisch belegt. Zum Ziel der Monopolparteien gemeinsam gehört bei aller Differenziertheit, die zu beachten ist, die Sicherung des staatsmonopolistischen Systems. Und es gibt in der Geschichte, und das ist ein Fakt, keine faschistische Partei, die nicht diesem Sinne, nämlich der Sicherung des staatsmonopolistischen Systems, das gleiche Ziel vertritt.
Das ist übrigens auch eine Erkenntnis, die uns bei den unsäglichen Querfrontdebatten nützlich sein sollte.
Zweitens: Diese Kategorisierung sagt überhaupt nicht aus, welche Rolle (reaktionär oder progressiv) diese oder jene Monopolpartei in einer konkreten historischen Situation spielt, ob sie zum Beispiel in Widerspruch zu bestimmten Monopolstrategien steht, oder nicht usw. Noch weniger sagt diese Charakterisierung etwas aus über die innere Differenziertheit von Mitgliederparteien. Letzteres ist ungeheuer wichtig zu beachten. Gerade die Auseinandersetzungen in der SPD in Sachen Raketenrüstung oder bei den Hartz-Gesetzen wie auch den Berufsverboten usw. war heftig und es konnten große Teile der Mitglieder und Gliederungen für die Friedens- und Demokratiebewegung gewonnen werden.
Darüber hinaus ist historisch belegt, dass klare Kante überhaupt nicht im Widerspruch zu einer klugen Bündnispolitik stehen muss.
Ich zitiere Reinhard Opitz auf dem Antifaschistischen Kongress 1980 in Mannheim, wo er über die Bonner Regierungsparteien sprach. Das waren damals CDU/CSU, SPD und FDP. Opitz nannte sie an anderer Stelle auch „NATO-Parteien“. Zitat Opitz: „Der Kampf gegen die heute von der Politik der drei Bonner Bundestagsparteien und den hinter ihnen stehenden Interessen des großen Kapitals ausgehenden Rechtsentwicklungen und gegen die Auftriebstendenz des organisierten Neonazismus ist daher ein in der Sache unteilbarer Kampf.“7
Steht Opitz jetzt auch in der Sektiererrecke? Genossinnen und Genossen, es ist traurige Realität. Es gibt diesen von Opitz genannten Zusammenhang. Bürgerliche Parteien sägen seit Jahrzehnten am Grundgesetz. Ich erinnere an die Notstandsgesetze, an die faktische Streichung des Asylrechts, an Polizeigesetze und an den großen Lauschangriff. Bürgerliche Parteien formen und schrauben in unterschiedlicher Intensität, in unterschiedlicher Koalition und Zusammensetzung an dem, was wir in unseren programmatischen Dokumenten „Ausbau des autoritären Sicherheitsstaat“ nennen.
In der BIZ wird angeblich behauptet: „Kampf um Demokratie sei Opportunismus und bloße Verteidigung des kleineren Übels.“ Auch hier: Bitte lesen! Der Begriff „kleineres Übel“ wird in der BIZ eingeführt am konkreten historischen Beispiel des Verhaltens der SPD Führung in der Endphase der Weimarer Republik. Hierauf hatte schon Günter Judick, ein führender Historiker unserer Partei, 1980 aufmerksam gemacht, dem nun hoffentlich niemand das Etikett Sektierer anheften mag.
Günter Judick nannte genau mit dem Begriff des „kleineren Übel“ die Versuche der SPD in Weimar, durch Zugeständnisse nach rechts den Sprung zum Faschismus verhindern zu können. Wörtlich sagte er: „Das ist die platteste Propagierung des ‚kleineren Übels‘, die die Mobilisierung der Massen abwürgt, statt die Massen zu mobilisieren. Ich meine, das ist nicht nur eine historische Frage, (…) Die Schlussfolgerungen gilt es auch für heute zu ziehen, und das darf für unser Land heute nicht dazu führen zu sagen, um Strauss zu verhindern, muss man Schmidt wählen, muss er weiterhin Berufsverbote aussprechen und die Atomraketen ausbauen. Schmidt, Strauss und Atomraketen sind keine Alternative“8 Günter hat das 1980 gesagt auf dem Antifaschistischen Kongress in Mannheim. Für die jüngeren Genossinnen und Genossen: Kanzlerkandidat war damals der CSU-Chef Franz Josef Strauss, ein Vertreter des reaktionären Flügels der CDU/CSU. Auf Seiten der SPD Helmut Schmidt, ein glühender Transatlantiker und Verfechter der Raketenaufrüstung.
Wir haben uns gestern ausführlich mit dem Stand der kapitalistischen Krise und den sich daraus ergebenden Handlungsorientierungen beschäftigt. Ich möchte, anknüpfend an die gestrige Diskussion einen Satz aus dem Referat von Stephan Müller „Zum Stand der Krise“ herausgreifen: „Die Perspektive der Herrschenden ist vorläufig noch klar auf Einbindung der Arbeiterklasse durch die Ideologie der Sozialpartnerschaft berichtet, während der Repressionsapparat auch im Bereich der Ideologie ausgebaut wird. Dimitroff bringt es in seiner Rede auf dem 7.Weltkongress der KI auf den Punkt, wenn er sagt, dass die Arbeiterklasse durch die Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie, die von den Führern der Sozialdemokratie betreiben wird, gespalten und gegenüber der angreifenden Bourgeoisie politisch und organisatorisch entwaffnet wird. Er weist uns aber auch darauf hin, in der Krise auf die Differenzierung innerhalb aller sozialdemokratischen Parteien zu achten, in denen sich neben dem Lager der reaktionären Elemente das Lager derer herausbildet, vor allem in den Gewerkschaften, die Zweifel an der Richtigkeit der Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie hegen und damit die Voraussetzung für die Aktionseinheit schaffen, der mächtigen Waffe unserer Verteidigung“
Ich hoffe, dass mein Referat wie auch die Diskussion heute zeigen: Wir müssen uns über die Tagespolitik hinaus vertiefter mit verschiedenen Aspekten der reaktionären Entwicklung beschäftigen. Das ist keine abgehobene Debatte im Elfenbeinturm, sondern notwendig unser Handwerks zu verbessern um in Tagesfragen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Lasst uns den Zeitraum September 2020 bis Februar 2020 nutzen, um in allen Gruppen das Bildungsthema zu diskutieren. Das Sekretariat schlägt vor diese Diskussion zentral zu begleiten.
Durch eine Diskussionstribüne in der UZ von Mitte Oktober bis Ende November.
Durch eine Podiumsdiskussion mit Experten zum Thema „Aktuelle Fragen des antifaschistischen Kampfes der Kommunistinnen und Kommunisten (Arbeitstitel)“. Um Einschränkungen durch die Pandemie zu vermeiden und die Teilhabe möglichst vieler Genossinnen und Genossen sicherzustellen, wird die Veranstaltung als Videostream ausgestrahlt und in die Mediathek von www.dkp.de eingestellt.
1Daniel Bratanovic, Antifa-Konferenz der DKP in Berlin 2015, UZ vom 19.05.2015
2ebenda
3ebenda
4 Antifaschistische Arbeitshefte – Texte zur Demokratisierung, Heft 19, Hrsg. vom Präsidium der VVN/BdA, Ffm. 1978. Kurt Gossweiler: Faschismus und antifaschistischer Kampf. S.22f
5Kurt Gossweiler, „Aufsätze zum Faschismus“, Berlin 1986, S.355
6Manfred Weissbecker, „Faschismus in der Gegenwart“ in „Faschismus Forschung, Positionen-Probleme-Polemik“, Berlin 1980, S.215 f
7Aus „Wie Faschismus entsteht und verhindert wird – Materialien vom Antifaschistischen Kongress Mannheim“, Ffm., 1980, S.74
8Ebenda, S.37