Die Wirtschaft lahmt und die Kassen sind leer. Die logische Konsequenz wäre, die mit der Zeitenwende forcierte Politik der Aufrüstung und des Sozialabbaus zu beenden. Die Ampel-Regierung sucht stattdessen – in den vermutlich letzten Monaten ihrer Existenz – Sündenböcke für die ökonomische Misere und betreibt populistische Schaufensterpolitik.
Ein anschauliches Beispiel hierfür konnte man in der vergangenen Woche im Bundestag beobachten: Die Abgeordnete Heidi Reichinnek wollte von der Regierung wissen, „in wie vielen Fällen das Bürgergeld aufgrund von Arbeitsverweigerung komplett gestrichen wurde“. Hintergrund der Kleinen Anfrage der Linken-Politikerin war die Wiedereinführung von Totalsanktionen zu Jahresbeginn. Wer zum zweiten Mal ein „zumutbares“ Jobangebot ablehnt, wird seitdem als „Totalverweigerer“ eingestuft und verliert für zwei Monate den vollen Regelsatz.
„Statistische Angaben hierzu liegen nicht vor“, lautete die ernüchternde Antwort aus dem SPD-geführten Ministerium für Arbeit und Soziales. Trotz der Datenlücke hätten die Bürgergeldstreichungen eine „erwartete präventive Wirkung“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums. Bereits die Möglichkeit einer Sanktionierung zeige Wirkung und wirke sich positiv auf das „Arbeitssuch- und -bereitschaftsverhalten“ aus.
Der alte Ungeist der Hartz-Gesetzgebung scheint zurück. Dabei war noch bei Regierungsantritt der sogenannten „Fortschrittskoalition“ davon die Rede, diesen überwinden zu wollen und mit dem Bürgergeld eine sozial gerechtere Grundsicherung zu schaffen. „Vertrauen, Respekt, Förderung und eine Begegnung auf Augenhöhe“, so lauteten die ambitionierten Ziele, die in den Koalitionsvertrag geschrieben wurden.
Die als „größtes sozialpolitisches Projekt“ angekündigte Reform entpuppte sich jedoch schnell als Luftnummer. Schon bei der Einführung kritisierten Gewerkschaften und Sozialverbände die viel zu niedrigen neuen Regelsätze, die lediglich die Inflation ausglichen, aber keine tatsächlichen Verbesserungen für die Betroffenen brachten.
Mit Fortschreiten der wirtschaftlichen Krise wurde aus dem Prinzip „Alles bleibt beim Alten – nur der Name ändert sich“ eine Kampfansage der Regierung an die Bezieher von Transferleistungen. Glaubt man den Verlautbarungen aus der FDP-Fraktion, wird das neue Bürgergeld noch härter als Hartz IV. Tatsächlich werfen nicht nur die seit Jahresbeginn praktizierte komplette Streichung der Grundsicherung, sondern auch die Anfang Oktober vom Bundeskabinett beschlossenen Regeln zum Bürgergeld grundlegende Fragen zu Menschenwürde und zu Verhältnismäßigkeit auf.
So sieht der „Gesetzentwurf zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung“, der momentan im Bundestag beraten wird, monatliche Meldepflichten beim Jobcenter vor. Wer einen dieser Termine versäumt, muss mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen.
Für viele Betroffene kann dies existenzbedrohend sein, warnen Sozialverbände. Darüber hinaus sollen Pendelzeiten zum Arbeitsort bis zu drei Stunden in Kauf genommen werden. Der Umzug in einen anderen Wohnort wird zukünftig ebenfalls als „eine zumutbare Mitwirkungspflicht“ eingestuft. Auch die Vermögenskarenz – die Zeitspanne, in der eigene Rücklagen nicht angetastet werden müssen – soll von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden.
Dabei hat die Arbeitsmarktforschung längst die Vorstellung widerlegt, dass Sanktionen einen positiven Effekt auf die Arbeitsmarktintegration haben. Vielmehr treffen sie besonders Menschen in prekären Lebenslagen und können deren Lebenssituation verschlechtern. „Häufig betroffen sind dabei auch Kinder, die in Bedarfsgemeinschaften mit ihren Eltern leben und so indirekt unter den Sanktionen leiden“, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Solche Forschungsergebnisse spielen in der aktuellen politischen Debatte keine Rolle. Kein Wunder, sie würden die Verlautbarungen der letzten Monate als Hetzkampagne gegen Bürgergeldempfänger und als schlechten Rechtfertigungsversuch einer verfehlten Politik entlarven.