Debatten um „Nationale Industriestrategie 2030“

Armer Altmaier?

Von Manfred Sohn

Prügel von allen Seiten habe es gegeben, so fast unisono die großen Medien des Landes, nachdem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CSU) am 5. Februar seine „Nationale Industriestrategie 2030“ der Öffentlichkeit übergeben hatte (UZ vom 22. März und 12. April). Den Höhepunkt sollte eine Zusammenkunft von Vertretern des Mittelstandes am 6. Mai im „Ludwig-Erhard-Saal“ des Ministeriums darstellen, nach der der Vorsitzende des „Verbandes der Familienunternehmen“ mit Blick auf den Minister frohlockte: „Er hat sich doch zurückgenommen und mehr zugehört und mitgeschrieben als selber geredet.“ Insgesamt wird der Eindruck vermittelt, Altmaier habe wie ein gemaßregelter Schulbub mit gesenktem Kopf dagesessen, die heftigen Vorwürfe demütig entgegengenommen und Besserung gelobt.

Alles für die Großen, nichts für die Kleinen und Plan- statt Marktwirtschaft – das ist die Grundlinie der vorgetragenen Einwände. Mitleid ist mit Vertretern der herrschenden Klasse niemals angesagt, aber nicht deshalb wäre es völlig verfrüht, in den „Armer Altmaier“-Chor einzustimmen, der jetzt ertönt. Zwei Dinge mindestens sollten auffallen: Erstens haben sich zwar serienweise Mittelstandsvertreter und Journalisten zu Wort gemeldet, die meinen, die Marktwirtschaft von Ludwig Ehrhard gegen seinen Amtsnachfolger verteidigen zu müssen. Seitens der Großindustrie war keine Wortmeldung zu verzeichnen. Schweigen ist im politischen Gewerbe in der Regel Zustimmung. Zweitens lassen weder Angela Merkel noch Altmaier irgendwelche Anzeichen für die Absicht erkennen, ihr Papier zurückzuziehen. Einen „strukturierten Dialog“ kündigte Altmaier für den Sommer und eine überarbeitete Fassung für den Herbst an – Einpacken sieht anders aus.

Im Kern wird an der Debatte lediglich die unterschiedliche Interessenlage innerhalb des Unternehmerlagers deutlich – und zwar vor allem zwischen den großen Monopolen und den mittelständischen Unternehmen, die fürchten, unter die Räder zu geraten bei einer Aufpäppelung der Konzerne zu „internationalen Champions“, wie es Altmaier angesichts der Konkurrenz aus den USA und China empfiehlt. Die scheinbare Differenz zu Erhard könnte sich als Irrtum erweisen. Denn das war der, der seit seiner Tätigkeit für den deutschen Faschismus von „formierter Gesellschaft“ träumte, in der sowohl großen Konzernen als auch dem deutschen Mittelstand und den für beide schuftenden Arbeitern und Angestellten jeweils die Rollen zugewiesen wurden, in denen sie am besten zur Weltmachtgeltung der Nation beitragen könnten.

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"Armer Altmaier?", UZ vom 17. Mai 2019



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