Das Virus eint alle, vor dem Virus sind alle gleich“, durften wir uns im Frühjahr 2020 aus berufenem Munde sagen lassen – dem des Psychologen Andreas Grünewald. Berufen hatte ihn Armin Laschet und zwar in den „Expertenrat Corona“ seiner Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Die Legende vom Virus, das keine Klassen kennt und die Nation im Abstandhalten zusammenrücken lässt, hat nicht lange gehalten.
Arme Menschen erkranken und sterben häufiger an Covid. Was die arbeitenden Menschen schon aus ihrem Alltag wussten, spiegelt sich inzwischen auch in einer Reihe von Studien wider: Während der Pandemie hat sich die Spaltung unserer Gesellschaft vertieft. Inzwischen diskutieren die berufenen Experten darüber, ob die Kinder und Jugendlichen von heute einer „verlorenen Generation“ angehören.
Die Ursache von Klassenspaltung, Armut und Zukunftsangst ist nicht die Pandemie. Die Pandemie ist die Bedingung, unter der die Regierenden tun, was ihre Aufgabe ist: Den Kapitalismus so zu verwalten, dass deutsche Konzerne in der weltweiten Konkurrenz mithalten können. Entsprechend haben Bundes- und Landesregierungen in der Pandemie gehandelt – zumindest, wenn ihnen der Streit um irgendwelche Kandidaten die Zeit dazu gelassen hat.
Die „mit der Pandemie verbundenen Einkommensrisiken in den unteren Einkommensbereichen“ sind größer, heißt es in der Bürokratensprache des Entwurfs für den Armutsbericht der Bundesregierung. Zu Home-Schooling und Kita-Schließung kommen die Angst um den Job und die Sorge um das knappere Geld. Wer weniger verdient, ist stärker belastet – das trifft vor allem Eltern, ergab eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung.
Es bedeutet, dass den Kindern aus ärmeren Familien die Freunde in der Kita fehlen, der Sport, die wenigen günstigen Freizeitangebote, während ihre Eltern mit Ängsten und Unsicherheit kämpfen. Die Regierung gibt den Eltern ein paar Kinderkrankentage, die auch dann nicht reichen, um Kita-Schließungen auszugleichen, wenn Mütter und Väter sie vollständig nehmen können, ohne dass der Chef protestiert.
Es bedeutet, dass Kinder und Jugendliche aus der Arbeiterklasse gezwungen sind, sich noch mehr in Wohnungen aufzuhalten, die schon vor der Pandemie zu klein waren. Die Regierung beschließt Ausgangssperren. Der Virologe Hendrik Streeck nennt sie schädlich, weil sich viele Menschen gerade in beengten Wohnungen infizieren würden.
Es bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler aus der Arbeiterklasse es schwerer haben, in der Pandemie zu lernen. Die wenigen Förderangebote erreichen eher Schüler aus Akademikerhaushalten. Der Entwurf des Armutsberichts zeigt, dass ärmere Eltern ihre Hoffnungen zurückschrauben, dass ihr Kind nach der Grundschule aufs Gymnasium wechseln könnte.
Es bedeutet, dass wir vor einer Ausbildungskatastrophe stehen und die Jugendarbeitslosigkeit wächst: 7 Prozent weniger betriebliche Ausbildungsplätze als im letzten Jahr wurden bis März bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet.
Es bedeutet, ob es um Schulnoten, Ausbildung, Jobsuche oder den Konkurrenzkampf an der Hochschule geht: Kinder und Jugendliche aus der Arbeiterklasse haben allen Grund, Schiss vor der Zukunft zu haben. Dabei gab es genug Vorschläge und Ideen, wie die Folgen von Pandemie und Lockdown für Kinder und Jugendliche gemildert werden könnten. Ihre Umsetzung hätte Geld gekostet – mehr als die wenigen Förderangebote und Kinderboni, zu denen sich die Regierung herabgelassen hat. Sie hat die Hilfen für Unternehmen höher gewichtet. Für die „Generation Corona“ bedeutet das: Wer nicht kämpft, ist schon verloren.