Zu Jahresbeginn stehen die deutschen Kommunen vor einem Trümmerfeld. Die Kassen sind leer, die Defizite in den Haushalten weiter gestiegen. Die Schulen, Straßen und Kultureinrichtungen verfallen. Der tägliche Wertverlust in der kommunalen Infrastruktur beträgt 13 Millionen Euro.
Diese und weitere Feststellungen trifft der Deutsche Städte- und Gemeindebund in seiner kürzlich vorgelegten „Bilanz 2024 + Ausblick 2025“. Auf etwas mehr als 50 Seiten jagt eine Hiobsbotschaft die andere. Der Wohnungsbau ist rückläufig, die Krankenhäuser pleite. Lange Ausführungen leistet sich das Papier zum Thema Klimaschutz. Zusammenfassung: Es gibt nicht einmal annähernd genug Geld, um nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Auch der Öffentliche Personennahverkehr steht auf der Kippe. Die Finanzierung des Deutschlandtickets ist ungeklärt und durch die steigenden Kosten werden „vielerorts Fragen nach der Einschränkung von Angeboten ausgelöst“.
Selbst für die Kleinsten gibt es wenig zu hoffen: Der Kita-Ausbau lahmt, die Finanzierung des laufenden Betriebs ist kaum noch zu stemmen. Bei der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen bittet der Städte- und Gemeindebund gar um Aufschub. Zwei Jahre soll der Bund warten, bis er den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz einführt. Sonst wird das nix.
Die Liste ließe sich lange fortsetzen oder einfach in einer Zahl zusammenfassen: Die öffentlichen Investitionen in der Bundesrepublik betrugen im Jahr 2023 gerade einmal 2,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit befindet sich Deutschland deutlich unterhalb des EU-Durchschnitts. Die Kommunen stemmen davon fast die Hälfte (1,1 Prozent des BIP). Während darüber diskutiert wird, ob allein für Militärausgaben künftig 5 Prozent oder mehr des BIP aufzuwenden sind, reichen die Investitionen in der Öffentlichen Daseinsvorsorge nicht einmal aus, um die bestehende Infrastruktur zu erhalten. Doch in den Überlegungen des Städte- und Gemeindebundes spielt dieser Zusammenhang keine Rolle. Im Gegenteil.
Anstatt die desaströse Militarisierung anzuprangern, fordert der Verband „Investitionen in Schutzräume, in Warnsysteme, Katastrophenschutzübungen und allgemein in die Sensibilisierung der Bevölkerung“. Es gebe „nur 600 einsatzfähige Schutzbunker“, das reiche gerade einmal für 500.000 Personen. Gefordert wird auch, den „Veteranentag vor Ort mit Leben zu füllen“ und die zivil-militärische Zusammenarbeit zu stärken. Schließlich müssten auch Feuerwehren, das Rote Kreuz oder die Wasser- und Energiewirtschaft „in bestimmten Lagen der Bundeswehr den Rücken stärken“. Ausdrücklich unterstützt wird der „Operationsplan Deutschland“. Die Städte und Gemeinden wollen mithelfen, den „Schutz kritischer Infrastruktur sicherzustellen und gegebenenfalls den Transit und Aufenthalt von NATO-Truppen in Deutschland zu organisieren“.
Wie diese Aufmarschhilfe gen Moskau konkret aussehen kann, wird derzeit in Thüringen ermittelt. Dort geht die Bundeswehr auf Landkreise zu, um sogenannte „Convoy Support Center“ einzurichten. An solchen speziell ausgestatteten Punkten könnten dann laut eines Berichts des MDR „Truppenverbände mit jeweils mehreren hundert Soldaten“ Rast machen und auf Essen, Wasser, Kraftstoffe und medizinische Versorgung zurückgreifen.
Dass die gewünschte Kriegstüchtigkeit Geld kostet, weiß auch der Städte- und Gemeindebund. Er fordert daher nicht nur mehr Unterstützung vom Bund, sondern auch ein „Moratorium für zusätzliche soziale Leistungen“ und die Begrenzung von „Fluchtmigration nach Deutschland“. Hier weht unbeabsichtigt sogar ein Hauch von politischer Ehrlichkeit durch das Papier. Denn die Fähigkeiten zur Kriegsführung zu steigern, der soziale Kahlschlag und die Bekämpfung von Geflüchteten gehören bekanntermaßen zusammen. Doch nicht nur bei der Eingliederung in die „Kanonen-statt-Butter“-Politik hat der „Bilanz und Ausblick“ eine reaktionäre Schieflage.
Obwohl oder gerade weil das Papier zum Auftakt der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst erscheint, spielt die Verbesserung der Personalsituation kaum eine Rolle. Ob bei der Pflege, in den Kitas oder in der Verwaltung: Überall klagen die Gemeinden über „Fachkräftemangel“. Doch anstatt über bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und mehr Freizeit nachzudenken, wagt der Städte- und Gemeindebund die Flucht nach vorn. Um die 230.000 Angestellten zu ersetzen, die nach eigenen Angaben bis zum Jahr 2030 fehlen, will der Verband „die Digitalisierungspotentiale konsequent“ nutzen, heißt es in einer zeitgleich mit der Bilanz veröffentlichten Resolution. Auch mit Tariftreuegesetzen kann sich der Städtebund nicht anfreunden. Daher fordert er, dass die Vergabe von kommunalen Aufträgen an private Unternehmen „nicht durch weitere verbindliche Kriterien, etwa zur Nachhaltigkeit oder zu sozialen Aspekten, eingeschränkt“ werden dürfe. Was nützt auch die schönste Privatisierung, wenn sie nicht mit der grenzenlosen Ausbeutung von Mensch und Natur einhergeht? Und so geht es immer weiter. Lauterbachs Krankenhausreform wird samt der Schließung von Kliniken als „im Grunde richtig“ aufgefasst. Der Personalmangel in der Pflege wird ebenso beklagt wie die steigenden Kosten durch „Verbesserungen der Vergütung und der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals“.
In Zeiten von Krise und Kriegsgefahr stellt sich der Städte- und Gemeindebund nicht vor seine Mitgliedskommunen, nicht vor die Bürgerinnen und Bürger und nicht vor die Beschäftigten. Stattdessen werden Daseinsvorsorge und gute Löhne im Öffentlichen Dienst gegeneinander ausgespielt. Anstatt eine Umkehr einzufordern, wird der Kahlschlag in den Kommunen bedauert und zugleich die Integration in den ruinösen Kriegskurs vorangetrieben. Den kommunalpolitischen Funktionären mag diese Rhetorik helfen, sich für die – offenbar erwartete – CDU-Bundesregierung hübsch zu machen.
Wer da nicht mitmachen will, hat jetzt die Gelegenheit, den großen und kleinen Kriegstreibern die rote Karte zu zeigen: Mit der solidarischen Unterstützung der Kolleginnen und in der laufenden Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes.