Türckes Philosophie des Geldes

Arg bescheiden

Von Herbert Becker

Christoph Türcke, Mehr! Philosophie des Geldes, C. H.Beck Verlag, 480 Seiten, geb., 29,95 Euro

Eine Erzählung wird vorgelegt, gemeint als Sachbuch, dabei ist es fast ein Roman geworden.

Der Autor, emeritierter Hochschullehrer der HWTK Leipzig und bekannt geworden mit einigen Titeln, so einer „Philosophie des Traums“ oder einer Geschichte der Entwicklung von Zeichen und Schrift, kommt von der Religionsphilosophie, der Psychoanalyse und mit einigen Versatzstücken aus dem historischen und dialektischen Materialismus her.

Ganz traditionell startet der Autor bei den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte – wenig Quellen sind vorhanden, deshalb erzählend, fabulierend. Sein Betrachtungspunkt ist: Ausgehend von den alltäglichen Bedrohungen, den unerklärbaren Schrecken und Ängsten, sei es um Schreckensbewältigung, um die Bannung durch Wiederholung über Ritualisierungen gelungen, Stabilität in der Horde, dem Clan herzustellen. Dabei sei der Gedanke des Opfers entstanden, das dem Unerklärlichen zur Abwehr, zur Besänftigung, zur Befriedung gebracht wurde.

Vom Menschenopfer über das Tieropfer hin zur figürlichen Form sei die Geschichte des wertvollen Schatzes gegangen, auch der gegenseitige Geiseltausch als Pfand habe sich dabei entwickelt.

Die Schätze haben dabei einen Ort gebraucht zur ständigen Aufbewahrung und/oder Darbringung. So erklärt Türcke den Bau von Tempeln und die Entwicklung von Wissenden über Rituale sowie die Bestimmung über die Wertschätzung. Die perfide List der Tempel-/Schatzhüter, genannt Priester, habe dazu geführt, dass solche Werte in Umlauf gerieten, weil die Priester sie verliehen, um Haus und Hof zu schützen, um Clanführern, später Königen Machtdemonstrationen zu erlauben, dabei seien erste Äquivalentformen für das Verleihen, später auch das ständige Überlassen entstanden.

So wandert der Autor durch Ur- und Frühgeschichte bis Mesopotamien, die griechischen Stadtstaaten und das Römische Reich.

Die weitere Entwicklung von diesen ersten Äquivalenten, mit Zeichen versehenen Stäbchen mit Wertbestimmungen über Münzen zum Papiergeld, wird von Türcke dann mit Hilfe der nun reichlicher vorliegenden Quellenlage launig erzählt, dabei betont er immer wieder den „sakralen Ursprung des Geldes“, der dabei aber weiter in den Hintergrund bzw. die Unkenntlichkeit geraten sei.

Nun endlich in der Neuzeit angekommen, fabuliert der Autor über die ersten Bankhäuser und ihre Schwierigkeiten, die gewährten Kredite von ihren Schuldnern einzutreiben, besonders wenn es mächtige Herrscher und Königshäuser waren. So begründet er auch die Entstehung von Zentralbanken, die nun unabhängig von den jeweiligen politischen Verhältnissen dem Geldverkehr und dem sich entwickelnden Finanzkapital Stabilität verleihen sollen.

Ist er nun endlich im Kapitalismus, seinen Erklärern und seinen Kritikern angekommen, wird es arg bescheiden. Da Türcke es schon bisher vermieden hatte, die menschliche Arbeit in ihren unterschiedlichen Bedingungen und Ausformungen in den Blick zu bekommen, weder über Produktivkräfte noch Produktionsverhältnisse redet, wird es nun nur noch punktuell lesenswert. Marx z. B. habe den sakralen Gehalt des Geldes zwar noch geahnt, aber seine Ausführungen über Wert und Preis jeglicher Ware seien deshalb nicht weit und durchdringend genug. Lenin habe es nicht verstanden, in der Phase der NÖP diese Grundbestimmung des Geldes überhaupt im Blick zu haben, folgerichtig musste diese Ökonomie scheitern. Lieber beschäftigt sich Türcke mit Silvio Gesell, einem putzigen Apologeten des „Schwundgeldes“,der zurück wollte zu alten, aber dadurch neuen Formen des Warentausches.

Ein letzter Blick in das umfangreiche Literaturverzeichnis: Lenin fehlt völlig, Rosa Luxemburg wird nur mit einem Text über „Kirche und Sozialismus“ erwähnt und nicht mit ihrer „Akkumulation des Kapitals“, sowjetische und/oder marxistische Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler fehlen ebenso. Dafür werden gerne und ausführlich Freud, Nietzsche und der Autor selbst zitiert.

Philosophie sei ja die „Liebe zur Wahrheit“, aber ist sie deshalb auch richtig?

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"Arg bescheiden", UZ vom 17. Juni 2016



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