Neue Arbeitsstättenverordnung im Sinne des Kapitals

Arbeitsschutz weichgespült

Von Herbert Schedlbauer

Wer als Unternehmer auch in Zukunft auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten pfeift, hat weiterhin leichtes Spiel. So war schon der vor vier Jahren vorgelegte Gesetzesentwurf der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) nicht angetan, den Schutz der Arbeiter und Angestellten in der Bundesrepublik wirklich zu verbessern. Das am 2. November von der Bundesregierung beschlossene neue Gesetz wird daran nichts ändern.

Dabei wäre eine Verbesserung dringend notwendig gewesen. Um Arbeitsabläufe menschengerechter zu gestalten. Denn nach wie vor wird in immer mehr Betrieben einfachster Gesundheitsschutz nicht mehr gewährleistet. Weil schon die Vorschriften für Arbeitsstandards in der Vergangenheit kaum auf ihre Einhaltung kontrolliert werden konnten, drängten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Einzelgewerkschaften zu einer neuen gesetzlichen Regelung. Dabei sollten die Kontrollmöglichkeiten verbessert und Verstöße härter geahndet werden. Kaum war der Gesetzesentwurf 2012 auf dem Tisch, wurde der Text von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) scharf angegangen. Als die Verordnung Ende 2014 das Kabinett und den Bundesrat bereits passiert hatten, legte die BDA noch einmal nach. Spätestens bei diesem Lehrstück bundesdeutscher Klassenzustände wäre die Mobilisierung der Beschäftigten durch die Gewerkschaften sinnvoll gewesen.

Man kann davon ausgehen, dass der Unternehmer-Präsident Ingo Kramer die Ruhe an der Basis genau beobachtete, um erneut zum Schlag gegen Arbeitsrechte anzusetzen. Sein Verband initiierte eine Kampagne gegen Verbesserungen jeglicher Art im Arbeitsalltag. Betrieblicher Gesundheits- und Arbeitsschutz wurde als „Absurdistan“ abgetan. Politik und Gewerkschaften breitseitig angegangen. Die Unternehmer machten Front gegen Sanitär- und Pausenräume. Kantinen und Erste-Hilfe-Räume. Im Entwurf sollten diese Räume ausreichend Tageslicht und einen Blick nach außen haben. Denn Tageslicht am Arbeitsplatz für Pausen- und Aufenthalträume ist nachweislich für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten essenziell wichtig. Selbst kleine Zugeständnisse wie abschließbare Kleiderspinde wurden verweigert.

Billig musste es werden. Ursprünglich gute Regelungen für Telearbeitsplätze wurden bekämpft. So wollte der DGB einen besseren Arbeitsschutz im Hinblick auf die sogenannte Wirtschaft 4.0 auch bei Heimarbeitsplätzen erreichen. Solche Art von Arbeit wird sich extrem vergrößern. Deshalb sollten diese Arbeitsplätze stärker der Mitbestimmung und dem Arbeitsschutz unterliegen. Jetzt bestimmen die Betriebe sogar, wie die Einrichtung eines Bildschirmarbeitsplatzes im Privatbereich, also Zuhause, auszusehen hat. Die Gefährdungsbeurteilung ist nur noch für die Ersteinrichtung erforderlich. Was später passiert, ist unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen egal. Die Verantwortung liegt dann beim „Heimarbeiter“.

Fein raus sind die Firmenbesitzer auch bei der Unterweisung ihrer „Mitarbeiter“ in Sachen Arbeitsschutz. Die bis vor kurzem vorgeschriebene schriftliche Dokumentation der Unterweisung ist ersatzlos gestrichen worden. War diese Unterweisung doch die betriebliche Richtschnur zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung und deren Haftung durch den Unternehmer. Diese Dokumentationen konnten für die Überwachung und Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit durch Betriebs- und Personalräte genutzt werden. Gerade auch bei Betriebsunfällen oder Berufskrankheiten herangezogen werden. Durch den Wegfall, regelmäßig über die Gefährdung am Arbeitsplatz zu unterrichten, wird es zukünftig schwieriger dem Unternehmer nachzuweisen, bekannte Mängel im Betrieb nicht rechtzeitig abgestellt zu haben.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bescherte den Firmen eine neue Arbeitsstättenverordnung „light“. Die große Koalition, an der Spitze Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), ist erneut vor dem Kapital eingeknickt. Nahles verhielt sich ähnlich inkonsequent, wie beim Mindestlohn und der prekären Beschäftigung. Ergebnis ist, die Bosse können weiter sparen, was das Zeug hält. In einer Gesellschaftsordnung, wo der Profit das Maß aller Dinge ist, bleibt der Mensch, seine Gesundheit am Arbeitsplatz zweitrangig.

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"Arbeitsschutz weichgespült", UZ vom 25. November 2016



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