Was bedeutet Entlastung? Im Streikzelt vor der Uniklinik Essen

Arbeitgebergedanken

Von Olaf Matthes

DKP für Entlastung

Am Dienstag zeigten die Mitglieder der DKP-Ratsgruppe in Bottrop ihre Solidarität mit den Streikenden der Essener Uniklinik: Irmgard Bobrzik und Michael Gerber besuchten das Streikzelt, lasen ihr Solidaritätsschreiben vor und übergaben 100 Euro Spende an die Streikleitung.

Die DKP-Gruppe Essen Steele hat vor dem Stadtteilkrankenhaus und an öffentlichen Plätzen Unterschriften für den ver.di-Aufruf gesammelt, mit dem der Klinikvorstand zu Tarifverhandlungen aufgefordert wird.

Wenn sie einen Patienten in die Ambulanz durchstellt, geht niemand ans Telefon. Die Pflegekräfte lassen klingeln, sie sind mit anderen Aufgaben schon überlastet. „Dann haben wir sie wieder am Apparat, manchmal acht- oder neunmal, und müssen uns beschimpfen lassen, weil der Patient keinen Termin für seine Untersuchung kriegt.“ Für die Kollegin in der Telefonzentrale wäre es eine Entlastung, wenn die Pflegekräfte entlastet werden.

Die Streikenden aus den einzelnen Berufsgruppen setzen sich nacheinander um die Tische im Streikzelt vor der Essener Uniklinik, um zu besprechen, welche Forderungen ihre Vertreter in den kommenden Verhandlungen über einen Tarif für Entlastung in den Mittelpunkt stellen sollen. 14 Gruppen, acht Stunden, drei Kolleginnen aus der Verhandlungskommission, eine Frage: Was heißt Entlastung in den einzelnen Arbeitsfeldern?

Der Eingang der Essener Uniklinik am Dienstagmorgen.

Der Eingang der Essener Uniklinik am Dienstagmorgen.

( Olaf Matthes)

Die Reinigungskräfte brauchen Arbeitszeiten, bei denen sie nicht zwölf Tage am Stück arbeiten müssen. Die Mitarbeiter der Sterilisation fordern, dass die Metallsiebe mit OP-Instrumenten, die sie sterilisieren müssen, nicht so voll geladen werden, dass sie mehr als fünf Kilo wiegen. Der Physiker will, dass ein Feinmechaniker angestellt wird, damit er nicht selbst mit heißem Blei für Geräte in der Strahlentherapie hantieren muss. In fast allen Bereichen brauchen sie mehr Personal: Kräfte, die Intensivpatienten am Beatmungsgerät so betreuen, wie es vorgeschrieben ist. Kräfte, die die Geräte auf der Station reinigen, damit die Pflegerin nicht auch das noch erledigen muss. Kräfte, die die krankgeschriebenen Kollegen ersetzen – „Arbeiten an der Uniklinik macht zurzeit krank“, sagt ein Lagerarbeiter, niemand wundert sich, dass manche Kollegen nicht mehr zur Arbeit kommen können. Ihr Ausfall verschärft die Belastung der anderen.

„Macht euch keine Arbeitgebergedanken“, wirft eine Kollegin vom Personalrat ein, als diskutiert wird, ob man nicht doch einfach durch eine bessere Organisation für eine Entlastung sorgen könne. Hier geht es darum, was die Beschäftigten brauchen, um ihre Patienten gut versorgen zu können, ohne dabei ihre eigene Gesundheit zu gefährden. Die Kollegin, die die Diskussion leitet und die Forderungen notiert, legt den Stift weg und nimmt das Mikro: „Ihr müsst uns etwas an die Hand geben, damit wir verhandeln können“, sagt Alexandra Willer, Vorsitzende des Personalrats und Mitglied der Verhandlungskommission.

„Es ist offensichtlich, dass die Streiks den Klinikvorständen zu schaffen machen“, sagt Willer im Gespräch mit UZ. Natürlich haben immer nur einige hundert von tausenden Beschäftigten gestreikt. Dennoch: Vergleichbare Kliniken haben in ähnlichen Auseinandersetzungen davon gesprochen, dass jeder Streiktag einen Verlust von einer Million Euro bedeutet. Der Streik habe die Vorstände zum Verhandeln gezwungen, „aber es gibt auch ein gesellschaftliches Klima, das uns trägt“ – ein Ausdruck davon sei, dass auch Kanzlerin Merkel einen Teil der Probleme in der Pflege anerkennen muss. Beim Unterschriftensammeln für die Entlastung der Pflegekräfte stehen die Leute in der Fußgängerzone Schlange, berichtet Willer.

Im Streikzelt fragt sie: „Wie viele Kräfte müssen auf wie viele Patienten kommen?“ Für 25 Patienten kann eine Serviceassistentin das Essen, das Material und die Wäsche vorbereiten. Um sechs Patienten kann sich ein Krankenpfleger auf der Normalstation kümmern, drei Kinder kann eine Kinderkrankenpflegerin versorgen, eine Intensivpflegerin muss sich auf zwei Patienten konzentrieren können. Das sind die entscheidenden Forderungen, die die Belegschaft an den Vorstand der Klinik stellt. Und sie fordern, dass der neue Tarif auch die Konsequenz festlegt, wenn dieses nötige Personal fehlt: Dann müssen Betten geschlossen, Patienten verlegt werden. Eine Kollegin berichtet von ihrer Arbeit an einem Hamburger Klinikum vor zwanzig Jahren: Zum Schichtende hat der Teamleiter geklärt, wie viele Kräfte in der nächsten Schicht da sind – und wenn nötig dafür gesorgt, dass die Patienten auf einer anderen Station unterkommen können. „Was wir fordern, ist ja nicht aus der Luft gegriffen, es gibt ja Beispiele dafür, dass es geht“, sagt ein anderer.

Sie diskutieren gründlich, was Entlastung bedeutet. Das heißt: Sie sprechen darüber, wie ein Dialysepatient betreut werden muss und welche Verantwortung eine Pflegekraft gegenüber den Angehörigen hat, die als Besucher auf die Intensivstation kommen. Sie sprechen darüber, wie viele OP-Instrumente nötig sind, damit die Ärzte operieren können, obwohl ein Satz Instrumente gerade sterilisiert wird. Sie wissen, wie die Arbeit zwischen Reinigungs- und Pflegekräften besser aufgeteilt werden kann, wie die Herzkatheteruntersuchungen organisiert werden können, ohne dass ein Kollege den ganzen Tag die wegen der Röntgenstrahlung nötige schwere Bleischürze tragen muss, wie der Pool von Pflegern, die auf den Stationen einspringen können, funktionieren würde. „Wir sind vor Ort, wir sehen, was nötig ist“, sagt eine Intensivpflegerin, die seit 30 Jahren im Beruf ist und zusehen musste, wie das Gesundheitswesen kaputtgespart wird.

Das heißt: Sie machen sich „Arbeitgebergedanken“ – die Gedanken, die nötig sind, um das Krankenhaus am Laufen zu halten und die Patienten zu versorgen. Die „Arbeitgeber“ im Klinikvorstand machen sich Gedanken darüber, wie sie die Klinik rentabel organisieren können, über den Streik haben sie behauptet, er gefährde Patienten. Für ein gutes Gesundheitswesen sind diese Arbeitgeber nicht nötig – aber Klinikbelegschaften, die für mehr Personal kämpfen und selbstbewusst genug sind, um die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen.

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"Arbeitgebergedanken", UZ vom 20. Juli 2018



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