Trotz friedlicher Fassade fehlt es an Bewerbern

Arbeitgeber Bundeswehr

Von Klaus Stein

Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt. Seitdem kämpft die Bundeswehr nicht nur, um angeblich „im Auftrag des deutschen Volkes zu Sicherheit und Frieden in der Welt beizutragen“ (Zitat Bundeswehrbroschüre), sondern auch um Bewerber. Als Kampfmittel für mehr Tötungsbereitschaft wurde das „Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ im Mai 2015 in Stellung gebracht. Es verspricht bessere Besoldung, eine Wochenarbeitszeit von 41 Stunden, aber auch Teilzeitmöglichkeiten. Die Wirkungen lassen noch zu wünschen übrig, obwohl das Gesetz durch eine „Agenda Bundeswehr in Führung – Aktiv.Attraktiv.Anders.“ flankiert wird. Sehr effektiv scheint auch diese Handlungsanleitung nicht zu sein. Eine Personalbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) vom August 2016 ergab, dass 30 Prozent der Zeitsoldaten von den Agenda-Maßnahmen noch nie etwas gehört hatten.

Kern der mangelnden Attraktivität ist sicherlich, dass die Bundeswehr nicht Sicherheit und Frieden, sondern Krieg und Zerstörung in die Welt trägt. Jedenfalls sieht das die Bevölkerung in ihrer Mehrheit so. 68 Prozent der Bevölkerung wollen nach einer Befragung im Auftrag der „Deutschen Presse-Agentur“ aus dem Jahr 2015 nicht, dass sich Deutschland „stärker an internationalen Militäreinsätzen zur Bewältigung von Krisen“ beteiligt. Nur 18 Prozent akzeptieren eine aktivere militärische Rolle Deutschlands im Ausland.

Folglich werden wir seit November 2015 von einer Werbeoffensive der Bundeswehr behelligt. Kosten: zehn Millionen Euro. Ihr Slogan: „Mach, was wirklich zählt“. Erdacht hat diese Kampagne die Düsseldorfer PR-Agentur Castenow. Es geht um neuen Nachwuchs und um Akzeptanz aggressiver Militärpolitik als Kollateralnutzen. Die Bundeswehr sei „heute nicht nur eine Armee im weltweiten Einsatz, sondern ein hochmoderner, global agierender Konzern“ wird uns mitgeteilt. Wie verhält sich denn dieser Konzern zu seinen Beschäftigten?

Der Wehrbeauftragte offenbart sicher nicht immer die ganze Wahrheit, seine Berichte bieten aber Anhaltspunkte, wo es hakt. Eingaben zum Thema Vereinbarkeit von Familien- bzw. Privatleben und Dienst bleiben ein Schwerpunktthema. Immerhin pendeln zwei von drei Bundeswehrangehörigen (Fern-, Wochenend- und Tagespendler). 66 Prozent im Vergleich zu 20 Prozent aller erwerbstätigen Deutschen. Das führt zu Beschwerden, vor allem zu Anträgen mit dem Ziel Verkürzung der Dienstzeit oder überhaupt der Versetzung in den Ruhestand. Mehr als 60 Prozent sind Wochenendpendler, die am Standort eine Unterkunft benötigen. Für den Fall, dass sie nicht trennungsgeldberechtigt sind, entfällt der Anspruch auf Unterbringung in der Kaserne. Das wiederum trifft mehr als die Hälfte. In der Summe sind das 20 500 Soldatinnen und Soldaten, die auf den Wohnungsmarkt verwiesen werden. Sie beklagen Mehrkosten von rund 500 Euro im Monat.

Die Bundeswehr hat zu wenig Ärzte. Sie konkurriert mit zivilen Arbeitgebern. Nur 85 Prozent der Stellen sind tatsächlich besetzt. Verschärft wird die Situation durch Kriegsdienstverweigerungen insbesondere von Sanitätsoffiziersanwärtern.

Aufgrund der Konkurrenz auf dem zivilen Arbeitsmarkt und trotz Weiterverpflichtungsprämien und Personalbindungszuschlägen ist laut Wehrbeauftragtem auch die Personalgewinnung und -bindung von militärischem Assistenz- und Pflegepersonal extrem schwierig. Bei den Notfallsanitätern sind die Stellen zu 75 Prozent und weniger besetzt.

Ein Extrakapitel ist das Problem der einsatzbedingten posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Deren Zahl ist leicht zurückgegangen. Das werde aber relativiert durch den Anstieg anderer einsatzbedingter psychischer Störungen, wie zum Beispiel Angststörungen und affektive Störungen, so der Bericht. Der Anstieg bei diesen Krankheiten betrug im Berichtsjahr 40 Prozent. Jahre und Jahrzehnte nach Beendigung von Einsätzen, zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien, gibt es immer wieder Erstdiagnosen von psychischen Erkrankungen. Die Selbstmorde sind leicht zurückgegangen. 2015: 25 Selbstmorde und 44 Selbstmordversuche. 2016: 12 Selbstmorde und 46 Selbstmordversuche. Bundeswehr tötet.

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"Arbeitgeber Bundeswehr", UZ vom 1. September 2017



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