Am Montag öffneten die Schulen in Bayern, während der Lockdown weitergeht. Zum Schulstart stellte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) weitere Öffnungen in Aussicht, während die Infiziertenzahlen im Freistaat wieder steigen. Vor der Schulöffnung sprach UZ mit Sandra Trichter. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin an einer der größten Grundschulen in München.
UZ: Mit welchen Problemen bist du zurzeit am meisten konfrontiert?
Sandra Trichter: Die Kluft zwischen Akademiker- und Arbeiterkindern wird immer breiter. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Eltern schlecht Deutsch sprechen, weil sie vielleicht einen Migrationshintergrund haben. Es liegt vielmehr daran, ob die Eltern die Zeit und die Fähigkeiten besitzen, ihren Kindern bei den Aufgaben zu helfen. Viele Lehrer haben mir beim ersten Lockdown schon erzählt, dass sie gar nicht wissen, wie sie die Klasse unterrichten sollen, weil es Kinder mit sehr ehrgeizigen Eltern gibt, die zu Hause vorgelernt haben. So konnten plötzlich Kinder minus im Zwanzigerraum rechnen und andere konnten noch nicht mal bis zehn plus. Die Lehrer wissen gar nicht, wie sie diese Lücke schließen sollen.
Ein anderes Problem ist wohl ein München-spezifisches. Die Mieten sind so teuer, dass zum Teil Familien zu sechst in einer 2-Zimmer-Wohnung leben. Wenn vier Kinder in einem Raum Home-Schooling machen sollen und vier Lehrer quatschen online durcheinander, dann ist das so gut wie unmöglich, auch wenn die Schulen teilweise die technischen Geräte dafür zur Verfügung stellen.
Ich versuche zwar immer noch mehr Kinder in die Notbetreuung reinzuschleusen, aber mit über 100 Schülern sind die Kapazitäten erschöpft.
UZ: Wie sieht die Notbetreuung aus? Werden die Kinder dort von den Lehrern unterrichtet?
Sandra Trichter: Das denken viele Eltern und werden dann enttäuscht. Lehrer und Erzieher betreuen von acht bis zwölf Gruppen mit drei bis vier Kindern und helfen denen, den Stoff aufzuarbeiten. Es sind aber nicht die Klassenlehrer, denn es sind nicht alle Lehrer immer an der Schule. Meine Schule hat ein Wechselsystem eingeführt. Das Problem ist, die einen kennen sich mit dem Stoff besser aus, die anderen weniger. Trotzdem stellt die Notbetreuung für viele Familien eine Entlastung dar.
UZ: Ein Kindergarten-Erzieher sagte im Interview (siehe UZ vom 19. Februar), dass seit dem Lockdown keine Kindeswohlgefährdungs-Anzeigen mehr erstattet werden, weil man gar nichts mehr mitbekommt. Hast du da auch Erfahrungen gemacht?
Sandra Trichter: Die Kinder, die in der Notbetreuung sind, erzählen, dass es mehr Streit gibt, auch zwischen den Eltern, weil man ständig aufeinander hockt. Das ist auch nicht verwunderlich – in einem Zimmer pauken die Kinder, im anderen versuchen die Eltern Home-Office zu machen.
Wir versuchen, niemanden durchrutschen zu lassen. Wir rufen die Familien immer wieder an, besonders dort, wo wir denken, da könnte zu Hause was sein, auch wenn die Kinder nicht in die Notbetreuung dürfen.
UZ: Am Montag sollen in Bayern die Schulen wieder aufmachen. Glaubst du, dass deine Schule das packt?
Sandra Trichter: Ja, ich glaube schon. Wir haben eine sehr gute Direktorin und eine sehr gute Konrektorin, die sich sehr viel Mühe geben, das zu organisieren. Für die Kinder ist das wichtig. Für die Lehrer wird es aber sehr belastend sein, weil sie durch den Wechselunterricht, der täglich dann stattfinden wird, noch mehr gefordert sind. Sie arbeiten jetzt schon wirklich wahnsinnig viel und das wird nochmal anstrengender. Zum Beispiel werden auch die Pausen versetzt stattfinden und die Schüler müssen vom gleichen Lehrer betreut werden. So werden die Lehrer überhaupt keine Pause mehr haben und dürfen rein theoretisch nicht mal kurz auf die Toilette gehen.