23 Jahre Ausbeutung bei Amazon

Arbeiten im Laufschritt

Von Herbert Schedlbauer

Konrad Beltz (Name von der Redaktion geändert) ist noch immer aufgebracht. Er hat mehrere Monate bei Amazon in Bad Hersfeld gearbeitet. Die Freiheit in dieser Republik am Arbeitsplatz des Online-Händlers am eigenen Leibe erfahren. „Du kommst einfach nicht zum Luftholen. Ununterbrochen wird bei Amazon deine Arbeitsleistung kontrolliert. In einer Schicht musst du locker zwischen zehn und 15 Kilometer laufen.“ Selbst Mainstream-Medien berichten zunehmend über solche miserablen Arbeitsbedingungen beim weltgrößten Online-Versender. Doch dabei bleibt es dann meistens auch.

Warum Amazon prekäre Arbeitsverhältnisse hat und Niedriglöhne zahlen darf, wird schon nicht mehr hinterfragt. Dabei wäre ein Blick in die gesetzliche Grundlage einfach. Die heißt Agenda 2010. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) vollzog damit ab 2003 in Absprache mit den Unternehmerverbänden den Generalangriff auf das Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht. Alle Arbeitsminister, ob Müntefering (SPD), von der Leyen (CDU) oder Nahles (SPD), verschafften so dem Kapital perfekte Voraussetzungen für Maximalprofite und Billigjobs. Auch Amazon wurde damit ermöglicht, tausende befristete Jobs einzuführen und Leiharbeiter einzustellen, die für rund 30 Prozent weniger Lohn arbeiten.

Der Versandriese dreht jedoch nicht nur an der Lohnschraube nach unten. Der Konzern hat auch die Überwachung des Personals in den neun deutschen Niederlassungen perfektioniert. Jeder Arbeitsschritt ist nachvollziehbar und wird auf die Sekunde erfasst. Leistungsabfall führt in kürzester Zeit zu Kritikgesprächen. Zielvorgaben, die bei Nichteinhaltung zu Abmahnungen und Entlassungen führen, sind betriebliche Praxis. Mit Hilfe der Warenscanner kontrolliert der Versandhändler die Leistung seiner mehr als 10 000 Beschäftigten lückenlos.

Vor der Einstellung wird oft bis zu vier Wochen ohne Lohn gearbeitet. Bekommt man den Job, muss man bereit sein, alles für den Konzern zu geben. Sonst ist man schnell wieder draußen. Doch die Zahl der Beschäftigten, die sich dagegen wehren, wird größer. In der Erkenntnis, dass gegen den Weltmarktführer nichts im Alleingang geht, organisiert sich die Belegschaft gewerkschaftlich.

Gemeinsam mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kämpfen die Angestellten und Arbeiter seit 2013 für einen Tarifvertrag. Gegen prekäre Arbeitsbedingungen und lange Arbeitszeiten und für bessere gesundheitliche Absicherung am Arbeitsplatz. Denn Arbeit bei Amazon wird nicht nur schlecht bezahlt, sie macht auch krank. Rund 20 Prozent beträgt der Krankenstand durchschnittlich. Doch statt die Ursachen abzustellen, wird das Personal durch die Führungskräfte gegeneinander ausgespielt. Wer sich trotz Krankheit zur Arbeit schleppt, bekommt bis zu 10 Prozent mehr Bruttogehalt. Besonders hinterhältig dabei, selbst wenn man krank seine Arbeit macht, kann man leer ausgehen. Maßgeblich ist der Krankenstand im Team.

Als Amazon 1994 nach Deutschland kam, besaß das Unternehmen mal gerade eine Handvoll Kunden. 23 Jahre später hat der Konzern rund 38 Millionen Kunden in 172 Ländern der Erde. Der Gründer Jeff Bezos begann im US-Bundesstaat Washington mit Büchern zu handeln. In immer kürzeren Abständen kamen weitere Produkte hinzu. Heute bekommt man bei Amazon nicht nur Bücher und eBooks, sondern auch Möbel, Schuhe; nahezu alles. Seit 2013 gehört Bezos auch die Tageszeitung „The Washington Post“ in den USA. 2016 betrug der Umsatz bei Amazon weltweit 136 Milliarden US-Dollar.

Obwohl bei der Gründung 1994 in Deutschland dem Konzern erhebliche Subventionen über Wirtschaftsförderungsprogramme zuflossen, zahlte der US-Versandriese bis 2014 nur minimal Steuern auf Gewinne. Möglich wurde dies, weil er seine deutschen Profite nach Luxemburg umleitete. Elf Jahre gelang es so, dort über zwei Milliarden US-Dollar steuerfrei anzusparen. 2003 und 2004 wurden dazu die Amazon Europe Holding Technologies SCS, die Amazon Services Europe SARL sowie die Amazon EU SARL in der Steueroase gegründet. Auch dafür gab es die entsprechenden Gesetze.

Um einen besseren Tarifvertrag durchzusetzen, ruft ver.di seit 2013 immer wieder zu Streiks auf. Die Gewerkschaft will, dass die Beschäftigten nach dem Einzel- und Versandhandelstarif bezahlt werden. Amazon wendet den schlechteren Tarifvertrag der Logistik an. Im Mai wurde an den Standorten Bad Hersfeld, Leipzig, Rheinberg, Werne und Koblenz deswegen erneut zum Ausstand aufgerufen. Neu dabei ist, dass versucht wird, diesen Arbeitskampf über die neun deutschen Standorte hinweg auch in Polen und Frankreich zu führen. Ein richtiger Schritt, der allerdings mehr Solidarität, Druck und Unterstützung im Kampf gegen den Monopolisten erfordert. Neue Formen des Widerstandes, gemeinsam mit den Kunden, und breite fachbereichsübergreifende ver.di Aktionen werden notwendig sein. Diese Orientierung würde die Möglichkeit einer besseren Durchsetzung von Beschäftigteninteressen und Arbeitsbedingungen gegenüber dem Amazon-Konzern ermöglichen.

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"Arbeiten im Laufschritt", UZ vom 16. Juni 2017



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