Zu Netanjahus Rede im US-Kongress

Applaus für den Mörder

Standing Ovations und tosender Applaus im US-Kongress, für den Ministerpräsidenten eines Staates, der des Völkermordes beschuldigt wird. Große Zustimmung während Benjamin Netanjahus einstündiger Rede, in der die Vorwürfe um Siedlungspolitik, Besetzung der Westbank und Apartheid als Antisemitismus abgetan werden. Die Abgeordneten des US-Kongresses schämen sich noch nicht einmal zu applaudieren, als Netanjahu angesichts von 40.000 unmittelbar im israelischen Bombenhagel getöteten Menschen behauptete, die Zahl der getöteten Zivilisten sei vernachlässigbar gering.

Die Demonstranten gegen die israelische Politik seien „nützliche Idioten“ des Iran. Vermutlich bezieht Netanjahu das auch auf die Angehörigen von Geiseln, die zu seiner Rede eingeladen waren und als Zeichen des Protests T-Shirts mit der Aufschrift „Seal the deal now“ trugen. Sie wurden in Handschellen abgeführt.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte einmal vom Garten Europa gesprochen, den es gegen den weltweiten Dschungel zu verteidigen gelte. Netanjahu tat es ihm gleich und erklärte: „Damit die Mächte der Zivilisation triumphieren, müssen Amerika und Israel zusammenstehen.“ Die Zivilisation, von der Netanjahu spricht, misst sich in abertausenden Bomben.

Doch 69 Abgeordnete, darunter hochrangige Politiker wie Nancy Pelosi, blieben Netanjahus Rede fern, um einen gewissen Abstand zwischen sich und den Völkermord zu bringen. Selbst die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris schützte einen Wahlkampftermin vor, um nicht auf dem Podium hinter dem Redner Platz nehmen zu müssen. Sie traf ihn später unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weitere Waffenlieferungen dürften auf der Tagesordnung gestanden haben.

Wieder einmal stand „Iran“ im Zentrum. 28 Mal sprach Netanjahu den Namen der „Achse des Terrors“ aus, verlangte gar ein Militärbündnis der USA, Israels und ihrer arabischen Freunde gegen den Iran – offenbar in völliger Verkennung der Kräfteverhältnisse. Die Hisbollah, ein enger Verbündeter des Iran, gilt für die Arabische Liga nach sieben Jahren nun nicht mehr als Terrororganisation. Doch die israelische Regierung und die überwältigende Mehrheit des US-Kongresses träumen weiter vom „totalen Sieg“ – um welchen Preis?

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"Applaus für den Mörder", UZ vom 2. August 2024



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