Etwas unerwartet wurde Michael Müller (SPD) am 8. Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus bereits im ersten Wahlgang und mit nur vier Gegenstimmen aus dem Lager der Koalition zum Regierenden Bürgermeister wiedergewählt. Er ist – vor allem in der eigenen Partei – umstritten: Manche geben ihm die Schuld für das schlechte Abschneiden der SPD bei den Abgeordnetenhauswahlen am 18. September (21,6 Prozent) oder kritisieren seine „One-Man-Show“. Inzwischen hat der Berliner Senat seine Arbeit aufgenommen.
Zuvor hatten die Delegierten auf den Parteitagen der Berliner SPD und der Grünen für den Koalitionsvertrag gestimmt. Die Linkspartei beendete am 7. Dezember die Auszählung der Stimmen einer Mitgliederumfrage: Von den 7 460 Mitgliedern des Berliner Landesverbands hatten sich daran 4 736 beteiligt. Dem Koalitionsvertrag stimmten 4 151 Mitglieder (89,31 Prozent der gültigen Stimmen) zu – mehr, als manche vorher nach den kritischen Debatten in der Partei erwartet hatten.
Damit war der Weg für die Bildung des neuen Senats offen. Und in diesem stellt die Partei „Die Linke“ drei Senatoren. Ihr bisheriger Landesvorsitzender Klaus Lederer, ein Jurist, ist neuer Kultursenator und gleichzeitig für Europaangelegenheiten zuständig. Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales wurde die frühere Gewerkschaftssekretärin Elke Breitenbach und Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher, eine „Fachfrau“.
Sie sorgte für einen ersten großen „Aufreger“: Lompscher nominierte den 46 Jahre alten Andrej Holm, einen bekannten, parteilosen Stadtsoziologen, Experten für Fragen der Stadtentwicklung und Gentrifizierung, der sich engagiert für sozialen Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen einsetzt, zum Staatssekretär für Wohnen. Und entfachte einen Sturm der Entrüstung, vor allem bei CDU, AfD und FDP.
Holm, der aus einer kommunistischen Familie kommt, hatte sich bereits in jungen Jahren bereit erklärt, Offizier und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zu werden. Nach seinem Abitur begann er, gerade 18 Jahre alt, im September 1989 eine Grundausbildung im zum Ministerium für Staatssicherheit gehörenden Wachregiment Feliks Dzierzynski in Berlin und war kurz im Ministerium tätig. Nach seinem Studium der Stadtsoziologie in den 90er Jahren arbeitete er an verschiedenen Hochschulen als wissenschaftlicher Mitarbeiter – an der Humboldt Universität Berlin seit 2011 – und war politisch u. a. in stadtpolitischen Bewegungen aktiv. 2007 war Holm wegen des völlig absurden Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) einige Zeit in Haft.
Seine Nominierung als Staatssekretär eröffnet die Möglichkeit, dass vielleicht tatsächlich Bewegung in Wohnungsbau und -markt kommt, wenn er sich – im Amt – denn nicht opportunistisch verhält. Der „Tagesspiegel“ kommentierte am Montag jedenfalls: „Ein Gentrifizierungskritiker, ein linker Aktivist, ein Wissenschaftler ist er. Einer, der Hausbesetzung als effektives Mittel zur Schaffung von Sozialwohnungen preist, leerstehende Wohnungen zwangsbelegen will und mit umfangreichen Steuersubventionsprogrammen eine baupolitische Richtung unterstützt, die in der SPD kritisiert und in der Wohnungswirtschaft zu munteren Kontroversen führen wird. Hier liegt die Gefahr seiner Ernennung und nicht in seiner Stasi-Vergangenheit.“ Ob dies wirklich so sein wird?
Auf einem Landesparteitag der Partei „Die Linke“ wurde am vergangenen Wochenende noch einmal über den Koalitionsvertrag und über anstehende Aufgaben diskutiert. Vereinzelt wurde die Kritik am Koalitionsvertrag wiederholt. Auch wenn es viel Skepsis gibt: Die Hoffnung ist groß, dass es in den kommenden Jahren gelingt, die progressiven Forderungen im Koalitionsvertrag durchzusetzen. Mancher hofft wohl auch, dass das Berliner Beispiel 2017 im Bund „Schule macht“.
Klaus Lederer gab sein Amt als Landesvorsitzender ab. Katina Schubert wurde seine Nachfolgerin mit 75,3 Prozent der Stimmen. Als Stellvertreterinnen bzw. Stellvertreter wurden Sandra Brunner, Franziska Brychcy und Tobias Schulze gewählt, Landesgeschäftsführer wurde Sebastian Koch.
Zu jenen Gästen, die auf dem Parteitag sprachen, gehörte Andrej Holm. Und er erhielt Applaus für eine Rede, in der er sich von seiner Vergangenheit distanzierte. Er sei „extrem erleichtert gewesen“, als noch während der Grundausbildung die DDR zusammenbrach. „Das hat mich aus dem Dilemma befreit“, sagte Holm. Danach habe er als Hausbesetzer, Aktivist und kritischer Wissenschaftler die Möglichkeiten der Freiheit genutzt. „Ich ziehe heute aus tiefster Überzeugung eine Gesellschaft mit Freiheit, Demokratie und Mitbestimmung allen anderen Systemen vor.“